(1509-1564)
Ein aktengetreues Lebensbild
Mit hoher Verehrung zu dem Reformator aufblickend, der mehr gearbeitet, mehr gekämpft und gelitten hat als alle andern, und dessen eigenes Wesen die Genfer Ratsprotokolle mit Recht „die Majestät seines Charakters“ nennen, hat der Unterzeichnete das folgende Lebensbild entworfen, in der Absicht, diese Heldengestalt der Reformation wieder in verdiente Erinnerung zu bringen. Dies mag, wie das Andenken an Calvins Freund, Bullinger, und seine Zeit dazu dienen, daß wir um so dankbarer im Sinne behalten, welch große Opfer die freie Übung unseres evangelischen Glaubens gekostet und wie vielfach insbesondere Calvin um dieses teure Gut unserer protestantischen Kirche sich verdient gemacht hat. Die Akten, welche dieser kleinen Schrift zu Grunde liegen, sind zu finden bei: Beza, Dr‚Lincourt, Schröck, Mosheim, Kamp-Schulte, Bungener, Henry und Stähelin.
Zürich, 1. Juli 1904
Der Verfasser
Johann Calvin wurde geboren den 10. Juli 1509 in der Stadt Noyon in der Picardie. Die ernste Art seines Vaters, eines apostolischen Notars, beim Bischof und Adel wohl angesehen, und die fromme Gesinnung seiner Mutter, die den Knaben früh zur Gottesfurcht anhielt, wie sie ihn denn unter freiem Himmel beten lehrte, mögen den ersten, guten Grund zu seinem Charakter gelegt haben. Schon früh zeigte er glänzende Anlagen und eine schnelle Fassungsgabe. Besonders bemerkbar machte sich seine Gewissenhaftigkeit und sittliche Strenge gegen sich selbst und seine Mitschüler. Ihre Fehler ernstlich tadelnd und von ihren Spielen fernbleibend zog er sich immer zu seinen Büchern zurück:
Er soll gar einsilbig gewesen sein, habe wenig gesprochen, aber zutreffend. Er wählte sich das Motto: „Prompte et sincre“, rüstig und ohne Falsch. Von seinem Äußern wird gemeldet, er sei von mittlerer Größe gewesen, hager und zart von Gestalt, mit schwarzem Haar, bräunlicher Gesichtsfarbe, glänzend hellen Augen. Er begnügte sich mit wenig Nahrung und fastete oft, sei es um das Gedächtnis zu stärken, oder um das Kopfweh, an dem er oft litt, zu lindern. Von diesem Knabenalter berichtet einer seiner Zeitgenossen: „Nie hat man ein Leben gesehen, das unschuldiger und exemplarischer war als das Calvins schon in seiner frühen Jugend.“ Seine Eltern bestimmten ihn, weil er große Hoffnungen erweckte, zur Kirche und ließen ihm daher, obgleich wenig begütert, eine sorgfältige, gelehrte Erziehung zu teil werden, so nämlich, daß er zusammen mit den Knaben einer adeligen Familie unterrichtet wurde, um nachher die höheren Schulen in dem nicht sehr weit entfernten Paris zu beziehen und daselbst seine Studien fortzusetzen. Von seinem Fleiße berichten die dortigen Hausgenossen, er habe die Gewohnheit gehabt, nach einem mäßigen Abendbrot bis um Mitternacht zu wachen und dann am Morgen im Bette eine Zeit lang das Erlernte in sich zu verarbeiten. Dieser Gewohnheit hatte er wahrscheinlich sein ausgezeichnetes Gedächtnis zu verdanken. Nach Paris war seit 1521, nachdem Luther die päpstliche Bannbulle in Wittenberg verbrannt hatte, aus Deutschland herüber die erste antipapistische Bewegung gedrungen. In Paris nun hatte der 20jährige Jüngling Gelegenheit, das grausame Verfahren anzusehen, das gegen die Anhänger der neuen Lehre befolgt wurde. Er konnte auf dem Greve-Platz einen Protestanten, den ersten Märtyrer des evangelischen Glaubens in Frankreich, verbrennen sehen, ebenso etwas später auf dem Vorplatze der Kirche Notre-Dame einen standhaften Eremiten als zweiten Blutzeugen. Während dessen Verbrennung läutete man mit der großen Glocke jener Kirche und die Priester verkündigten dem Volke, es sei ein Verdammter, den man jetzt dem ewigen Feuer übergebe. Der Eindruck, den solche Greuel auf den jungen, sittenstrengen Calvin machten, waren wohl geeignet, den römischen Glauben, darin er erzogen worden war und dessen Priester er werden sollte, zu erschüttern. Auch hatte er, wie Beza, sein gelehrter Zeitgenosse und erster Biograph, meldet, bereits etwas von der reinen Religion gekostet und leise angefangen, vom papistischen Aberglauben sich abzuwenden. Um so willkommener war ihm der unerwartete Befehl des Vaters, er solle das Studium der Theologie aufgeben und die Rechte studieren, weil diese Wissenschaft ihm mehr Güter und Ehren bringen werde als jene. „Allein“, so schreibt später Calvin, „wie sehr ich mich auch anstrengte, treu dem Befehl meines Vaters zu folgen, so fügte es doch Gott durch einen geheimen Zug seiner Vorsehung, daß ich meinen Lauf einer andern Seite wenden sollte.“ Indes suchte er doch als gehorsamer Sohn gemäß dem Willen seines Vaters einen tüchtigen Rechtsgelehrten auf und fand diesen in Orleans. Nach kurzer Zeit werden auch hier sein Fleiß und seine Fortschritte höchlich lobend erwähnt, indem es heißt: „Er zeichnete sich aus durch einen tätigen Geist und ein starkes Gedächtnis, verbunden mit einer großen Gewandtheit, die Lehren aufzufassen, die er dann mit einer wunderbaren Leichtigkeit und Schönheit der Sprache niederschrieb. Nach Verlauf eines Jahres hielt man ihn schon nicht mehr für einen Schüler und wurde er zuweilen damit beauftragt, die Lehrer zu ersetzen.“ Dies habe er mit so großem Beifall getan, daß ihm bald nachher der Doktortitel erteilt wurde mit der Widmung: „Wohl verdient um die Akademie nach dem einstimmigen Zeugnisse aller Lehrer“. Um aber auch einen berühmten Lehrer des römischen Recht zu hören, ging Calvin nach Bourges. Diese Studien hinderten ihn indessen nicht, dem Zuge seines Herzens zu folgen und nebenbei sich in eine höhere Wissenschaft als die der menschlichen Gesetze zu vertiefen. Dazu bot sich gerade in Bourges die günstigste Gelegenheit, indem dort ein gefeierter Lehrer das Griechischen seine Zuhörer mit dem Neuen Testamente bekannt machte. Redlich die Wahrheit suchend gelangte Calvin bald zu evangelischer Überzeugung und erkannte mit seinem scharfen, logischen Denken die Irrtümer seiner Kirche als erwiesen. So betrat er denn den neuen Weg, auf dem er sich sagte: Weder die Aussprüche der Päpste, noch die Beschlüsse der Konzile, noch eine mündliche Überlieferung können für den Glauben maßgebend sein, sondern einzig und allein die heilige Schrift. Dies ist die Quelle, aus der wir alles zu schöpfen haben, was uns für Glauben und Leben zu wissen not tut. Diesem lauteren Wort Gottes entnehmen wir, daß wir weder durch äußerliche Werke, noch durch Zeremonien, noch durch Bilderdienst, noch durch menschlichen Ablaß vor Gott gerecht werden, sondern daß wir solche Rechtfertigung einzig nur durch den Glauben erlangen, nämlich durch das gläubige Vertrauen auf die in Jesu Christo uns dargebotene Gnade. So hat der Gottesgelehrte dem Rechtsgelehrten den Rang abgelaufen und der evangelische Christ den römischen überwunden.
Wie lange der für sein ganzes Leben so entscheidende Aufenthalt Calvins in Bourges gedauert hat, wissen wir nicht. Im Jahr 1529 finden wir ihn wieder in Paris, teils dem Studium, teils dem Dienste des Evangeliums hingegeben. Ganz in der Stille hielten dort die zur Reformation Bekehrten seit Jahren ihre Versammlungen ab. Zu ihnen gesellte sich nun auch der neu angekommene Calvin zuhörend und selber predigend. „Ehe das Jahr vorüberging“, schreibt er im Rückblick auf jene Zeit, „sammelten sich alle die um mich, welche das Verlangen nach der reinen Lehre hegten, um zu lernen, obgleich ich selbst sozusagen erst Anfänger war und von etwas scheuem und schüchternem Wesen stets die Ruhe und Stille geliebt habe. Ich fing daher an, mich von den Leuten zurückzuziehen, aber alle Orte der Zurückgezogenheit wurden für mich wie öffentliche Schulen.“ Mit großer Begeisterung soll er in jenen geheimen Zusammenkünften die reine Lehre verkündigt und zur Standhaftigkeit ermahnt haben, indem er jede Rede schloß: „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein.“ Dieses Ziel verfolgend war er fortan nach allen Seiten unermüdlich tätig mit Predigt und Seelsorge. Sogar ein französischer Schriftsteller und Anhänger des Papsttums sagt von ihm: „Mitten unter seinen Büchern tat dieser sein Möglichstes zur Verbreitung seiner Sekte. Wir sahen zuweilen unsere Gefängnisse sich durch arme, mißleitete Leute füllen; diese besuchte er unablässig, ermahnte, tröstete und befestigte sie durch Briefe. Mit diesem Verfahren gewann er Fuß bei Fuß einen Teil von unserem Frankreich“; gewiß kein geringes Lob aus dem Mundes eines Feindes! Mit gleichen Eifer suchte er auch durch Schriften dem Evangelium Bahn zu machen oder Verfolgten beizustehen. So zum Beispiel gibt er einem, der um seines evangelischen Bekenntnisses willen mit Verbrennung bedroht wird und aus Frankreich flieht, eine sehr warme Empfehlung mit an seinen Freund Bucer in Straßburg, des Inhalts: „wenn meine Bitten, wenn meine Tränen etwas vermögen, so flehe ich zu dir, komm' seiner Not zu Hülfe, dir ist er in seiner Armut überlassen, du wirst sein Helfer sein.“ Wieder bemüht er sich, auch in den oberen Kreisen von Paris eine Bewegung zu Gunsten der reinen Lehre hervorzubringen, indem er seinem Freunde Niklaus Kop die Rede ausarbeitet, welche dieser als Rektor der theologischen Schule öffentlich vor den Parisern zu halten hat und darin auseinandergesetzt ist, daß das Verdienst der Werke nichts sei und daß der Mensch nur durch den Glauben gerechtfertigt werde. Darüber kamen nun aber die Sorbonne (die theologische Fakultät in Paris) und das Parlament so sehr in Aufregung, daß sofort ein Haftbefehl gegen den erlassen wurde, der sich zu solchem Angriff gegen die Kirche erkühnt hatte. Doch entkam Kop durch schleunige Flucht nach Basel, seiner Vaterstadt. Kaum war aber die Vermutung aufgetaucht, daß ein Gelehrterer als Kop, daß Calvin der Verfasser jener Rede sein möchte, als auch er sollte in Haft genommen werden. Schon waren die Häscher ihm auf dem Fuß, als er durch ein Fenster sich flüchten, in die Wohnung eines Winzers gelangen und von da in dessen Kleidern sich retten konnte. Kurz vorher hat er sogar den Versuch gemacht, das harte Herz des grausamen Königs Franz zu erweichen, indem er einen Kommentar über „das Buch von der Gnade“ herausgab, das von Seneca, einen römischen Schriftsteller, verfaßt war, dessen reine Sitten ihn sehr ansprachen und der ihm nun Gelegenheit gab, zu sagen, wie verabscheuungswürdig die Grausamkeit eines Königs sei und wie sich ein Fürst die Liebe seines Volkes durch keine Tugend leichter erwerbe, als durch Sittlichkeit, Milde und Wohlwollen gegen jedermann. Doch solche Stimmen verhallten ungehört. Das Wüten gegen die Evangelischen nahm immer mehr überhand, je weiter ihre Lehre sich auszubreiten schien.
