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Neunte Betrachtung
Von der Ewigkeit Gottes

I.
Die Ewigkeit Gottes besteht zuerst in dem Besitze eines Lebens ohne Grenzen, ohne Anfang und ohne a) Ende; denn das Leben kann zwei Grenzen haben, die eine, die ihm vorausgeht und die andere, die ihm folgt. Die Grenze, die vorausgeht, ist der Anfang des Lebens, und die Grenze, die folgt, ist das Ende. Alle Geschöpfe hatten die erste Grenze, als Gott sie zu der Zeit, in welcher er wollte, aus dem Nichts hervorzug. Und was die zweite Grenze betrifft, nämlich das Ende, so bekommen alle sterblichen Geschöpfe dieselbe alle tage in ihrer Schwäche, und die unsterblichen können sie erhalten, wenn Gott durch seine Allmacht sie vernichten wollte. In dieser Beziehung sind die lebenden Geschöpfe nicht ewig, weil sie begrenzt sind und nach dem Wohlgefallen Gottes es sein können, der allein den vorzug hat, ewig zu sein und ein Leben ohne Ende zu besitzen. Das ist der Alte an Tagen (Dan 7,22). Das ist der Erste und der Letzte (Is 41,4). Sein Leben geht allen menschlichen Gedenken voraus und schreitet vor allen Jahrhunderten einher. Es hat keine Anfang, und sowie es nie angefangen, so wird es auch nie endigen. Es wird immer bestehen, während Jahrezeiten und Jahre voran- und vorübergehen. Er ist wie ein unerschütterlicher Fels, der sich mitten in einem großen und reißenden Fluß erhebt, wo er fest stehen bleibt, während die Wasser vorübereilen und von Augenblick zu Augenblick wechseln, die Wellen sich brechen und verschwinden, eine nach der anderen. Die Unveränderlichkeit, die untrennbar mit ihm verbunden ist, ist der Beweis und das sichere Merkmal seiner Ewigkeit. Denn da er unveränderlich ist, muß er notwendig ohne Anfang und ohne Ende sein. Er wäre nicht unveränderlich, wenn er aus dem Nichts ins Dasein getreten wäre, indem er angefangen hätte zu sein, oder wenn er vom Sein ins Nichts wieder zurücktrete, indem er aufhörte zu sein. Aber es war Niemand, der ihm beim Beginne seines Lebens, das Wesen hätte geben können, gleichwie Niemand ist, der Gewalt über ihn üben und ihn vernichten könnte. Außerdem gibt es in seinem ganz vollkommenen Wesen keinen Mangel, keine Gegensätzlichkeit, die es zerstören, abnutzen oder vom Leben entheben könnte.

a) Boetius, 1.5. de consol. prosa 6.

Ja, so ist es, o ewiger Gott! dein Leben ist ohne Grenze, du bist Jahrhunderte hindurch und wirst in Jahrhunderten noch sein. Du aber bist immer derselbe und deine Jahre enden nicht (Ps 101,28). Ich freue mich sehr über dein Glück, daß du nicht der Vergänglichkeit unterliegst und daß du nie zu befürchten hast, es je zu verlieren. Die mächtigsten Könige würden tausendmal glücklicher sich schätzen, wenn ihre Reiche unvergänglich und ihr Leben unsterblich wäre. Aber die Besorgnis, daß der Tod ihnen Szepter und Krone entreißen und ihren Thron mit einem Grabe vertauschen wird, vermindert ihr Glück. Du aber, unsterblicher König der Ewigkeit, du hast immer geherrscht, du bist für immer der Beständigkeit deiner Glorie sicher. Sie wird weder untergehen, noch eine Abnahme erleiden. Du hast von Natur aus, was die Geschöpfe so gierig verlangen, nämlich das Glück, unsterblich zu sein. O Gott, besitze, besitze immer diese Ewigkeit voll Seligkeit und Glorie!

