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Gegen die Ausbeuter des metaphysischen Bedürfnis
Meine Homepage richtet sich auch gegen die Ausbeuter des metaphysischen Bedürfnisses des Menschen.
Ich gehe also davon aus:
- dass es ein solches Bedürfnis gibt
- dass dieses Bedürfnis auch ausgebeutet wird
- dass Metaphysik notwendig und möglich ist
Kenner werden sofort bemerkt haben, wer für diese Ansichten Pate gestanden hat: Arthur Schopenhauer, der im zweiten Band der Welt als Wille und Vorstellung im Kapitel "Über das metaphysische Bedürfnis des Menschen" (W II, Kap. 17) zeigt, dass Metaphysik zur menschlichen Existenz gehört, der Mensch also das "einzige metaphysische Geschöpf", ja ein "geborener Metaphysikus" ist.
"Tempel und Kirchen, Pagoden und Moscheen, in allen Landen, aus allen Zeiten, in Pracht und Größe, zeugen vom metaphysischen Bedürfniß des Menschen, welches, stark und unvertilgbar, dem physischen auf dem Fuße folgt." (ebd.)
Zur Befriedigung dieses Bedürfnisses finden sich bei zivilisierten Völkern zwei Arten von Metaphysik:
- die Philosophie (die nach S. eine Überzeugungslehre ist)
- die Religion (die nach S. eine Glaubenslehre ist)
Dass es in der Geschichte der Menschheit nie an Machtmenschen gefehlt hat, die dieses metaphysische Bedürfnis ausgebeutet haben, um ihre Interessen anderen mit mehr oder minder subtilen Methoden aufzuzwingen, ist leicht zu zeigen. Ein solches Verhalten fand und findet nach Schopenhauer nicht nur in der Religion statt, sondern auch in der Philosophie (die damit natürlich aufhört, echte Philosophie zu sein). Zu den Pfaffen schreibt er:
"...das Grundgeheimniß und die Urlist aller Pfaffen, auf der ganzen Erde und zu allen Zeiten, mögen sie brahmanische, oder mohammedanische, buddhaistische, oder christliche seyn, ist Folgendes. Sie haben die große Stärke und Unvertilgbarkeit des metaphysischen Bedürfnisses des Menschen richtig erkannt und wohl gefaßt: nun geben sie vor, die Befriedigung desselben zu besitzen, indem das Wort des großen Räthsels ihnen, auf außerordentlichem Wege, direkt zugekommen wäre. Dies nun den Menschen Ein Mal eingeredet, können sie solche leiten und beherrschen, nach Herzenslust. Von den Regenten gehn daher die klügeren eine Allianz mit ihnen ein: die andern werden selbst von ihnen beherrscht." (Parerga und Paralipomena II §. 176)
Dennoch ist Schopenhauer´s Ansicht zur Religion nicht eine einfache Anti-Haltung, sondern wie schon aus folgenden Bemerkungen hervorgeht, vertrackter:
"...der Mensch, wie er in der Regel ist, hat ursprünglich für nichts Anderes Sinn, als für die Befriedigung seiner physischen Bedürfnisse und Gelüste, und danach für etwas Unterhaltung und Kurzweil. Religionsstifter und Philosophen kommen auf die Welt, ihn aus seiner Betäubung aufzurütteln und auf den hohen Sinn des Daseyns hinzudeuten: Philosophen, für die Wenigen, die Eximirten; Religionsstifter, für die Vielen, die Menschheit im Großen. Denn »es ist unmöglich, daß die Menge philosophisch gebildet sei«, wie schon dein Plato gesagt hat und du nicht vergessen solltest. Die Religion ist die Metaphysik des Volks, die man ihm schlechterdings lassen und daher sie äußerlich achten muß: denn sie diskreditiren heißt sie ihm nehmen. Wie es eine Volkspoesie giebt und, in den Sprichwörtern, eine Volksweisheit; so muß es auch eine Volksmetaphysik geben. [H: Denn die Menschen bedürfen schlechterdings einer Auslegung des Lebens, und sie muß ihrer Fassungskraft angemessen seyn.]" (ebd. §. 174)
Dass das kein schiedlich-friedliches Nebeneinander von Philosophie und Religion bedeuten kann, ist auch klar, denn Religion stützt sich eben nicht nur, wenn überhaupt, auf Einsicht, sondern vornehmlich auf
"Offenbarung, Urkunden, Wunder, Prophezeiungen, Schutz der Regierung..." (W II, Kap. 17)
Und da die religiösen Äußerungen oftmals (oder fast immer?) der vernünftigen Einsicht entgegengesetzt sind, wird es seitens der Philosophie viel Widerspruch geben müssen.