Der Haft in Paris entgangen und umherirrend in der eigenen Heimat, fuhr der 23jährige Jüngling unentwegt fort, wo er konnte, den Samen des Evangeliums auszustreuen, um sein Vaterland für die Reformation zu gewinnen. Zunächst besuchte er den Hof der Königin von Navarra, Margaretha, der Schwester des Königs Franz; denn diese hatte schon im Jahr 1521, als die reformatorischen Ideen Luthers anfingen, in Frankreich Wurzel zu fassen, angefangen, die Bibel zu lesen. Von dort an gewährte sie den Verfolgten eine sichere Zuflucht. Hier unterrichtete Calvin den alten, gelehrten Lefévre, der den Plan der göttlichen Vorsehung ahnend schon seit langem behauptet hatte, daß eine große Erneuerung bevorstehe, der aber doch aus der katholischen Kirche nicht austrat, bis er jetzt durch Calvin überzeugt wurde, daß mit Rom keine Verständigung möglich sei, sondern daß die Axt an die Wurzel des Baumes gelegt werden müsse.
Was aber dieses entschiedene „Los von Rom“ an Leiden bringen sollte für die Evangelischen, das zeigte sich voraus in Frankreich. Gleich unter König Franz I. entfesselten sich die Greuel der Verfolgung in entsetzlichem Grade. Welch' standhafte Zeugen der Wahrheit aber gerade in Paris erweckt wurden, teils durch die Lehre Luthers, teils durch die Predigt Calvins, ersieht man aus folgenden Beispielen. In der Nacht des 17. Oktober 1534 fanden sich aller Orten in Paris, sogar im Palast des Königs Plakate angeschlagen, betitelt: „die großen und abscheulichen Mißbräuche der päpstlichen Messe“. Darüber ging nun, wie die unbesonnenen Verfasser des Plakats hätten voraussehen sollen, ein gewaltiger Sturm durch die Bevölkerung der ganzen Stadt. Hell loderte der Zorn und Rachedurst auf gegenüber den Evangelischen. In höchster Entrüstung veranstaltete der König sofort eine feierliche Prozession und ließ die Gefängnisse füllen mit allen denen, die als Anhänger der neuen Lehre bekannt oder auch nur verdächtig waren. Dem folgten Verhör auf Verhör und gesteigertes Foltern. Schon am 29. Januar waren an sechs verschiedenen Orten der Stadt sechs Scheiterhaufen aufgerichtet, auf denen sechs Männer von den Flammen verzehrt wurden, unter ihnen auch der vormalige Gastgeber und Freund Calvins. Es ist durch Urkunden festgestellt, daß der König, um die Marter zu vergrößern, befohlen hatte, die Verurteilten seien an lange, schwebende Balken zu binden, die hin und her ins Feuer gehalten und wieder zurückgezogen werden sollen. Er wollte sogar mit eigenen Augen diese Marter sehen und fuhr vom Louvre aus an allen sechs Stellen vorüber, konnte aber keine Spur von Schwäche, kein Zeichen von Reue an den Märtyrern entdecken. Ob wohl dies alles ohne Eindruck über sein Gewissen hinging? Sogar ein Feind der Reformation, der Historiker Raemond, bemerkt zu diesen und den späteren noch zahlreicheren Hinrichtungen: „die hartnäckige Entschlossenheit der zum Feuer Geschleppten erweckte Bewunderung. Man sah einfache Frauen heiter der Marter entgegen und ihren Glauben beweisen, den Heiland anrufend und Psalmen singend; man sah Männer, die halb verbrannt und geröstet wie Felsen erschienen gegen die Flut des Schmerzes. Dieses traurige Schauspiel erregte bei vielen einige Unruhe, weil man sich nicht überreden konnte, daß die Menschen nicht recht hätten, das sie ihre Meinung selbst um den Preis des Lebens so entschlossen aufrecht hielten. Andere empfanden Mitleiden, sie so verfolgt zu sehen und konnten ihre Tränen nicht unterdrücken, selbst ihre Herzen weinten mit den Augen.“ Dieser Racheakt des Königs Franz und seiner römischen Ratgeber war übrigens nur das Vorspiel von Greuelszenen, die in langer Reihe aufeinander folgten. Viele Jahrzehnte hindurch wurde der Himmel in Frankreich von den Scheiterhaufen gerötet. Bei solchem Wüten gegen die Evangelischen, wo sollte Calvin da hin? Wo einen Winkel finden, in welchem er in der Stille für das Werk der Reformation arbeiten konnte? Zunächst finden wir in Angouléme, wo er kurze Predigten schreibt, die von den Pfarrern der Umgegend des Sonntags abgelesen wurden, um das Volk über die neue Lehre aufzuklären. Dann macht er in Poitiers einen Aufenthalt. Dort befindet sich nächst der Stadt eine Grotte, in der die Anhänger des neuen Glaubens sich versammelten. An ihrer Andacht beteiligte sich nun auch Calvin. Von seinen Predigten daselbst wird gemeldet, daß er sie zuweilen unterbrochen habe, um auf die Knie sich niederzulassen, und den göttlichen Segen auf seine Glaubensgenossen und ganz Frankreich herabzuflehen. In dieser Grotte wurde auch das Abendmahl begangen, wobei ein Felsstück als Altartafel gedient haben soll. Noch heute wird die Grotte gezeigt und führt den Namen Calvinsgrotte. Unter ihren Kommunikanten werden die Namen von Männern genannt, die zu den bedeutendsten der französischen Reformation gehören und die das, was sie geworden sind, wesentlich dem Einfluß der Schriften Calvins verdankten. Um diese Zeit erschien von ihm in Orleans ein Werk gegen die wiedertäuferische Lehre vom Seelenschlaf, nach welcher, wann der Leib gestorben sei, die Seele schlafe bis zum Tag der allgemeinen Auferstehung, wofür Gründe aus der Vernunft und der Philosophie geholt werden. Einleitend schreibt Calvin in seinem Werke: „Schweigen muß hier die menschliche Klugheit, die zwar viel über die Seele nachsinnt, aber nichts Gewisses weiß. Schweigen müssen die Philosophen, die, wenn sie schon in gewöhnlichen Dingen ohn' Ende miteinander streiten, hier sich so sehr widersprechen, daß kaum zwei miteinander eins sind. Gewisses bietet nur die heilige Schrift: Christus ist unser Leben und darum leben auch seine Glieder. Daher ist ihr leibliches Sterben der Übergang der Seele in die Herrlichkeit des Herrn. Mehr wissen wollen, heißt den Abgrund der Geheimnisse Gottes erforschen wollen.“ Wie in Poitiers, so in Orleans wurde es bald ruchbar, daß er derjenige sei, den die Sorbonne von Paris verfolge. Daher war auch hier seines Bleibens nicht mehr.
Da sich Calvin aus seinem Vaterland als Ketzer vertrieben sah, ging er ins Ausland und kam über Straßburg nach Basel, wo er Ruhe fand vor Nachstellungen und bald Hand anlegen konnte an eine große Arbeit, die zur Abwehr gegen die Feinde des evangelischen Glaubens und als feste Burg zur Rechtfertigung dieses Glaubens dienen sollte, nämlich die sogenannten „Institutionen“ oder „das Buch vom christlichen Unterricht“. Calvin selber nennt es sehr bescheiden einen „kurzen Leitfaden, durch welchen der Glaube derer bezeugt wird, die ich schmähen sah“. Das bei seinem ersten Erscheinen in Basel im Jahr 1536 noch kleine Werk umfaßte doch schon damals 500 Seiten und enthielt die ganze christliche Lehre, klar, bestimmt, gemeinverständlich nachgewiesen als das reine, apostolische Christentum, nach allen Seiten verteidigt und begründet durch die heilige Schrift als dem Siegel Gottes. 24 Jahre hindurch ist dieses Buch in neuen Ausgaben und immer vermehrter Gestalt erschienen, zuerst lateinisch und französisch, dann übersetzt in alle Sprachen Europas. Es ist das bedeutendste Werk der Reformation und bleibt eine Zierde der christlichen Kirche für alle Zeiten.
