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Siebente Betrachtung
Von der Unermeßlichkeit und Allgegenwart Gottes

I.
Gott ist an allen Orten der Welt gegenwärtig. Er ist im Osten und Westen, im Norden und Süden, er ist in allen Gegenden der Welt, in allen himmlischen Sphären und auch darüber. Erhabener ist er denn der Himmel. Tiefer ist er als die Unterwelt. Länger als die Erde ist sein Maß und breiter als das Meer (Job 11,8.9). Dieses Vorrecht überall zu sein, entspringt aus seiner unendlichen Erhabenheit, für welche diese ganze Welt ein viel zu kleiner Palast ist, denn je erhabener die geistigen Wesen sind, um so größer ist ihr Vermögen, an allen Orten zugegen zu sein. Daher können die ersten Engel zugleich in einem viel größerem Raume zugegen sein als die letzten. In den Vollkommenheiten Gottes gibt es aber gar keine Beschränkung; also darf es auch keine in seiner Ausdehnung geben. Wenn nun Gott seinen eingegrenzten Raum hätte, den er nicht überschreiten könnte - man mag sich ihn so groß denken als man will - wäre dies nicht seiner Größe unanständig und unwürdig? Denn da er unveränderlich ist, so könnte er nie von einem Orte zum anderen sich begeben, um seine Geschöpfe zu besuchen und mit seiner Gegenwart zu beehren. Er wäre durch seine Unbeweglichkeit für die ganze Ewigkeit festgehalten und gleichsam an diesen Ort festgebunden, was eine Unwürdigkeit und eine unerhörte Sklaverei wäre. Die Vögel können vermöge ihrer Freiheit verschiedene Gegenden besuchen, die Menschen gehen frei auf der Erde umher und die Fische schwimmen ungehindert in den Wassern. Diese Freiheit ist ihnen behaglich und tröstlich. Diese Freiheit hätte aber Gott nicht, wenn er an einem Orte festgehalten wäre, ohne ihn verlassen zu können. Auch die Verbrecher, die angekettet und eingeschlossen sind, können durch die Gunst ihrer Richter entfesselt und ganz in Freiheit gesetzt werden. Und der Ort, wo Gott wäre, hielte ihn für immer fest? Wenn dieses dem gesunden Sinne und der Vernunft anstößig ist, so muß man seine Unermeßlichkeit und seine Allgegenwart angerkennen, ohne ihm Grenzen zu bestimmen. Man muß weiter den Schluß ziehen, daß er nicht nur in allen Teilen der Welt, sondern auch über dieser endlichen Welt in jenen unermeßlichen Räumen ist, wo unser Geist seine Macht gewahrt, wo sie neue Welten zu schaffen vermag, wohin einer seiner seligen Geister sich begeben kann; denn Gott ist überall, wo er sein kann und wo eines seiner Geschöpfe sein kann. Darum hat Augustin von Gott so würdig gesprochen, wenn er sagt, daß Gott gleichsam ein großes Meer sei, dessen Ufer man nicht sieht, a) und in dessen Mitte gleichsam ein Schwamm sich befindet, der von den Wassern ganz durchdrungen ist. Ein Bild dieser Welt, welche die Unermeßlichkeit Gottes durchdringt und in welche sie von allen Seiten eindringt. Immer aber mit diesem Unterschied, daß Gott ganz in der Welt ist, obwohl er ganz außer der Welt ist.

a) Conf. 1. cap. 5.

Bewundere, o meine Seele, die unermeßliche Größe deines Gottes, der in allen Geschöpfen verborgen ist und sich über alle Himmel erhebt. a) O großer Gott, du bist in Allem und außer Allem, du bist über Allem und unter Allem. Du bist über Allem, ohne nach Art der Geschöpfe emporgehoben zu sein, unter Allem, ohne erniedrigt zu sein, in Allem, ohne eingeschlossen zu sein, außer Allem, ohne von Etwas ausgeschlossen zu sein, über Allem , indem du Alles unterhälst, in Allem, indem du Alles erfüllst, außer Allem, indem du Alles umschließest. O welche Ehrfurcht sind wir dir überall schuldig, wo wir sind! Du, mein Gott, lehrst mich dadurch, daß es keinen Ort in der Welt gibt, wo die Sünde erlaubt ist. Denn du bist da, der du tausend Ehrenbezeugungen und tausendfacher Anbetung würdig bist. Du lehrst mich, o mein Gott, daß wir, die wir in dir leben, uns bewegen und sind, wie die Vögel in der Luft, wie die Fische in dem Wasser, wenn wir eine begehen, nicht bloß unter deinen Augen , sondern in deiner reinsten Wesenheit selbst sind, wenn wir sie begehen. O welchen Schmerz, welche Schrecken müssen wir nicht darüber empfinden? Ach Gott, wo kann ich mich verbergen? in welche finstere Höhle mich flüchten, um die Schmach meiner Sünde zu begraben? O mein Gott, nur in dir finde ich eine Zuflucht, den du gibst mir Hoffnung, daß du ein reumütiges und zerknirschtes Herz nicht verschmähest (Ps 50).

a) Hild. Caenom.