Nota bene: dass ein Mensch nicht wirklich zugleich Philosoph und religiös Glaubender sein kann, wie Karl Jaspers betonte, habe ich persönlich erst lernen müssen; glaubte ich doch lange Zeit, man könne zu einer christlichen Philosophie kommen. Heute weiß ich: das ist eine contradictio in adiecto!
Was es allenthalben geben kann, ist eine Philosophie des Christentums (siehe z.B. das schöne Werk von Paul Deussen "Die biblisch-mittelalterliche Philosophie"), der es obliegt die philosophische Wahrheit des Christentums aus dem Mythos herauszuarbeiten, die Wahrheit aus dem Gewand der religiösen Lüge zu befreien und unter anderem den Kern des Christentums zu ermitteln.
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Zu den Erlösungslehren
Religion gibt es aufgrund des unaustilgbaren metaphysischen Bedürnisses des Menschen. Da nicht jeder Mensch zum ausdrücklichen Metaphysiker/Philosophen geeignet ist, wird Religion - auch wenn es einige anders haben möchten - nach wie vor zum Menschsein gehören - und insofern zum Schein beitragen, als wäre der Mensch ein homo religiosus, wo er doch natürlicher Weise ein homo metaphysicus ist.
Paul Deussen hat die drei Weltreligionen Brahmanismus, Buddhismus und Christentum als vergleichbare pessimistische Systeme angesehen, weil
"alle drei übereinstimmend als höchstes Ziel die Erlösung aus diesem Dasein bezeichnen, weil dieses Dasein nach dem Brahmansimus das Reich des Irrtums, nach dem Buddhismus das Reich des Leidens, nach dem Christentum das Reich der Sünde ist, somit wohl ein Zustand sein muß, welcher von der Beschaffenheit ist, daß wir einer Erlösung aus demselben bedürfen."
Deussen, Die neuere Philosophie von Descartes bis Schopenhauer
Als probate Methode um das Ziel (die Erlösung) zu erlangen, lehren diese Religionen in Übereinstimmung mit aller echten Philosophie, namentlich der von Schopenhauer: die Überwindung des Egoismus und propagieren eine asketische Lebensweise. Mit anderen Worten: ihnen liegt die Verneinung des Willens zum Leben zu Grunde.
Das ist so zu verstehen: Es gibt vier Triebfedern des menschlichen Handelns.
(Deussen, ebd.) "Jede menschliche Handlung verfolgt als letzten Zweck die als Motiv dem Bewußtsein gegenwärtige Absicht, entweder Wohl zu bereiten oder Wehe zu veranlassen. Dieses Wohl, dieses Wehe kann entweder das eigene oder ein fremdes sein, und hieraus ergeben sich vier dem Menschen allein mögliche Zwecke und vier ihnen entsprechende Triebfedern, nach folgendem Schema:
Zweck |
Triebfedern |
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1. fremdes Wehe |
- Bosheit |
Bejahung
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2. eigenes Wohl |
- Egoismus |
"
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3. fremdes Wohl |
- Mitleid |
Verneinung
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4. eigenes Wehe |
- Askese |
"
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Weil der Egoismus die Quelle des Bösen und des Übels ist (auch die Bosheit läßt sich darauf zurückführen), ist dessen Überwindung ein vorrangiges Anliegen. Und das geschieht dadurch, dass man das fremde Wohl auch dann bewirket, wenn es mit eigenem Wehe verbunden ist.
Genaueres dazu später.