Hier einige Hauptpunkte aus diesem Buche: Die ganze Summe unserer Weisheit besteht darin, daß wir, indem wir Gott erkennen, uns selbst erkennen. Beides gehört untrennbar zusammen; denn niemand kann sich selber anschauen, ohne daß sein Sinn sich bald auf Gott hin richtet. Und niemand kann zur rechten Selbsterkenntnis kommen, er habe denn Gottes Antlitz betrachtet und den Blick von ihm hinweg zu sich herüber gewandt. Erst durch den Vergleich mit ihm werden wir inne, wie es in Wahrheit mit uns steht. Die sich für etwas hielten, empfinden vor ihm, daß sie Staub und Asche sind, Befleckte, Törichte und Verlorene. - Gott tritt aus seiner Verborgenheit heraus, läßt sich erkennen, gibt eine Offenbarung, sein Wort, in welchem er sich und seine Gedanken kund tut. Dabei kommt uns Gottes Geist zu Hülfe. Nur die Schüler des heiligen Geistes können ein ganzes und festes Vertrauen auf die heilige Schrift setzen. - Was ist die Rechtfertigung des Sünders vor Gott? Rechtfertigen ist nichts anderes als von einer Anklage freisprechen und für unschuldig erklären. Dies geschieht uns nun freilich nicht, weil wir in der Tat unschuldig sind, sondern weil Gott uns aus Gnaden für unschuldig hält und für gerecht erklärt um des Verdienstes und der Gerechtigkeit Christi willen, auch wenn wir selber gar keine Gerechtigkeit in uns tragen. Die Rechtfertigung eines Sünders läßt sich aber nicht denken, ohne daß mit der Frucht des Verdienstes Christi zugleich etwas von seinem Wesen und Leben ihm zu eigen gegeben werden. Auf diesen zwei Punkten beruht alles: erstens, daß der Glaube nie zu seiner rechten Sicherheit und Festigkeit kommt, bis er sich ganz und gar auf die göttliche Zusage des Heils aus Gnaden gründen verlassen lernt; und zum andern, daß wir durch diesen Glauben nicht wohlgefällig gemacht werden vor Gott, außer insoweit uns derselbe mit Christo vereinigt. Weil aber auch in den Gerechten immer einige Sünde übrig bleibt, bedürfen sie noch ein andern Weise der Rechtfertigung als die in der Wiedergeburt zu einem neuen Leben liegt. Denn nur Schritt für Schritt gestaltet Gott seine Erwählten um; bis zu ihrem Tode ist das Werk nicht vollkommen und darum sind sie fortwährend schuldig vor seinem Gerichte. Ganz anders verhält es sich mit der Rechtfertigung. Diese geschieht nicht stückweise, sondern ganz und völlig, so daß die Gläubigen, angetan mit der Reinheit Christi, fröhlich und getrost im Himmel erscheinen dürfen; denn ein Stück Gerechtigkeit könnte die Gewissen nicht beruhigen; wir müssen wissen, daß wir ganz und gar für gerecht von ihm gehalten und zu Gnaden angenommen sind. - Was wir das Mahl des Herrn oder die Danksagung nennen, ist eine geistliche Speisung durch unser Heiland unsererseits eine Danksagung für die unermeßliche Wohltat unserer Erlösung. Wer das Mahl genießt, der wird dadurch versichert, daß das ewige Leben des Himmelreiches ihm ebensowenig fehlen könne als Christo selber; daß seine Sünden ihn ebensowenig zu verdammen vermögen als die den Herrn verdammen, denn sie sind nicht mehr unser, sondern des Herrn. Das ist die Verwandlung, die er mit uns vornimmt. Das wird uns in seinem Sakrament so gewiß gemacht, daß wir nicht daran zweifeln können, es komme uns wahrhaftig zu, gleich als wäre Christus selber zugegen und ließe sich mit den Händen anfassen. Denn nicht trügen kann uns das Wort: „Nehmet, esset, das ist mein Leib, der für euch gebrochen wird, dies ist mein Blut, das vergossen wird zur Vergebung der Sünden“. Wenn er uns nehmen heißt, so sagt er damit, es solle in unser Wesen eingehen. In diesen Worten liegt die ganze Kraft des Sakramentes. Seine körperlichen Elemente sind Bilder, durch die wir auf das Geistliche hingeführt werden sollen. Brot und Wein sind sichtbare Zeichen, Fleisch und Blut genannt, weil sie Werkzeuge sind, durch welche der Herr sich selbst uns mitteilt. Darin ist ein geistiges Geheimnis enthalten, welches weder mit den Augen gesehen, noch mit dem Geiste des Menschen aufgefaßt werden kann. - Die Lehre von der Prädestination oder der göttlichen Vorherbestimmung war nach dem Vorgange Augustins allen Reformatoren gemeinsam, soweit Calvin in der ersten Ausgabe der Institutionen sie erklärt hat. Da sagt er, die Ordnung des Heils werde uns von Paulus also beschrieben: Die welche er erwählet hat, die beruft er auch; die, die er berufen hat, rechtfertigt er; die, die er gerechtfertigt hat, die verherrlicht er. Dadurch bezeugt uns der Herr die ewige Erwählung, wonach er die Seinigen zum Heil bestimmte, noch ehe sie geboren wurden. Die Kirche besteht aus der Zahl der Erwählten; wer ihr also wirklich angehört, der kann unmöglich endlich verloren gehen und dem Verderben anheim fallen. Sein Heil steht auf so festen und gewissen Grundlagen, daß wenn auch der ganze Erdkreis erschüttert würde, es doch nimmermehr wanken kann oder wieder zusammenbrechen. Erstens steht es fest durch den Ratschluß der Erwählung Gottes und nur wenn eine ewige Weisheit selber fiele, könnte es wechseln und untergehen. Straucheln wohl, hin- und hergetrieben werden, ja selbst fallen können die Erwählten, aber unmöglich ganz untersinken, weil Gott ihnen seine Hand unterbreitet. Das ist es, was Paulus sagt: „daß seine Gaben und seine Berufung ihn nicht gereuen“. Zweitens hat der Herr die, die er erwählte, seinem Sohn Christo in treue Obhut übergeben, damit er keinen von ihnen verliere, sondern alle wieder auferwecke am jüngsten Tage. Wie aber sollten sie sich unter einem solchen Hirten für immer verirren können? Erfassen können wir nun freilich den unerforschlichen Rat Gottes nicht, wir sollen nicht eindringen wollen in die göttlichen Geheimnisse. Diese Lehre ist wie ein Ozean, auf dem wir Schiffbruch leiden können, wenn wir die Geheimnisse unserer Wahl oder die Verwerfung der Verlorenen ergründen wollen. Da ziemt es nun, daß wir die Hand auf den Mund legen und bekennen: o welch eine Tiefe der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Auch ist es nicht unsere Aufgabe, etwa herauszufinden und festzustellen, welche durch seinen ewigen Rat erwählt sind und welche verworfen. Unser Glaube soll sich vielmehr genügen lassen an der Verheißung:
Gott wird die als seine Kinder anerkennen, die seinen eingeborenen Sohn aufgenommen haben. Da Christus es ist, in dem der Vater von Ewigkeit her erwählt hat, die er zu seinem Eigentum machen wollte, so haben wir ja ein unwidersprechlich klares Zeugnis dafür, daß wir zu diesen Erwählten, daß wir zu der Kirche Gottes gehören, wenn wir mit Christo in Gemeinschaft stehen. Dabei kann der gläubige Christ in Gottes Allmacht sicher ruhen und hat weder vom Zufall noch Unglück, oder von Tieren noch Menschen etwas zu fürchten, sondern übergibt Seele und Leib Gott und bleibt unter seiner Leitung im Frieden. Vornehmlich in dieser Lehre von der ewigen Erwählung wurzelte der Heldenmut jener Glaubenszeugen, die später von Genf ausgingen in alle Welt, wie dies ein Schriftsteller in folgender Hyperbel ausdrückte: „Jedem Volke in Gefahr sandte Sparta als Heer einen Spartaner, so Genf einen Genfer. Wenn irgendwo in Europa Blut und Marter gefordert werden, wenn ein Christ zum Verbrennen und Rädern gesucht wird, so ist dieser Mensch in Genf bereit zu finden. Entschlossen bricht er auf, indem er Gott dankt und Psalmen singt.“ So flößt die Überzeugung, meine Erwählung steht fest, den Gläubigen eine Kraft ein, die alles überwindet. Anderseits möchte man vermuten, diese Lehre ertöte bei manchem den Trieb zur Heiligung, lähme die eigene Anstrengung und schwäche das Pflichtgefühl. Allein dem ist nicht so. Wir beachten bei Calvin und seinen Anhängern das gerade Gegenteil. Wie er selber es in Erfüllung seiner Pflichten peinlich genau nahm und gegen sich selber streng war, welches Zeugnis sogar seine Feinde ihm gaben, so hat er strenge sittliche Forderungen auch an die die treuen Glieder seiner Gemeinde gestellt. Niemand drang stärker auf sittliche Anstrengung, auf gewissenhafte Pflichterfüllung, auf tadellose Sitten als er, niemand predigte nachdrücklicher die Selbstverleugnung und das Jagen nach der Heiligung als er; die Lasterhaften ermahnte er so lange, daß er trotz wiederholten Rückfällen die Hoffnung nie aufgab. Zu keinen Zeiten hat es Christen gegeben, die eifriger eines gottseligen Lebens sich beflissen als die, welche an ihre ewige Erwählung glaubten. Später hatte Calvin die Freude, diese Lehre von der Prädestination auch in das gemeinsame Bekenntnis der meisten Schweizerkirchen aufgenommen zu sehen. Aber in erster Linie war das Buch vom christlichen Unterricht für sein französisches Vaterland bestimmt und sollte auch dem grausamen König Franz eine bessere Meinung von seinen evangelischen Landeskindern beibringen. Zu diesem Ende schickte er dem Buche die berühmte Zuschrift voraus, darin er den König mit großem Ernste beschwor, diese Lehre zu prüfen und der Stimme der Wahrheit Gehör zu schenken. Umsonst. Er hörte sie nicht. Die Verfolgungen dauerten fort. Was blieb nun Calvin übrig, nachdem ihn sein Vaterland vertrieben und auch für diesen letzten Mahnruf taub geblieben war?