II.
Gott ist auf verschiedene Arten überall und besonders in unserer Seele; denn Gott ist überall durch seine Wesenheit, durch seine Gegenwart und durch seine Macht. Er ist überall durch seine Wesenheit; denn vermöge seiner Wesenheit umspannt er alle Grenzen der Welt und durchdringt alle Teile derselben; er ist überall durch seine Gegenwart, weil er Alles kennt, Alles sieht und zwar innerlich und äußerlich, so daß Nichts, so klein, so verächtlich und finster es auch ist, seinen Blicken entgeht; er ist überall durch seine Macht, weil er in allen seinen Geschöpfen handelt und wirkt. Er erschafft sie, erhält sie und leitet sie zu ihrem eigentümlichen Ziele und ist bei allen ihren Handlungen mittätig. Überall sind seine unsichtbaren Hände und Alles, was besteht, hängt unmittelbar von ihm ab. Nicht genug, daß er durch die Dazwischenkunst seiner Engel und der zweiten ursachen tätig ist, wie die Könige der Erde es machen. Diese sind von ihrem Palaste aus durch ihre Minister, die gleichsam ihre Hände zur Ausführung ihrer Befehle sind, in allen Teilen ihres Reiches gegenwärtig. Er steht allen seinen Geschöpfen unmittelbar bei und ist unaufhörlich mit ihnen tätig. So ist Gott überall durch seine Macht. Zugleich ist er auf eine ganz besondere Art in der Seele gegenwärtig; denn er ist in ihr durch die Wesenheit und durch die Gegenwart seines Wesens. Mit Wonne und mit Freude ist er in diesem Lichte, das nach seinem Bilde und nach seinem Gleichnisse geschaffen ist. Er selbst sagt, meine Wonne ist es, zu sein bei den Menschenkindern (Sprichw 8,31). Er ist in ihr durch seine Gegenwart und durch seine Erkenntnis und zwar mit einer ganz besonderen Vorsehung, die für ihr Wohl sorgt, indem er sie zu einem sehr edlen und erhabenen Ziele bestimmt und sie mit allen Mitteln ausstattet und versieht, damit sie diese Ziel erreichen kann. Er ist in der Seele durch seine Macht und seine Wirksamkeit, um im höchsten Grade seine Güte ihr mitzuteilen und mit ihr überaus mittätig zu sein; denn er beruft sie durch sein äußeres Wort, heiligt sie durch seine rechtfertigende Gnade und durch Eingießung der erhabensten Tugenden. Er ist also mit ihr mittätig auf doppelter Art, für ihre natürlichen Werke und für ihre übernatürlichen Werke. Welchen Schatz besitzt also meine Seele in sich.

O wenn sie ihn nur zu würdigen wüßte! sie besitzt in sich den Gegenstand ihrer Hoffnungen und all ihres Verlangens. O welchen Trost und welche Zuversicht muß ihr die Gegenwart dieses Herrn in allen ihren Trübsalen bereiten. Gott wohnt in ihr, Gott, der so reich, so schön und so mächtig und ein so guter Freund ist, daß er sie nie verläßt. Meine Seele betrübe dich nicht mehr über die Verluste, die in dieser Welt dich treffen, kehre in dich, da findest du dein Gut. Das Reich Gottes ist in euch (Luk 17), und der Gott dieses Reiches selbst hat seine Wohnung in dir. Ach, dieser große Gott ist in dem Herzen und das Herz entfernt sich oft in Undankbarkeit von ihm! Kehre doch in dich zurück, treuloses Herz, bringe deine Verehrung und opfere deine Huldigung diesem himmlischen Gaste. Fühle ihn, der in dir wirkt, und betrage dich so gegen ihn, wie es seinem unendlichen Adel und seiner unendlichen Größe gebührt.

III.
Obwohl aber Gott an allen Orten der Welt ohne Ausnahme gegenwärtig ist, so verursacht ihm dieses doch keine schlimme Eigenschaft. Die Bosheit der Welt verdirbt ihn nicht, die Bekanntschaft mit der Welt beschmutzt ihn nicht, und weder die Qualen noch die Verbrechen der Hölle berühren ihn. Gleichwie die Strahlen der Sonne auch im Kote ihre Reinheit bewahren und keinen Schmutz an sich ziehen, so ist auch Gott in seiner Allgegenwart unverletzlich in seiner Schönheit, in seiner Reinheit, in seinem Glanze, in seiner Heiligkeit, die vollkommen sich erhalten. Die innere Einheit, sagt der heil. Dionysius, die er in sich selbst besitz, verläßt ihn nie a). Er bleibt in sich selbst unbeweglich, beständig und unveränderlich fest. Daher kommt es, daß er in der Nähe der Geschöpfe seine Glanz nicht ändert und nicht trübt; er ist stet erhaben über sie, außer aller Berührung mit ihnen und außer aller Eindrücke von ihnen. Das ist das Wunder seiner Wesenheit. So sehr er allen Geschöpfen durch seine Unermeßlichkeit nahe ist, so ist er aber durch seine Unendlichkeit und die erhabene Würde seiner Natur von ihnen entfernt. Er ist ganz und gar sehr nah und sehr gesondert, sehr vereinigt und sehr abgeschieden, sehr gegenwärtig und sehr entfernt. Und so bleibt er immer in seiner Einheit und in seiner Sammlung in sich er ist unveränderlich in seiner Reinheit mitten unter allen Geschöpfen, so verderbt dieselben auch sein mögen.

a) De Coel. hierach.

Ich freue mich, o mein Gott, daß du an deiner Reinheit keinen Schaden nimmst, wie sehr du auch zu dem Geschöpfe in seiner äußeren Beziehung stehst. Ach Gott, wenn die Menschen so wenig Güte besitzen - sie mögen noch so viel besitzen, so ist es doch wenig - so ist der Umgang mit der Welt für sein ein gefahrvolles Meer, wo sie Schiffbruch leiden und von wo sie immer schlechter zurückkommen als sie beim Hingehen wahren. Sie kommen geldgeiziger, grausamer, ehrgeiziger zurück. O Gott, könnte ich deine bewunderungswürdige Vollkommenheit nachahmen! O könnte ich beim Verkehre mit der Welt immer inner gesammelt bleiben, damit dich durch den Umgang mit den Menschen mich nicht beflecke und nicht lasterhafter werde.

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