II.
Die Ewigkeit ist nicht bloß der Besitz eines Lebens ohne Grenzen, sondern auch eines Lebens, das ganz zugleich besteht, d.h. der Besitz eines Lebens, wo Alles beisammen ist. Dieses Wort ganz zugleich verdient eine aufmerksame Beachtung und schließt gleichsam eine der Haupteigenschaften der Größe der göttlichen Glückseligkeit ein. Dieses Wort ganz zugleich besagt alle Arten von Gütern zusammen und zu gleicher Zeit. Dieses Wort will sagen, daß das Gut, das in Gott ist, in ihm immer war und immer sein wird, denn da er die reine Wirklichkeit ist, so hatte er immer auf einmal, ohne Zeitfolge, nicht teilweise und nicht zur Hälfte alle seine Reichtümer, alle seine Erhabenheiten und die ganze Glückseligkeit, die ihm möglich ist, gehabt. So ist es nicht mit den Geschöpfen dieser Welt. Sie besitzen nicht ihr ganzes Gut auf einmal. Wir sehen, daß sie klein sind im Anfang, allmälig heranwachsen und daß sie noch sehr oft so unglücklich sind, beim Erwerbe eines Gutes ein anderes Gut verlieren müssen, in dessen friedlichem Genusse sie vorher waren, gleichwie die Früchte die wohlriechenden Blüten von den Bäumen verdrängen. Ein Geschöpf hat vielleicht in seiner Jugend Schönheit, aber ist oft unbescheiden und unverständig, und wenn mit dem Alter die Klugheit kommt, nimmt Schönheit und Kraft ab. Ein Mensch hat in der Kraft seiner Jahre den Mut zu kämpfen, aber die Umsicht fehlt, und wenn mit den Jahren die Umsicht kommt, so ist bereits Schwäche eingetreten. So besitzen die Geschöpfe dieser Welt nie in derselben Zeit alle Arten Güter. Wenn auch die Engelwesen und die Geiser von dem ersten Augenblicke ihrer Schöpfung an vollkommen waren, so hatten sie damals nicht auch schon die zufälligen Eigenschaften, die sie adeln könnten, denn zu verschiedenen Zeiten nehmen sie verschiedene Eigenschaften an und über verschiedenartige Handlungen aus. Sie steigen auf Stufen und durch Grade zur Vollkommenheit und genießen jetzt eine Freude und jetzt wieder eine; denn über alle ihre Güter können sie nicht zu gleicher Zeit und auf einmal sich ergötzen. Dieses ist ein Vorrecht Gottes. Er besaß Alles zu gleicher Zeit, was er besitzen konnte. Er genoß so viele Glückseligkeit und genießt sie unaufhörlich, als unendliche Jahrhunderte in sich fassen können. Dieses Vorrecht, diese Glückseligkeit erstreckt sich auf die ganze Ewigkeit und ist in ihm vereinigt in jedem Augenblick. Er besitzt immer alle seine Reichtümer und seine Kräfte und erhält sie sich stets unversehrt.

O ewiger Gott, wie glückselig bist du durch deine Ewigkeit, die dich mit allen Gütern zugleich überschüttet! O unendlich glückseliger Gott, wie liebenswürdig bist du zu jeder Zeit, wie vor der Schöpfung der Welt, wie jetzt und wie wirst du es immer sein. O liebenswürdiger Gott, wer wird dir die Lieben zollen, die dir gebührt von aller Zeit her, die man jetzt dir schuldet und immer schulden wird. O mein Gott, verleihe mir, daß alle meine Kräfte und alle meine Gemütsbewegungen auf einmal sich sammeln, damit ich sie dir aufopfern kann! O mein Gott, gib mir zugleich alle meine Liebe, der mein Herz fähig ist, damit ich dir jetzt, ohne in der Liebe nachzulassen, mit der ganzen Vollkommenheit liebe, die einem armen Geschöpfe möglich ist.

III.
Die Ewigkeit ist auch noch ein vollkommener Besitz dieses Lebens, d. h. ein Besitz, in dem es keinen Mangel und keine Abnahme gibt. Es kann also im Besitze eines solchen Lebens, wo alle Güter vereinigt sind, kein Über geben, gleichwie die Sonne für die Finsternis nicht empfänglich ist, da sie das glänzendste Licht der ganzen Welt enthält. In der Tat besitzt das Leben mit allen Bedingungen, die einen Besitz vollkommen machen können. Die erste dieser Bedingungen ist, dass die besessene Sache Einem allein gehört; denn wer mit einem Anderen bestitzt, bestitzt nicht ganz, besitzt nicht vollkommen. Gott aber besitzt das unbegrenzte Leben ganz allein und Niemand lebt ein Leben wie das seinige. Die zweite Bedingung ist, dass es in Unabhängigkeit von einem Anderen besessen wird, denn wer ein Land mit einem Anderen besitzt, ist nicht der höchste Herr darüber und hat nicht die ganze Ehre, die im Besitze eines Gutes sein kann. Gott besitzt sein Leben ohne Abhängigkeit, er besitzt es als alleiniger Herr und schuldet Niemanden eine Huldigung und ist Niemanden verpflichtet, wer er auch sei. Drittens, ein vollkommener Besitz muss auch Sicherheit haben. Denn wer ein Gut besitzt und dabei fürchten muss, es zu verlieten und desselben beraubt oder im Besitze dieses Gutes gestört zu werden, hat nicht die Zufriedenheit, welche der Besitz dieses Gutes verursachen kann. Seine Beängstigungen bringen ihm nebst dem Gute vieles Elend. Gott ist aber von allem Diesem weit entfernt; denn er besitzt sein Leben und alle seine Güter mit einer vollkommenen Sicherheit, dass Niemand sie ihm entreißen und Niemand, auch nur wenig, in einem von denselben iihn beunruhigen kann. Da also der Besitz seines Lebens vollkommen ist, so ist dieser Besitz die wahre Ewigkeit.

O Gott, dein Besitz sei immer vollkommen! Ich erkenne, dass du allein das höchste Gut vollkommen besitzest; denn wir besitzen Nichts vollkommen, wir sind wahrhaft arm, du allein bist reich. Und da der Arme am Reichen durch seinen Beistand eine Zuflucht hat, so eile ich in deine Arme, o mein Gott. Ich rufe dich um Hilfe an. Mein Leben rückt alle Tage seinem Ende näher, Nichts bleibt mir von seinen vergänglichen Gütern, gib mir wenigstens deine Liebe. O meine Hoffnung, wenn du mich erhörst, will ich dir mein Herz mit tausen Lobpreisungen opfern.

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