Da die reformatorischen Ideen auch jenseits der Alpen anfingen, hier und da Wurzel zu schlagen, richtete er seinen Blick dorthin. Namentlich die Herzogin Renée in Ferrara, bekannt als eine Liebhaberin der Wissenschaften und gewonnen für das Bestreben nach einer Kirchenverbesserung, bot den protestantischen Flüchtlingen willig ein Asyl. Daher lenkte Calvin seine Schritte für einmal an diesen Hof. Nur kurze Zeit währte hier sein Aufenthalt, denn die Inquisition war auch da den Protestanten auf den Fersen. Doch gelang es ihm, die noch dunkeln Vorstellungen, welche die Herzogin von einer Reform der Kirche hatte, soweit aufzuklären, daß sie ihm zeitlebens dankbar war und bis in sein letztes Lebensjahr mit ihm in Korrespondenz blieb.
Um der Verfolgung zu entgehen, kehrte er wieder um. Er habe, sagte er, die Grenzen Italiens nur gesehen, um sie wieder zu verlassen. Während seiner Rückreise streut er, wo sich eine Gelegenheit dazu bietet, den Samen des Evangeliums aus, aber allenthalben droht Gefahr. Im Piemont, im Tal von Grana, wo er zu predigen versucht, vertreiben ihn die Weiber mit Steinwürfen, in Saluzza begegnet er ähnlichem Widerstand. Von da gelangt er in die Gegend der altrömischen Stadt Aosta, wo schon viele der neuen Lehre zugetan waren. Hier nahm man ihn mit Freuden auf, man scharte sich in großer Menge um ihn und hörte ihm zu auf einem Pachthofe, der noch jetzt den Namen „Pachthof Calvins“ führt; allein der dortige Bischof, der schon im Jahre 1528 zwölf Edelleute und vier Bibelkolporteure wegen ihrer evangelischen Überzeugung hatte aufs Schafott bringen lassen, witterte Gefahr und Calvin steht auf dem Punkte, verhaftet zu werden, doch kann er am 8. März 1536 entfliehen. Bis in die tiefsten Berge verfolgt, sagt ein alter Bericht, sei Calvin durch einen Gebirgspaß entkommen, den man noch heutzutage „das Fenster Calvins“ nennt. Als auch um Aosta herum jede Spur der Reformation vertilgt war, stellte man zur Erinnerung an diesen Sieg in Mitten der Stadt eine Säule auf, welche die lateinische und italienische Inschrift trägt: „Aufgerichtet zur Erinnerung an Calvins Flucht 1536, da dieser Wolf entfloh nach Genf.“ Im Jahr 1841 wurde diese Inschrift wieder erneuert. Noch andere Spuren, die sich daselbst erhalten haben, sind ein „Haus Calvins“ und eine „Brücke Calvins“. Sogar eine Prozession ist in Aosta jedes Jahr üblich „zum Dank für die glückliche Bewahrung vor den Ketzern“. Nach diesen Erfahrungen faßte Calvin den Entschluß, nach Noyon zu reisen, um sein Elternhaus noch einmal zu sehen und seine Sachen zu ordnen, bevor er sein Vaterland, das ihn verstoßen, für immer verließ. Wie schwer ihm dies fiel, ersieht man aus einem Brief, den er auf seiner Flucht einem Freunde schrieb: „Man treibt mich aus dem Lande meiner Geburt; jeder Fußtritt nach der Grenze kostet mich Tränen. Nun denn, so sei es! Erträgt es die Wahrheit nicht, in Frankreich zu wohnen, so will ich mir mein Los gefallen lassen.“ Nachdem Calvin seine häuslichen Angelegenheiten in Noyon reguliert hatte, brach er nach Basel auf, begleitet von seinem Bruder Anton, mußte aber wegen des Krieges zwischen Franz I. und Karl V. einen Umweg machen in der Richtung gegen Savoyen und langte so gegen Ende August 1536 abends in Genf an, um einen Tag von der anstrengenden Reise auszuruhen und dann seinen Weg fortzusetzen gen Basel. Allein in Gottes Vorsehung war es anders beschlossen. Hier sollte sich das Schriftwort bewahrheiten: „Der Mensch nimmt sich in seinem Herzen einen Weg vor, aber der Herr lenket seinen Gang.“
Noch lange nach der Gründung unserer Freiheit 1308 sah es in Genf unfrei aus. Die auf Burgen um die Stadt her sitzenden Grafen und nach ihnen die Herzöge von Savoyen lagen in beständigem Streite bald mit den Bischöfen, bald mit deren Anhängern oder Gegnern in Genf, angeblich als die Schutzherren der alten, freien Reichsstadt, in Wahrheit aber als ihre Bedränger. Gegen diese vereinigten sich junge Genfer zu einem Bunde, um die städtischen Rechte und Freiheiten zu verteidigen und zwar sowohl gegen den Bischof als gegen den Herzog von Savoyen, welche beide ihre Gönner in der Stadt besaßen. Noch zur Zeit als die Reformation anbrach, dauerte bittere Feindschaft zwischen diesen Parteien fort. Einige büßten den Widerstand gegen das bischöfliche Regiment von Savoyen mit dem Schwert, ein anderer, Bonivard, mit vieljährigem Kerker. Genf, eine Handelsstadt mit vier weltberühmten Märkten, besaß schon damals einen bedeutenden Wohlstand und ansehnliche öffentliche Einrichtungen, eine Schule, in welcher sogar Unterricht in den klassischen Sprachen erteilt wurde und eine Reihe von wohltätigen Anstalten; aber auch eine schlimme Kehrseite von diesem allen war vorhanden, Luxus, Üppigkeit, unsittliches Wesen und Verwilderung in hohem Grade, genährt durch einen starken Andrang von Fremden und durch die Hoflager der Herzöge. Auch die Geistlichkeit befand sich auf dieser Schattenseite, sowohl die Klöster der Dominikaner, Augustiner und Franziskaner als die Weltgeistlichen. Ein sehr achtenswerter Bischof namens Champion, beschuldigte die ihm unterstellten Priester mit den Worten: „Sie führen ein ebenso verabscheuenswürdiges Leben als die übrige Herde“. Die Besseren im Volke klagten offen über die Verderbtheit der Priester. Überdies machte sich ein Gefühl des Unbefriedigtseins von dem bisherigen Glauben an die päpstliche Lehre geltend. Unter diesen Umständen fanden die reformatorischen Ideen, die von Bern her nach dem Westen sich ausbreiteten, um so leichter Eingang, wenn auch noch ganz in der Stille. Da wurde unerwartet am 9. Juni 1532 eine Losung ausgegeben, nicht unähnlich der von Luther in Wittenberg. Nämlich es fand sich an jenem Morgen auf dem Molardplatze und an den Kirchentüren ein Plakat angeschlagen des Inhalts: „Im Namen des himmlischen Vaters wird einem Jeden ein vollkommener Ablaß erteilt unter der einzigen Bedingung der Busse und des Glaubens an Jesum Christum.“ Natürlich, daß darüber der Klerus und sein Anhang in die größte Aufregung geriet als über eine frevelhafte Verhöhnung der Mutter-Kirche. Es kam zu tumultuarischen Auftritten. Ein Teil stimmte zu und freute sich über diese öffentliche Kundgebung der neuen Bestrebungen. Von jetzt an traten die, welche zur evangelischen Lehre sich hinneigten, offener hervor und wurden immer zahlreicher. Damit war der Boden ziemlich vorbereitet und gelockert, als der erste Sämann des Evangeliums in Genf erschien im Herbst des Jahres 1532.
Ein französischer Edelmann, Wilhelm Farel, vormals, wie er selbst sagt, „papistischer als das Papsttum selbst“, bis er die Messe samt dem übrigen päpstlichen Kultus als „verabscheuungswürdigen Götzendienst“ erkannte, diskutierte dann in französischer und lateinischer Sprache mit den Römischen und war fortan ein feuriger Streiter für die Reformation. Zunächst wirkte er in Frankreich, von dort vertrieben, in Basel, in Bern, Grandson, Neuchatel, Lausanne und Orbe, wo er den Viret, seinen späteren Mitarbeiter, bekehrte, und kam im Oktober 1532 nach Genf, von welcher Stadt er vernommen, daß sie sich zur Reformation hinneigte, wie er schon am 1. Oktober 1531 an Zwingli geschrieben hatte: „Ich höre, daß die Genfer mit ihren Gedanken mehr auf Christum gerichtet sind und es heißt, wenn die Fribourger sie nicht hemmten, würden sie das Evangelium schnell annehmen.“ Kaum aber hatte Farel in Genf seine Tätigkeit begonnen, indem er in einer Privatwohnung mit evangelischen Freunden sich täglich zusammengefunden, als er vom Rate eine Zitation erhielt, die ihn zur Verantwortung vor den bischöflichen Generalvikar forderte. Hier setzte man ihm heftig zu wegen kirchenfeindlicher Tätigkeit und Ruhestörung. Man fuhr in wie vor einem Inquisitions-Tribunal an: „Komm her, du arger Teufel von Farel, was ziehst du umher, die ganze Welt zu verwirren? Wer hat dich geheißen in diese Stadt zu kommen? Wer gibt die Vollmacht zu predigen?“ Farel antwortete: „Ich bin getauft auf den Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Dies ist meine Vollmacht. Nun gehe ich umher, um Jesum Christum zu verkündigen, der für unsere Sünden gestorben ist.“ „Fort mit ihm in die Rhone“, schrien die da zugegen waren, indem sie ihn hinausdrängen und ihm Fußtritte und Schläge versetzen. Draußen aber rettet ihn ein Ratsherr, indem er ihn ihren Händen entreißt und über den See nach Orbe hinführt zu Viret. Obgleich nun dieser erste Versuch gescheitert war, ließ sich Farel durchaus nicht entmutigen. Bald erscheint er wieder in Genf und zwar dies Mal auf der Kanzel der Hauptkirche St. Peter. Hier predigt er nun frei offen das Evangelium und zwar mit zündender Kraft, wie einer der Gewalt hat. Es heißt: „Die Augen senkten sich vor ihm. Er schonte nichts. Sein Wort rollte wie der Donner, seine Anklagen fielen auf die Verächter des göttlichen Wortes herab wie Feuer vom Himmel“. Jetzt schritt die Bewegung rasch vorwärts. Es folgte eine Disputation, die für die neue Lehre siegreich ablief. Am 27. August 1535 wurde das Papsttum als dahingefallen erklärt, die Klöster aufgehoben und der Bischof verabschiedet. Dies war der Anfang der Reformation, wenigstens äußerlich, aber mehr nicht. Wohl wurde das neue Bekenntnis am 21. Mai 1536 feierlich in der St. Peterskirche beschworen, aber es durfte nicht bloß Lippenwerk sein, es sollte Leben werden, mit der Reform der Lehre mußte durchaus auch eine Reform der Sitten Hand in Hand gehen, dem stand jedoch wie eine Mauer entgegen die herrschende Immoralität, Leichtlebigkeit und Verwilderung, verbunden mit einem baren Unglauben. In Reden wie im Wandel offenbarte sich vielfach der gröbste Materialismus. Der Unglaube war eine notwendige Folge davon, daß die Messe samt der Priesterschaft zwar beseitigt war, daß aber ohne Kenntnis des Evangeliums ein fester Grund für den Glauben fehlte. Gegen diese beiden Mächte, die Unsittlichkeit und den Glauben, galt es nun den Kampf aufnehmen und ein gesundes Christentum pflanzen. Dazu hatte zwar Farel einen trefflichen Gehilfen an jenem in Orbe gewonnenen Viret, der im heißesten Streit ihm treu zur Seite stand. Gleichwohl fühlten beide, daß ihre Kraft kaum hinreichend sei, um die mancherlei widerstrebenden Elemente unter dieser gemischten, gottentfremdeten Bevölkerung zu dem Ziele zu führen, das ihnen ihr Gewissen und das Wort Gottes vorschrieb. Begonnen hatten sie das Werk, aber ob sie es werden durchführen können? So fragten sie sich mit schwerem Herzen. So stand es in Genf, als Farel eines Tages durch einen Freund erfährt, jener Gelehrte, der das berühmte Buch vom christlichen Unterricht geschrieben, sei heute in einem Gasthofe der Stadt abgestiegen, um morgen weiter zu reisen.
