Ditte Betrachtung Von den Eigenschaften und Vollkommenheiten Gottes im Allgemeinen I. Gott besitzt mehrere Eigenschaften. Dieselben sind aber bei ihm Vollkommenheiten, gehören seinem Wesen und erheben es. Denn da Gott das erste Wesen, das unabhängige Wesen ist, so ist leicht einzusehen, daß er alle Vorzüge der übrigen Wesen besitzt und unendlich mehr. Wenn Gott in der Tat das erste und höchste Wesen ist, so ist er die Ursache aller übrigen Wesen, er übertrifft darum auch alle Geschöpfe, die Pflanzen, die Himmel, die Menschen, die Engel und Alles, was ist. Denn wenn die Erde dauerhaft ist, wenn die Lilie Schönheit besitzt, wenn die Menschen mit Weisheit ausgerüstet sind, wenn die Himmel Licht spenden und die Engel in Güte strahlen, so besitzt Gott Alles dieses mit noch viel mehr Recht, weil er das erste und erhabenste Wesen ist. Wenn man von einem Menschen sagen würde, er sei der erste und der höchste unter den Monarchen der Erde, müßte man den Schluß ziehen, daß er als der größte und mächtigste der Könige, doch auch eine große Herrschaft, reiche Schätze, herrliche Paläste, mächtige Kriegsheere und sein seiner Größe entsprechendes Gefolge habe. Nun denn, nachdem wir einmal Gott als das erste und unabhängige Wesen erkannt haben, müssen wir auch folgern, daß er mit allen Arten von Vollkommenheiten geschmückt ist und auf dieser Grundlage das Gebäude seiner unendlichen Vollkommenheiten errichten. Ja mein Gott, da du das erste Wesen, das unabhängige Wesen bist, so gibt es keine wahre Schönheit und Vollkommenheit, die du nicht besitzest. O! Ich danke dir, daß ich kaum an der Schwelle deines Heiligtums dein Wesen voll Vollkommenheit und Adel sehe. O ich bete dich an, ich verehre dich in deinem unendlichen Vorrang, der mir den Schatz dieser Eigenschaften eröffnet, die dich über alle Ahnung hinaus schmücken. II. Die Eigenschaften Gottes ist eine große Zahl, denn obwohl Alles, was in dem göttlichen Wesen ist, ein einziges Wesen ausmacht, so unterscheiden wird doch der besseren Betrachtung wegen dasselbe im Einzelnen und abteilungsweise. Im Großen und Ganzen können wir es nicht betrachten. Darum werden die einen unter den Eigenschaften negative, die anderen positive genannt. Die negativen Eigenschaften sagen ein Nichtsein einer Vollkommenheit aus und diese sind der Majestät Gottes am würdigsten; denn wenn wir von Gott reden, sagt der heil. Dionysius, sagen wir besser, was Gott nicht ist, als was er ist. Die positiven Eigenschaften setzen in Gott eine Vollkommenheit voraus und zeigen an, was in ihm ist, wie die Macht, die Liebe. Von diesen sind die einen absolute und drücken aus, was in Gott an und für sich ohne Rücksicht auf das Geschöpf ist; die anderen sind relative und drücken das aus, was in Gott ist in Bezug auf die geschaffenen Dinge, wie die Vorsehung und und die Auserwählung. Unter diesen Eigenschaften gibt es einige, die Gott dem Geschöpfe mitteilt, wie die Weisheit, die Gerechtigkeit, die Barmherzigkeit. So gibt es auch andere, die er einem geschaffenen Wesen nicht mitteilt, wie die Unendlichkeit. Mit einem Worte: es gibt nach unserer Auffassung so viele Eigenschaften Gottes, daß Alles, was wir hienieden kennen, nicht der hunderttausendste Teil von dem ist, was wir von Vollkommenheiten Gottes nicht kennen. Denn die Vollkommenheiten des göttlichen Wesens überragen weit alle Gedanken und Vorstellungen der Engel und der Menschen. Wie groß ist die Fülle deiner Lieblichkeit, o Herr (Ps 30,20). Welche Beweggründe für ein Herz in dieser Fülle der Güter, dich mehr zu lieben als alle Geschöpfe! Denn wenn sie ein Gut besitzen, besitzen sie nicht das andere; wenn sie Schönheit haben, mangelt ihnen Unsterblichkeit; wenn sie jung sind entbehren sie der Klugheit und Weisheit. Aber in dir, o mein Gott, ist jedes Gut überfließend , du hast Überfluß in jeder Art. Du bist Alles in Allem, o Gott.... Ach lasse dich einnehmen, o meine Seele, lasse dich hinreißen von so vielen hehren Vollkommenheiten. Wenn Alles Andere dir fehlte, genügt dir Gott allein. III. Aber die Eigenschaften, die Gott seinen Geschöpfen mitteilt, sind in diesen mit großer Ungleichheit; denn die Weisheit, die Gerechtigkeit, die Barmherzigkeit und die Güte, die sich in den Geschöpfen finden, sind in Gott in einem Grade unendlich erhabener Vollkommenheiten vorhanden. In Gott sind diese Vollkommenheiten in der Unversehrtheit ihrer Kraft und ohne eine Beimischung von Unvollkommenheit; aber in den Geschöpfen sind sie mit Mängeln vermischt, die sie schwächen. In Gott ist Alles unendlich; die Macht ist dem Willen gleich, die Ruhe ohne Überdruß, die Tätigkeit ohne Mühe, die Schönheit ohne Ziererei, die Freude ohne Ende, die Gerechtigkeit ohne Härte, die Barmherzigkeit ohne Opfer, die Vorsehung ohne Sorge, die Seligkeit ohne Trübung. Mit einem Worte, das Übel nahet Gott nicht und Plagen werden nicht einmal einen Blick auf die Pforte seines Hauses. In den Geschöpfen dagegen ist kein vollkommenes Glück: die Vernunft ist verdunkelt, die Macht ist begrenzt, ihre Weisheit ist mehr eine Unwissenheit, die Güte ist mangelhaft, die Größe ist voll Gefahr, die Ruhe ist Schwäche, die Schönheit ist vergänglich; die Leidenschaften beunruhigen das Herz, die Fülle erzeugt Übermut; mit einem Wort Alles in den Geschöpfen ist begrenzt, abhängig, schwach wie sie. Daraus geht klar hervor, daß Gott allein die wahren Vollkommenheiten besitzt. Er ist unvergleichlich in seinem Wesen und er allein besitzt die Macht über sich und seine Vollkommenheiten. Nicht ein einziges Wesen kann mit ihm einen Vergleich bestehen. Nie kann das Geschöpf mit dir, o mein Gott, sich vergleichen! Dir muß alles weiche. Denn wer ist dir vergleichlich unter den Starken, o Herr (Exod 15). O ich demütige mich vor dir, unvergleichlicher Gott! Ich freue mich, daß unsere Armseligkeiten, unsere Schwächen und unsere Niedrigkeit in dir nicht sind. Deine Weisheit, o mein Gott, hat so gewollt, das jedes Geschöpf in der Unvollkommenheit bleibe, damit unser Herz sich davon losmache und zu dir allein sich erhebe, der du allmächtig bist. Darum will ich ihnen mein Herz entreißen und dir es ganz schenken. O mein Gott, mache, daß auch ich, sowie du ohne einen Mangel ganz vollkommen bist, wenigstens in den Handlungen meines Berufes ganz vollkommen bin, so daß mir Nichts fehlt, um dir ganz wohlgefällig zu sein. Inhaltsverzeichnis
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