Ich halte es für eine der großen Schwächen der gegenwärtigen kirchlichen Verkündigung, dass sie entweder gar nicht oder wenn dann nur halbherzig die Überwindung des Egoismus lehrt: will sie doch meist gleichzeitig dem Menschen nur ja nicht sein eigenes Wohlsein vermiesen und das Christentum als Oase in der Wüste verkaufen. Entgegen der Lehre Jesu:
"Wer mein Nachfolger sein will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir!"(Mk, 8,34)
Nebenbemerkung: Schon hieraus ist wohl ersichtlich, dass ich die Lehre Jesu im Lichte der Philosophie Schopenhauers zu verstehen versuche und Abstand nehme von der kirchlichen Vereinnahmung und deren Domestizierung. Denn dieses Evangelium Jesu fand seine Niederlage ja nicht in der Kreuzigung durch die Römer (auf Betreiben des jüdischen Etablishment), sondern durch den Vatikan...
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Religions-Wahn
Sei es Dawkins "Gotteswahn" oder Kubitzas "Jesuswahn" oder überhaupt "Glaubenswahn"; sobald jemand im religiösen Kontext von Wahn spricht, dann klingeln die Alarmsignale der Ach-so-Frommen, sie fühlen sich auf den Schlips getreten, faseln was von der Intoleranz der Ungläubigen, würden am liebsten gleich dem sich so Äußernden einen Maulkorb verpassen und den Gotteslästerungsparagraphen (§ 166 StGB) in Anspruch nehmen. - Doch kann man denn wirklich ein anderes Wort gebrauchen als dieses, wenn man die Vorstellungswelt der Religiösen beschreiben will?!
Obgleich ein Wahn meist rasch erkennbar und relativ sicher von anderen Symptomen zu unterscheiden ist, gibt es nicht einmal eine allgemein anerkannte Definition. Am besten nachvollziehbar heißt es:
Wahn ist die krankhaft entstandene Fehlbeurteilung der Realität.
An dieser Fehlbeurteilung wird mit absoluter Gewissheit und unkorrigierbar festgehalten, selbst wenn sie im Widerspruch zur Wirklichkeit, zur eigenen Lebenserfahrung und zum Urteil gesunder Mitmenschen steht.
Häufig will der Wahnkranke seine wahnhafte Überzeugung gar nicht korrigieren. Für ihn ist sie unerschütterlich und unanfechtbar. In seinem übrigen Denken vermag er dabei sogar folgerichtig zu urteilen.
So ist der Wahn nicht nur eine Störung des Denkens oder Urteilens. Er ist auch Ausdruck einer veränderten Umweltbeziehung. Und vor allem ist der Betroffene unfähig, dieses subjektive Bezugssystem, eigentlich ein "Wahn-Gefängnis" zu wechseln, seinen Wahn-Symptomen also zu entrinnen.
Prof. Dr. med. Volker Faust
Religion ist mit diesen Worten von Volker Faust wohl zum Teil zutreffend erfassbar, wenn auch der Religions-Wahn in seltensten Fällen krankhaft bedingt ist, sondern eine andere Genese hat: im Juden- und Christentum nämlich die Ideologie der Genesis, die davon phantasiert, dass ein gütiger Gott am Anfang Himmel und Erde erschaffen habe und vor allem die Menschen als Krone der Schöpfung, damit sie als seine Knechte nach seinen Herren-Geboten leben und als seine gehorsamsten Kinder vornehmlich nach seinen Willen trachten, den ihnen seine Stellvertreter auf Erden, die Priesterlinge verkündigen...
"Vom Standpunkt eines Existenzialisten möchte ich ergänzend den Begriff Religion als Glaubens-Wahn definieren, der wähnt, es gäbe irgendetwas Ewiges auf dieser Welt, wie in den Weiten des Weltalls: Weder gibt es einen ewig gleichbleibende Materie, noch einen ewigen Gott, noch ein ewiges Leben, noch ewige Wiedergeburten für uns Menschen."
Lothar Baus (Hrsg.), Die Bibel der Freidenker, Asclepios Edition 2006, Seite 33
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