Jetzt sagt sich Farel: „Sollte vielleicht dieser Mann sein, den Gott uns sendet, um sein Werk in dieser Stadt auszurichten?“ Und sogleich eilt er hin, wie Beza erzählt, sieht Calvin vor sich stehen und nachdem sie wenige Worte ausgetauscht, faßt er Vertrauen zu ihm und eröffnet sein Anliegen. Calvin selber schreibt über diesen Vorgang in der Vorrede seines Kommentars zu den Psalmen: „Ich wollte nur eine Nacht dort zubringen, wo noch alles in Unordnung und die Stadt in gehässige Parteien geteilt war. Da wurde ich durch einen Mann entdeckt, der es weiter mitteilte und Farel, der von einem unglaublichen Eifer beseelt war, das Evangelium zu verbreiten, strengte alle seine Kräfte an, mich zurückzuhalten. ich antwortete, ich sei ein junger Mann, der für eine solche Stellung nicht tauge, und ich könne mich nicht an ein bestimmtes Amt und eine Kirche binden, sondern wolle zunächst überall da zu nützen suchen, wo ich hinkomme; zudem sei ich mit meinen Studien noch lange nicht am Ziel und wolle mich noch einige Jahre in die Stille zurückziehen und mit Muße weiter arbeiten; auch sei ich schüchternen Wesens, was mich zu dieser Stellung nicht fähig mache.“ Allein Farel war nicht der Mann, der solche Gründe hätte gelten lassen und drang nur um so stärker in ihn, daß er dem Herrn, der ihn rufe, antworten solle: „Hier bin ich, sende mich!“ Doch konnte sich Calvin nicht entschließen. Nun habe Farel die Hand aufgehoben zur Beschwörung und mit seiner donnernden Stimme ausgerufen: „Du redest von deinen Studien und deiner Ruhe, nun so erkläre ich dir im Namen des allmächtigen Gottes, daß wenn du in so großer Not der Kirche deine Hülfe versagst und dich selber mehr suchst als Christum, daß dann Gott deine Studien und deine Ruhe verfluchen wird.“ „Dieses Wort erschreckte und erschütterte mich so sehr, daß ich von meinem Plan abstand“, schreibt Calvin. Nie wieder konnte er vergessen, wie die Donnerstimme Farels sein Gewissen getroffen habe; noch zwanzig Jahre später sagte er von jener Stunde: „Es war mir, als sähe ich die furchtbare Hand Gottes, die mich vom Himmel her ergreife und zurückhalte.“ Jetzt war sein Entschluß gefaßt und unterwarf er sich dem Willen Gottes, indem er dem Farel versprach, sobald er seine Sachen in Basel geordnet habe, wieder nach Genf zurückzukehren und ihm beizustehen. So geschah es. Fortan arbeiteten die beiden in brüderlicher Eintracht zusammen. Zunächst anerbot sich Calvin dem Rate als Lehrer der Theologie, wenn man ihn als tauglich erachte, diejenigen zu unterrichten, die tiefer in die Schrift einzudringen wünschen. Gleich in jenen ersten Wochen wurde er zu einer Disputation zwischen Evangelischen und Katholiken abgeordnet, welche Bern nach Lausanne bestellt hatte. Schon bei diesem Anlaß habe Calvin durch seine Kenntnis der Kirchenväter, deren Lehren er frei aus dem Gedächtnis zitierte, allgemeine Bewunderung auch bei den Gegnern hervorgerufen. Unter diesen notiert das amtliche Protokoll einen Barfüssermönch, der nachdem Calvin seine Rede beendigt hatte, plötzlich aufgestanden sei und das Ordenskleid wegwerfend ausgerufen habe, jetzt wisse er, was das Evangelium lehre und bitte Gott, daß er seinen Mitbrüdern die gleiche Gnade erweise, das Volk aber bitte er um Verzeihung, daß er es lange irre geführt habe. Zu der erwähnten theologischen Lehrstelle hinzu wurde an Calvin nach einigen Monaten auch das Predigtamt übertragen und ihm ein Geschenk von sechs Sonnenthalern gemacht, „da dieser Franzose bisher so viel als nichts empfangen hat“, sagt das Ratsprotokoll. So hatte Farel dem Größeren, der nach ihm kam, den Weg bereiten müssen.
Noch zwei Jahre blieb er an Calvins Seite, um dann nach Neuchatel zurückzukehren und dessen Reformation durchzuführen, gleich wie Viret diejenige von Lausanne. Daneben haben sich beide durch ihre theologischen Werke verdient gemacht. Calvin blieb mit ihnen durch innige Freundschaft verbunden, wovon ein bis zu seinem Tode dauernder Briefwechsel Zeugnis gibt. Beza, der ebenso intime und treue Freund Calvins, schreibt, indem er jenes schöne Triumvirat, besonders betreffend das Predigen hervorhebt: „Farel zeichnete sich durch viel Seelengröße und heroischen Mut aus und von dem Donner seiner Rede blieb niemand unerschüttert, sowie man seine heißen Gebete nicht anhören konnte, ohne sich dadurch gleichsam in den Himmel erhoben zu fühlen; Viret dagegen zeichnete sich durch eine so liebliche Art der Beredsamkeit aus, daß seine Zuhörer unwiderstehlich an seinen Lippen hingen; Calvin aber, so viel er Worte hören ließ, so viel tiefe Gedanken erfüllten die Seelen seiner Zuhörer“. Schon nach seiner ersten Predigt eilten viele ihm nach zu seiner Wohnung, um ihre Zufriedenheit auszudrücken und ihn zu bitten, daß er ihnen doch am folgenden Tag wieder predige. Gleich wie Farel oder noch mehr bemühte er sich, das dem Volk je gänzlich neue Evangelium nicht nur zu erklären, sondern namentlich die eng mit dem Evangelium verbundenen sittlichen Forderungen den Zuhörern ans Herz zu legen, auf daß die Reformation leben werde und neue Menschen schaffe. Damit berührte er aber wunde Stellen. Die alten Gegner Farels erkannten bald, daß jener mit diesem völlig eins sei, nur jünger, gelehrter und mächtiger als Farel. Deshalb fing schon nach kurzem die Opposition an, sich zu regen, indem man sagte: Hat man diesen nicht beauftragt, die heilige Schrift zu erklären? Mit welchem Rechte tut er denn etwas anderes, spricht von bösen Sitten? Er hat zu zeugen, daß und warum wir gut daran getan haben, die Messe, die Beichte, die Bilderverehrung, das Zeremonienwesen abzuschaffen und dem Papst samt seiner Klerisei den Abschied zu geben, das sei doch die Reformation. Woher nimmt dieser das Recht, jetzt wieder eine neue Autorität aufzustellen, ein neues Joch aufzurichten, indem er sich zum Bußprediger macht in unserer freien Stadt Genf? So glomm es schon wieder unter der Asche dessen, was soeben gestürzt worden war. An ein Neues, das an Stelle des Alten zu treten habe, dachte man nicht, von einem neuen Menschen mit besseren Sitten wollte man nichts hören. Um diese falschen Begriffe vom evangelischen Glauben aufzuklären, war Calvin gleich in den ersten Monaten darauf bedacht, den Freunden der neuen Bewegung in einer Bekenntnisschrift auseinander zu setzen, was die Reformation bedeute und wozu sie verpflichte. Zu diesem Zwecke verfaßte er einen kurzen Auszug aus seinem Buche vom christlichen Unterricht, einen Katechismus für Erwachsene; denn „man muß wissen, wer zur Kirche gehören will“, sagte er, „und ohne Katechismus kann die Kirche Gottes sich nicht halten, er gleicht dem Samen, der verhindert, daß die Saat untergehe.“ Welch großen Wert ein guter Katechismus in der Tat hat für Jung und Alt, das zeigte sich schon darin, daß dieser Genfer Katechismus die größte Verbreitung fand und in sieben Sprachen, sogar ins Griechische und Hebräische übersetzt wurde. Eine Versammlung der Bürger und des Senates nahm das so formulierte Glaubensbekenntnis feierlich an, „welches mit vieler Freudigkeit geschah den 20. Juli 1537“, sagt das Protokoll. Gleichwohl gärte es fort und besonders gegen die Einführung einer kirchlichen Zucht wurde das Murren immer größer. Man sah darin einen Eingriff in die bisherige Freiheit. Den meisten war das neue Glaubensbekenntnis insoweit recht, als es den völligen Bruch mit dem Papsttum klar bezeugte und gut begründete, aber die sittlichen Folgerungen wollten sie sich um keinen Preis gefallen lassen und so breitete sich ein verhängnisvolles Ereignis für Calvin vor. Später einmal, zurückblickend auf diese Zeit, schreibt er: „Kaum waren vier Monate vergangen, so kam eines über das andere, das uns hin und her warf. Ich, der ich bekennen muß, daß ich von Natur einen schüchternen Geist habe, bin gezwungen worden, gleich zu Anfang es mit stürmischen Fluten aufzunehmen.“ Die Feinde der neuen Ordnung hatten sich nämlich bei der Wiederbesetzung des Rates die Mehrheit zu verschaffen gewußt und so gewannen die Gegner der Sittenverbesserung immer mehr Boden. Unordnung und alte Laster nahmen wieder überhand. Die ernsten Sittenrichter verhöhnte man als ein neues Papsttum. In den gefüllten Schenken hörte man arge Spottreden über die Prediger. Wüste Banden durchzogen abends die Straßen. Ein zügelloses Volk gefiel sich, vor den Wohnungen Calvins und Farels zu rufen: „In die Rhone, in die Rhone mit den Feinden der Freiheit.“ Kurz vor dem Osterfeste schreibt Calvin an Bullinger in Zürich: „Ich kann dir nicht sagen, in welch' unseliger Lage wir uns befinden. Die Verwirrung lastet zentnerschwer auf dieser Kirche, über die der Herr uns gesetzt hat.