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Vierte Betrachtung
Von der Einfachheit Gottes

I.
Gott ist einfach; er hat keinen Körper; er ist ganz Geist, ohne Unterscheidung von Teilen. Er ist die vollkommenste Einheit; und Alles was in ihm ist, ist nicht bloß vereinigt in ihm , sondern in der Einheit. Die Einfachheit Gottes ist nichts Anderes als eine bewundernswerte Einheit, welche jede Vollkommenheit in sich einschließt. Wie sehr arg haben sich die Abgötterer und alle Jene betrogen, die eine körperliche Gottheit angebetet haben! Armselige Jahrhunderte, wo die meisten Menschen in einer Blindheit lebten, daß sie unter dem unvernünftigen Tiere standen; denn wenn diese Gott nicht kennen, haben sie doch wenigstens seine unendliche Erhabenheit nicht so erniedrigt und seiner Gottheit unwürdig behandelt. Wie! das Götzenbild, durch Menschenhand gemacht, das Götzenbild, sein Werk in dieser Beziehung! konnte es denn der Schöpfer des Menschen sein! Ach wenn der Mensch mit Vernunft begabt und wenn ihm vergönnt war, diese Geschöpfe zu betrachten, die am Himmel und auf der Erde glänzen, so sollte er sie nicht anbeten, sonder durch sie zum wahren Gott, ihrem Schöpfer und Herrn sich erschwingen.

O allerhöchster Gott, warum haben dich die Menschen während so vielen Jahrhunderten so schlecht erkannt? Warum haben sie von deinem unendlichen Wesen so verächtlich geglaubt? Der Heiden Götzen sind Silber und Gold, Gebilde von Menschenhänden. Mund haben sie und reden nicht, Augen haben sie und sehen nicht, Ohren haben sie und hören nicht (Ps 113,4.5.6). Aber unser Gott ist im Himmel und hat nicht die Niedrigkeit des Fleisches, noch ist er mit der Unwürdigkeit des Körpers angetan: er ist Geist. O Gott, mache auch mich geistig, damit ich dich anschaue, und mit den Flügeln eines geläuterten Geistes zu dir mich erhebe; denn du bist Geist und willst, daß wir dich im Geiste und in der Wahrheit anbeten.

II.
Gott ist einfach, weil er nichts Fremdartiges in sich hat. Er ist gut, ohne daß man von Beschaffenheit und Größe seiner Güte reden kann, Schöpfer, ohne daß er, um schöpferisch zu sein, Etwas bedarf; überall ohne Örtlichkeit, ewig, ohne Ende, alle Dinge verändernd, ohne selbst verändert zu werden, oder Etwas zu sich hinzunehmen. Der Engel ist auch geistig, aber ist nicht vollkommen einfach, weil seine Wesenheit aus sich selbst arm und mangelhaft ist und für seine Vollkommenheit eine Menge Eigenschaften notwendig hat, die wie verschiedene Farben seine Wesenheit verschiedenfarbig machen und sie der natürlichen Vollkommenheit der Einfachheit berauben; aber die Wesenheit Gottes ist voll von Wundern; sie ist reich und überreich; sein Wesen ist ein unendlicher Schatz und eine unerschöpfliche Quelle, die ihn mit allen möglichen Vollkommenheiten versieht, ohne daß er nötig hat, Etwas außer sich zu suchen und Etwas Fremdes in sich aufzunehmen. Er besitzt Alles in der Einheit des Wesens allein, und in dieser Einheit die ganze Fülle der Vollkommenheiten in der Art, daß sein Wesen alle seine Vollkommenheiten in sich faßt; es ist seine Ewigkeit, seine Unendlichkeit, seine Macht, seine Liebe: daher adelt dieses Einfachheit in der Art das göttliche Wesen, daß es ganz Wesen ist; durch sie ist jede Eigenschaft unendlich geadelt und in ihrer Eigentümlichkeit erhöht; weil diese Einfachheit bewirkt, daß eine Eigenschaft alle übrigen, eine Vollkommenheit alle übrigen Vollkommenheiten in sich begreift; daß seine Ewigkeit seine Unendlichkeit ist, seine Glückseligkeit und seine liebe und ebenso durch Rückwirkung ist seine Liebe seine Glückseligkeit, seine Unendlichkeit und seine Ewigkeit. Welche Verwunderung müssen wir nicht hegen für diese göttliche Wesenheit und für jede seiner Eigenschaften, weil jedes Einzelne durch eine wunderbare Einfachheit das Ganze ist!

Verstehe dieses meine Seele! Wer Gott in einem Punkte besitzt, besitzt ihn ganz. Gott kann nicht teilweise besessen werden. O verwende darum auch nicht bloß einen Teil deiner Kräfte und deiner Macht darauf. Er will nicht bloß teilweise besitzen. Gib dich ohne Rückhalt demjenigen, der Alles ist, vereinfache für ihn deine guten Meinungen und deine Begierde, auf daß du getrennt von jeder fremden Begierde in der Einfachheit des Herzens dich nur bestrebest, ebenso diese wunderbare Vollkommenheit, die in ihm ist, zu verehren.

III.
Gott ist auch noch einfach, weil er keine Zweideutigkeit und Betrügerei anwendet. Er ist die reine Wahrheit und nie bemäntelt er sich. Er ist nicht anders äußerlich und anders innerlich; seine Worte sind nur die natürlichen Ausdrücke der Gedanken. Wenn er spricht, so geschieht es mit Aufrichtigkeit; wenn er Etwas verspricht, tut er es mit der Meinung, sein Versprechen zu halten; wenn er den Ungehorsamen mit ewigen Strafen droht, so tut er es ebenfalls in der Absicht seiner Drohung nachzukommen; denn die Zweideutigkeit ist ein sehr verworfenes, sehr niederträchtiges und seiner sehr unwürdiges Laster. Ein Zeichen von Schwäche ist es, wenn man durch List versuchen will, was man offen nicht tun kann, oder es ist ein Anzeichen von Bosheit, die man beschönigen oder von Betrügerei, die man ausführen will: lauter Dinge, die der Größe und würdevollen Majestät Gottes unwürdig sind. Die Heuchler und die Menschen doppelten Herzens sind ihm ein Greuel. Die Einfachheit und Offenherzigkeit im Gegenteil bereiten die Seelen zu heiliger Vertraulichkeit mit Gott vor, der an der Natürlichkeit Wohlgefallen hat und gern mit denen verkehrt, die Einfalt der Tauben und die Milde des Lammes besitzen.

Ich muß also den Worten Gottes glauben, denn sowohl wenn er verspricht, als wenn er droht, tut er es in Einfachheit. Ich will die Liebe zur Natürlichkeit und herzlichen Aufrichtigkeit in allen meinen Handlungen üben. Betrügerei, Lüge und Zweideutigkeit soll mir als ein vom Himmel verfluchtes Laster ein Greuel sein. O ewige Wahrheit, gib mir die Gnade einfältig ohne Ziererei zu sein, sowohl in meinem Hause als auch öffentlich, sowohl vor den Menschen als auch vor dir, o Gott, dem Nichts verborgen ist.

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