“ Unter den politischen und konfessionellen Spaltungen, in welche die Bevölkerung von Genf damals zerrissen war, befand sich eine Partei, die sich vor anderen hervortat durch ihre unsittlichen und religionsfeindlichen Grundsätze. Es waren die sogenannten Libertiner. Diese veranstalteten jetzt, in der Passionszeit, einen Maskenzug, der die Geschichte des Evangeliums verspottete. Während solch wüster Tumult in der Stadt herrschte und alle Leidenschaften aufgeregt waren, kam der Tag der Ostern heran, wo das heilige Abendmahl gefeiert werden sollte. Zu diesem ging man im Anfang genau so, wie man gewohnt gewesen war, zur Messe zu gehen, nämlich um durch solchen Gang die Schuld des Gewissens abzuladen und um so leichteren Sinnes das alte Wesen weiter zu treiben. Nun der Ostertag da war, erklärten Calvin und Farel nach der Predigt, jeder auf seiner Kanzel, jener im St. Peter, dieser in der St. Gervasiuskirche, daß sie einer in solchen Parteiungen zerrissenen und in solcher Sittenlosigkeit dahinlebenden Stadt das Mahl des Herrn nicht austeilen können. Damit riefen sie aber einer solchen Entrüstung, daß der Rat gleich am folgenden Tag die Verbannung der beiden Prediger aussprach und zwar so, daß sie binnen dreimal vierundzwanzig Stunden die Stadt zu verlassen hätten. Calvin nahm die Sentenz mit Würde hin, indem er antwortete: „Wenn wir Menschen gedient hätten, so wären wir jetzt übel belohnt, aber wir dienen einem größeren Meister, der Jedem geben wird nach dem er gehandelt hat.“ So war es denn gekommen wie Vonivard, der frühere Gefangene von Chillon, seinen Mitbürgern vorausgesagt hatte:
„Ihr habet die Priester gehaßt, weil sie euch zu ähnlich waren; ihr werdet die Prediger hassen, weil euch zu unähnlich sind. Ihr werdet sie nicht zwei Jahre behalten, um sie dann fortzuschicken, ohne sie für ihre Mühe anders als mit Schlägen zu belohnen.“ Nach einem fruchtlosen Vermittlungsversuche Bullingers zogen sich die beiden Verbannten nach Basel zurück, das Calvin schon vor zwei Jahren als einen stillten Ort der Sammlung für seine Studien aufgesucht hatte. Allein sein Freund Bucer in Straßburg ließ ihm keine Ruhe, bis er ihn beredet hatte, sein Arbeitsfeld dort aufzuschlagen. Schmerzlich bewegt trennte sich Calvin von seinem treuen Freund und Leidensgefährten Farel, der einem Ruf nach Neuenburg folgte.
Straßburg, das seit 1525 reformiert war und eine hohe Schule mit berühmten Gelehrten besaß, unter denen besonders Joh. Sturm, ein lebhafter Verehrer Calvins, hervorragte, nahm ihn, den Verfasser der Institutionen, mit Freuden auf und betraute ihn mit der Aufgabe, theologische Vorlesungen zu halten und die französischen Flüchtlinge, die dorthin als in einen sichern Hafen sich begeben hatten, zu einer Kirche zu vereinigen. Jeden Abend hatte er ihnen zu predigen und jeden Morgen hielt er eine Vorlesung, zuerst über das Evangelium Johannes, später über den Brief an die Römer. An diesem Ort fand er nun eine empfänglichere und besser unterrichtete Zuhörerschaft als in Genf, nichts von jenen rohen Ärgernissen, nichts von jenen widerstrebenden, zügellosen Parteien. Täglich nahm die Zahl von Flüchtlingen zu, die durch den Ruf des berühmten Lehrers angezogen wurden. Bald entstand eine blühende, wohldisziplinierte Gemeinde von Emigranten, die sich glücklich schätzten, das Wort des Heils aus seinem Munde zu hören. Auch die Anabaptisten, die in Straßburg ihr neues Zion gefunden zu haben glaubten, fühlten sich sehr von Calvin angezogen und es wurden ihre Bekehrungen so zahlreich, daß sie ihre Kinder im Umkreise von fünf bis sechs Meilen ihm zur Taufe brachten. Der genannte Hochschulrektor Sturm hebt hervor: „Viele gelehrte Leute kamen Calvins halber aus Frankreich und die französische Kirche nahm bei uns von Tag zu Tag zu.“ Straßburg sah sich daher hochgeehrt durch die zahlreichen Huldigungen, die dem trefflichen Lehrer des Evangeliums und Verfasser jenes überall bekannten Buches vom christlichen Unterricht zu teil wurden und erhöhte ihm zuvorkommend seinen Gehalt. Dies war Calvin um so willkommener, da er, um vielen armen Flüchtlingen beizustehen, sich genötigt gesehen hatte, seine in Genf zurückgelassenen Bücher verkaufen zu lassen.
Um diese Zeit veranstaltete der deutsche Kaiser Zusammenkünfte von protestantischen und katholischen Theologen. Dazu wurde von Straßburg Calvin abgeordnet und finden wir ihn mit diesem Auftrag in Frankfurt, in Hagenau, in Worms, in Regensburg. Schade, daß wir auf keiner von diesen Versammlungen ihn mit Luther zusammentreffen sehen, denn sie waren gegen einander sehr wohlwollend gesinnt, wie man aus folgenden kleinen Zügen erkennen kann. Als Luther einst vernommen, daß Calvin sich gar ungünstig über ihn ausgesprochen habe, sagte er, er hoffe, daß Calvin ihm eines Tags mehr Gerechtigkeit werde widerfahren lassen und in Erwartung dessen lasse sich schon etwas von Seiten eines so guten Geistes ertragen. Als Luther ein ander Mal an Calvin einen Gruß gesandt und ihm hatte melden lassen, daß er sein Buch mit großem Vergnügen gelesen habe, obgleich es seinen Ansichten in mehreren Punkten entgegen war, schreibt Calvin an Farel: „Sieh' hier die Aufrichtigkeit Luthers! Warum gibt es doch Menschen, die sich so hartnäckig von ihm trennen!“ Und als Luther Zwinglis Lehre heftig angriff, nimmt Calvin den Angegriffenen in Schutz, kann aber doch nicht umhin, Luther sehr hoch zu stellen, indem er an Zwinglis Nachfolger schreibt: „Oh Bullinger, ich bitte dich, nie zu vergessen, welch' ein ausgezeichneter Mensch Luther ist, mit welcher Seelenkraft, mit welch' unerschütterlicher Ausdauer, mit welcher Gewalt der Lehre er sich bis zu dem heutigen Tage der Aufgabe gewidmet hat, den Antichrist zu stürzen und die Lehren des Heils zu verbreiten. Was mich betrifft, so sage ich: wenn er mich einen Teufel nennen würde, so würde ich nicht aufhören, ihn hochzuachten und ihn als einen großen Diener des Herrn anzuerkennen“. Einige Monate später schreibt er an Luther selber: „Ach wenn ich zu dir fliegen und, wäre es auch nur für einige Stunden, deine Gesellschaft genießen könnte! Aber da dieses Glück mir hienieden nicht beschieden ist, so hoffe ich, daß es uns bald im Reiche Gottes zu teil werde.“ - Überall und in allem, was in den Angelegenheiten des Reiches Gottes geschieht, erkennt Calvin das Walten der göttlich Vorsehung, selbst in jenen Religionsgesprächen mit den Katholiken, wo die Protestanten manchmal durch eigene Schuld und Lauheit nichts ausrichteten, wie auf dem Reichstage zu Hagenau, von dem Luther seiner Frau schreibt: „Es ist mit dem Reichstage zu Hagenau ein Dreck, ist Mühe und Arbeit verloren und Unkosten umsonst.“ Bei Anlaß dieser Disputation lernten sich die zwei gelehrtesten Theologen jener Zeit persönlich kennen: Melanchthon und Calvin, zuerst in Frankfurt, dann in Worms, wo Melanchthon die Gelehrsamkeit und den Geist Calvins so bewunderte, daß er ihm in offener Versammlung den Titel des „Theologen vor allen andern“ gab, welcher Ehrenname ihm geblieben ist. Sie wurden nun mit einander innig befreundet und diese Freundschaft hörte nie mehr auf, so lange sie lebten. Wie hoch Calvin Melanchthons Urteil schätzte, ersieht man aus der Zueignung einer Schrift an denselben, darin es heißt: „Wenn einige uns tadeln, so sei es uns genug, daß Gott unser Richter ist. Wo es aber auf menschliches Urteil ankommt, da hat dein einziges für mich mehr Gewicht als das aller Menschen zusammen.“ Wie zart und innig diese Freundschaft gewesen, ersieht man aus folgendem Ausruf Calvins nach dem Tode seines Freundes: „O Philipp Melanchthon, der du jetzt vor Gott mit Jesu Christo lebest und uns dort erwartest, bis der Tod uns wird vereinigt haben im Genuß des seligen Friedens, wie oft hast du mir gesagt, wenn du ermüdet von so viel Arbeit und niedergedrückt von großen Beschwerden freundschaftlich dein Haupt an meine Brust legtest: Gäbe Gott, gäbe Gott, daß ich hier stürbe! Ich aber habe tausend Mal gewünscht, daß wir das Glück hätten, länger zusammen zu leben.“
Während seines Aufenthaltes in Straßburg gab Calvin seine Institutionen in vermehrter Auflage heraus, ferner eine von ihm korrigierte französische Bibelübersetzung und den unvergleichlichen Kommentar zu dem Brief an die Römer. Dieser Brief, den die Protestanten nach dem Vorgang Luthers von jeher bevorzugt haben, war aus dem gleichen Grunde auch Calvin besonders lieb und teuer. Hier findet sich ja die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben am klarsten hervorgehoben gegenüber der römischen Werkheiligkeit, desgleichen die Lehre von der natürlichen Verderbnis des Menschen, des sündhaft geborenen, der nichts ist aus sich selber und aus eigener Kraft nichts Gutes vermag, besonders aber die Lehre von der Gnadenwahl, von den unergründlichen Ratschlüssen Gottes, der in seiner Majestät tut was er will, nicht was wir kurzsichtige Staubgeborene wollen. Die streng logische Entwicklung dieser Lehre durch den Apostel Paulus mußte ja den scharfen Denker Calvin besonders anziehen. Er stellte den Römerbrief so hoch, daß er sagt, nie genug könne man diese Schrift lesen, erklären und der Gemeinde vorlegen, denn sie sei der Schlüssel des Wortes Gottes und wer sie verstehe, vor dem seien die Pforten des Heiligtums aufgetan. Mit sichtbarer Vorliebe ist Calvin an diese Auslegung gegangen und hat darin so Vorzügliches geleistet, daß dieser Kommentar über den Römerbrief für den besten gehalten wird bis auf den heutigen Tag. In diesem wie in allen seinen Kommentaren hat der die Methode befolgt, der auch die neuesten Ausleger den Vorzug vor jeder andern geben, nämlich die grammatisch-historische, wonach der Sinn eines jeden Satzes sprachlich aufs genaueste festgestellt und dann im Zusammenhang mit den dahin gehörenden geschichtlichen Verhältnissen erwogen wird. Bei diesem wissenschaftlichen Verfahren und der großen Gewissenhaftigkeit Calvins konnte er nicht anders als zu einer freieren Auslegung gelangen, als manche vor ihm, so daß er zum Beispiel in den Psalmen häufig nur David fand, wo man früher Christum finden wollte. Ebenso zeigte es sich ihm in manchen prophetischen Stellen, daß sie beim Lichte besehen einen andern Sinn haben als den von Heilswahrheiten des Neuen Bundes. Man müßte sich ja vor den Juden schämen, sagte Calvin, wenn man ihre Schriften so unrichtig auslegte, als wäre schon das Christentum in denselben enthalten. Daß man sich im Ausdruck der Kürze und der Klarheit befleissen soll, war ein in allen seinen Kommentaren befolgter Grundsatz. Welch' große Anerkennung seine Auslegung der heiligen Schrift gefunden, das zeigen folgende Urteile von neueren Gelehrten. Tholuk sagt: „Man bewundert mit Recht an Calvin seinen einfachen Stil, den exegetischen Takt, die vielseitige Gelehrsamkeit und den tiefchristlichen Sinn. Überall fühlt man das Herz durch und es möchten wenige Kirchenlehrer sein, welche mit der römischen Latinität Calvins einen solchen Ausdruck christlicher Wärme, mit so viel Würde so viel Gemüt verbinden.“ Calvins Biograph Stähelin schreibt: „Jedem Satze in seiner Auslegung fühlt man es ab, daß er im Innersten davon durchdrungen ist als von dem Worte des Heils, dem Worte, das die verlorenen Seelen selig machen soll. Wo man nur immer einen seiner Kommentare aufschlägt, wird man sich angeweht fühlen von einem Hauche der Belehrung über Gottes Geheimnisse, der Ermahnung, der Tröstung, der innigsten Glaubensüberzeugung, die wieder dieselbe Überzeugung in das Herz des Lesers überträgt.“ Die Kommentare Calvins verbreiten sich über die meisten Bücher des Alten und über alle Bücher des Neuen Testamentes mit Ausnahme der Offenbarung Johannes. Unter den Kommentatoren des Alten Testamentes gilt besonders der über die Psalmen als ein Meisterwerk. Ähnliche Beliebtheit haben die 159 Homilien über Hiob erfahren. Der schwer geprüfte Admiral Coligny hielt sie so hoch, daß er sie seiner täglichen Andacht zu Grunde legte. Endlich noch eine Bemerkung von dem Historiker Bungener: „Die moderne Exegese hat oft die Überraschung gehabt, zu entdecken, daß das, was sie für neu hielt, von Calvin schon vor drei Jahrhunderten dargetan war; oft ist man auch, nachdem man diese oder jene seiner Auslegungen verworfen hatte, in unsern Tagen zu derselben als der besten zurückgekehrt.“ Schon in Straßburg bewältigte Calvin so viel Arbeit, daß man erstaunte, wo er neben seinen Predigten, Vorlesungen, Reisen, seinen großen Korrespondenzen, seinen Bemühungen für die Verfolgten, für Einzelne und Gemeinden, noch zu diesen gelehrten Arbeiten die Zeit hernahm. Und doch fällt in die Jahre des Straßburger Aufenthaltes auch noch eine wichtige häusliche Angelegenheit, nämlich seine Verheiratung. „Was ich besonders bei einer Lebensgefährtin zu finden wünsche“, hatte er einem Freunde geschrieben. „ist, daß sie sanft, keusch, bescheiden, sparsam, geduldig sei und besorgt um die Gesundheit ihres Mannes.“ So muß er, obgleich erst 30 Jahre alt, hinzusetzen, weil oft an heftiger Migräne leidend und ohnehin nicht von starker Konstitution. Was er suchte, das glaubte sein Freund Bucer, dem er dieses Anliegen aufgetragen, gefunden zu haben in der Witwe eines gebildeten Mannes, den Calvin von der Wiedertäuferei bekehrt hatte, einer Frau, die sich damals und seitdem als eine Christin mit vortrefflichen Eigenschaften bewährte. Sie hieß Idelette von Bure und wird eine „fein gebildete“ Frau genannt. „Als Aussteuer brachte sie ihm eine ernste Frömmigkeit, eine fürsorgliche Zärtlichkeit und eine Seele, welche zu allen Opfern bereit war.“ Wie treu sie in der Folge ihrem viel geprüften Gatten zur Seite stand und seine Leiden mit ihm teilte, wird uns die Zeit der Reformation in Genf erkennen lassen. Dorthin waren auch während des Exils in Straßburg die Blicke Calvins noch immer gerichtet. Nie in seinem Leben konnte er den Ruf von Gott vergessen, der in Genf ihn festgebannt hatte wie einst die Stimme des Herrn den Saul bei Damaskus. Seinen Feinden hatte er verziehen und eine innige Teilnahme an dem Schicksal der dortigen Gemeinde spricht sich fortwährend in der Korrespondenz mit Farel aus. Kaum sechs Monate nachdem er Genf verlassen, richtet er einen rührenden, von apostolischer Liebe eingegebenen Brief „an seine vielgeliebten Brüder in unserem Herrn, welche sind die Reliquien der Zerstörung der Kirche Genfs“ und da er vernommen, daß sie auch mit den neuen Predigern sich wieder stritten, ermahnt er sie, mit den Unvollkommenheiten derselben Geduld zu haben: „Wenn auch etwas gegen sie zu sagen wäre, so müßt ihr bedenken, daß kein Mensch in der Welt ohne Fehler ist. Wenn das Gebot der Liebe uns befiehlt, nicht leichtsinnig unser Nächsten zu beurteilen, sondern in unserem Urteil so viel Milde und Nachsicht wie möglich zu zeigen, um so mehr sollen wir frei von Leidenschaft sein gegen die, welche Gott über uns gesetzt hat.“ Als nach Ostern 1538 Calvin und Farel aus Genf vertrieben waren, triumphierten die Feinde der Ordnung und alle Bande waren los, bacchantische Rotten durchzogen die Stadt, liederliche Lieder singend, schreiend, drohend, jeden Prediger, der noch gefunden werde, in die Rhone zu werfen. Der Rat erließ zwar strenge Verordnungen, war aber ohnmächtig, sie zu vollziehen. Gesetzlosigkeit, Anarchie nahm überhand. Diese rückgängige Bewegung der Reformation wahrnehmend, versuchte der Papst, sie in ihrem Keime wieder zu ersticken, indem er durch den Bischof Sadolet, den früheren Kardinal, an Senat und Volk von Genf einen honigsüßen Brief richtete, durch den sie eingeladen wurden, in die Mutterkirche zurückzukehren. Gar freundlich lautete schon die Einleitung des Briefes: „Nicht erst jetzt, meine Teuren, habe ich solchen Willen und gute Zuneigung zu euch, nein gleich am ersten Tage, da ihr euch der Reformation zugeneigt und euch damit zu allen Arten von Übeln verurteilt habet. Meine Liebe zu euch macht es mir zur Pflicht, zu euch zu sprechen.“ In diesem sanften Ton fährt er fort, schreibt so am 18. März 1539, nachdem erst vier Wochen vorher diese liebreiche Mutterkirche nur einige Stunden von Genf entfernt zwei evangelische Bürger dieser Stadt hatte verbrennen lassen! Das Schreiben des Bischofs verfehlte daher ganz seinen Zweck. Man fragte sich bloß: wer ist bereit und fähig, eine bündige Antwort zu geben? Die Prediger wichen aus, andere konnten es nicht, schon aus dem Grunde, weil es in der Kirchensprache, der lateinischen, gleich dem Schreiben des Bischofs, geschehen mußte. Nur einer wurde genannt, der es wohl könnte. Anfangs leise, dann immer lauter wurde sein Name ausgesprochen: „Calvin, den wir vertrieben haben.“ Er vernahm es und weil er sich noch immer gewissermaßen als den Seelsorger von Genf betrachtete, war er schnell mit der Antwort an Sadolet bereit. Zuerst erklärt er ihm darin, daß er von seinem Gewissen angetrieben werden, sich der Kirche anzunehmen, die ihn verbannt habe: „Wenn ich auch jetzt dort mein Amt nicht mehr verwalte, so kann und soll mich dies nicht hindern, ihr Treue und Glauben zu halten. Wie sollte ich nicht Sorge tragen für diese Stadt Gottes, von welcher ich meinen Geist nicht abwenden kann, noch sie weniger lieben als meine eigene Seele.“ Dann widerlegt er treffend, wohlgezielt wie Hammerschläge alle Punkte, welche Sadolet ins Feld geführt, und verteidigt schlagend die protestantische Kirche, ihre Lehre, ihre Sakramente, ihren Gottesdienst, ihre Disziplin. Am einläßlichsten verbreitete er sich über die zwei Hauptdifferenzen, die Rechtfertigung durch den Glauben und das Abendmahl. Dann widerlegt er noch die Verleumdung der Prediger, die Sadolet der Geldliebe und des Geizes beschuldigt hatte: „Du ein Kardinal der römischen Kirche, vom Papst mit Reichtümern überschüttet, prangend vom Schweiße der Gläubigen, in Fülle und Glanz dahinlebend, du wagst so etwas zu sagen von uns armen Geistlichen, von denen jedermann weiß, daß sie nur mit Mühe Nahrung und Kleidung haben?“ Der Schluß lautet: „So gehe denn hin, Sadolet, und klage uns an, wenn du den Mut hast, wir seien Friedensstörer, die wir dasselbe tun, was die Apostel taten. Gebe Gott, Sadolet, daß du und alle andern einst einsehen, es gebe kein anderes Band der Einheit als daß Christus der Herr, der uns mit Gott dem Vater versöhnt hat, uns sammle aus dieser Zerstreuung zu der Einheit seines Leibes, damit wir durch sein Wort und seinen Geist zusammenwachsen in „Ein Herz und Eine Seele.“ Dieses Sendschreiben Calvins brachte einen großen Eindruck hervor. Es durchlief ganz Europa. Auch Luther soll großes Wohlgefallen an dieser freimütigen Sprache gefunden und gesagt haben: „Das ist eine Schrift, die Hände und Füße hat. Ich freue mich darüber, daß Gott solche Menschen erstehen läßt. Sie werden das fortsetzen, was ich gegen den Antichrist begonnen habe und mit Gottes Beistand werden sie es vollenden.“ Sadolet schwieg. Der Sieg über ihn war unbestreitbar. In Genf war nur Eine Stimme des Lobes über Calvin, „über den gelehrten und in Genf so innig liebenden Calvin.“ So hatte sich die Stimmung geändert, hatte sich sogar in Dankbarkeit umgewandelt gegen den, der ihnen so große Dienste leistete. Jetzt mußte es sich auch noch fügen, daß die vier ärgsten Feinde Calvins, die seine Verbannung betrieben hatten, ein böses Ende nahmen. Einer wurde eines Aufruhrs überwiesen und brach bei seiner Flucht durch ein Fenster den Hals, ein anderer war eines Mordes beschuldigt und enthauptet worden, zwei hatten sich, weil des Hochverrats angeklagt, durch die Flucht der Strafe entzogen. Nun also die gegnerischen Stimmen verstummt waren, diese „turbatores populi“, wie der Magistrat sie nannte, fing man allgemein an, das an den Predigern, besonders an Calvin, begangene Unrecht einzusehen. Man ersuchte den Rat, die Dinge wieder auf den Fuß zu bringen, auf dem sie vor vier Jahren gestanden hatten. Damit war die Rückberufung Calvins eingeleitet.
Am 21. September 1540 beauftragte der Rat in Genf eines seiner Mitglieder, „Mittel ausfindig zu machen, ob man Meister Calvin dahin bringen könnte, zurückzukehren.“ Zu diesem Ende wurde zunächst Farel in Neuenburg zurückerbeten, aber von der dortigen Behörde verweigert. Gleichzeitig bat man ihn, da er über Calvin das Meiste vermöge, daß er nach Straßburg reisen möchte, um diesen zur Rückkehr zu bewegen. Allein wie Neuenburg den Farel verweigerte, so war vorauszusehen, daß auch die Straßburger ihren so hochangesehenen Lehrer zurückhalten werden. Sie antworteten: „Wir wünschen euch Glück, daß ein so guter Geist euch antreibt, an diesen euern treuen Seelsorger zu denken, denn wahrlich Christus selbst wird verachtet, wenn solche würdige Prediger verworfen werden; allein da er morgen oder in zwei Tagen an den Reichstag zu Worms abgeordnet werden soll, so scheint es nicht ratsam, daß Calvin dem Rufe widerstrebe, mit dem der Herr ihn zu solchen vom Kaiser angeordneten Religionsgesprächen sendet.“ Doch die Genfer gaben nicht nach. Beinahe Tag für Tag verhandelt der Rat im Oktober 1540 in dieser Sache. Man liest in den Protokollen: 13. Oktober „beschlossen, an Herrn Calvin einen Brief zu schreiben, daß er uns beistehen wolle“. Am 19. Oktober: „damit die Ehre und der Ruhm Gottes befördert werde, beschlossen, das Möglichste zu tun, um Meister Calvin zum Prediger zu haben“. Am 20. Oktober behandelt auch der Rat der Zweihundert diese Angelegenheit und heißt es in den Registern desselben: „Es ist beschlossen, nach Straßburg zu schicken, um Meister Johann Calvinus, der sehr gelehrt ist, bitten zu lassen, daß er in unserer Stadt der evangelische Prediger werden.“ Beinahe ein ganzes Jahr lang ziehen sich diese Bemühungen der Genfer hin. Der Magistrat von Straßburg schlug die Bitte höflich und entschieden ab. Doch mit der Schwierigkeit stieg der Eifer von Regierung und Volk, ihren Calvin wieder zu bekommen. Deputierte von Genf kamen nach Straßburg und als sie ihn da nicht fanden, suchten sie ihn in Worms auf. Es wird gemeldet, während sie da einander persönlich gegenüberstanden, seien sie sehr ergriffen worden, und Calvin erzählt von sich:
„Ich mußte mich zweimal zurückziehen und vergoß mehr Tränen, als ich Worte sprach“. Zu einem Entschluß brachte er es noch nicht. Auch die Berner, die Basler und besonders die Zürcher wurden vom Genfer Rate um ihre Fürsprache angegangen, indem er an die letzteren schrieb: „Von der Stunde an, da die Prediger vertrieben waren, hatten wir nichts als Unruhen, Entzweiungen, Streitigkeiten, Parteiungen, Aufruhr, Totschläge“. Calvin berichtet seinem Farel: „Die Zürcher haben neuerdings die unserigen gewaltig angegangen, daß sie meinem Weggang nicht hinderlich sein sollten, auch mich haben sie in besonderen Briefen beschworen, diesen Ruf nicht zu verwerfen“. Bullinger selbst hatte einen dringenden Brief an die Straßburger geschrieben. Auch Farel und Vinet hörten nicht auf, Calvin zuzureden. Dagegen strengte sich Bucer in Straßburg sehr an, Calvin dort zu behalten. Inzwischen hatte Lausanne seinen Viret den Genfern für sechs Moante geliehen. Für Calvin war dies eine schwere Zeit, es kämpfte gewaltig in seinem Innern: Hier in Straßburg ein ruhiges Arbeiten in tiefem Frieden, dort in Genf Krieg, Widerstand, leichtfertiges Wesen, ein Wogen der Leidenschaften, aber dennoch ein Anfang der Kirche Gottes, dennoch sein früheres Arbeitsfeld und jetzt wieder dieser laute Ruf, hinzugehen. Das zog ihn nach Genf und doch graute es ihm davor. In dieser Not schüttet er sein Herz dem Freunde Farel aus: „So oft ich daran denke, wie unglücklich ich in Genf gewesen bin, erzittere ich in meinem Innern, wenn von Rückkehr die Rede ist. Ich weiß wohl, daß wo ich auch hingehe, ich immer Leiden antreffen werde und daß, wenn ich für Christus leben will, das Leben ein Kampf sein muß, aber wenn ich bedenke, durch welche Foltern mein Gewissen gepeinigt worden ist, welche Qualen mich gemartert haben, so verzeihe, wenn ich jenen Ort als Unheil bringend fürchte. Du sagst mir, wenn ich Genf aufgebe, so sei die Kirche in Gefahr. Ich kann dir nichts anderes antworten, als was ich dir schon gesagt habe: Es gibt keinen Ort der mich so erschreckt wie Genf.“ Ähnlich in einem neuen Schreiben: „Ich bin in meiner Seele in solcher Verwirrung und Dunkelheit, daß ich nicht sehe, was ich in dieser Sache zu tun habe. Unterdessen wollen wir den Herrn bitten, daß er uns den rechten Weg zeige.“ Er wurde ihm gezeigt, es war der Weg der Pflicht. Sobald er die Pflicht klar und unzweifelhaft erkannte, war er entschlossen. Damit war Furcht und eigenes Wollen überwunden, so daß er sagen konnte: „Nicht wie ich will, oh Gott, sondern wie du willst. Mein Herz sei dem Herrn zum Opfer gebracht.“ Zu diesem Entscheid war es also gekommen. Fest stand der Entschluß, zurückzukehren. Im Rückblick auf jene Tage schreibt er später: „Obgleich das Heil dieser Kirche mir so am Herzen lag, daß ich wohl mein Leben für sie gelassen hätte, so flüsterte mir doch meine Schüchternheit eine Menge von Ausreden zu, daß ich nicht von neuem meine Schultern unter dies Last beugen möchte. Endlich siegte das Pflichtgefühl und der Glaube, freilich mit wie viel Kummer, mit wie viel Tränen, mit welcher Angst, dessen ist Gott mein Zeuge.“
Aus dem vorigen ersieht man Gottes Walten auf beiden Seiten: Auf Seiten Genfs mußte der freche Leichtsinn dieser Stadt zuvor in den Staub gebeugt werden. Sie mußten flehentlich den erbitten, den sie vertrieben hatten, mußten jeden Augenblick fürchten, ihn wieder zu verlieren, wenn sie sich ihm nicht fügten. Aber auch in Calvins Leben war ein Wendepunkt eingetreten. In ihm mußte alles untergehen, was eigener Wille, was Menschenfurcht und Leidensscheu war, und aus der völligen Hingabe an Gott mußte eine neue Kraft in ihm erwachen, alles zu überwinden. Von da an sehen wir ihn nie mehr in Angst, in Schüchternheit und Bedenklichkeiten, sondern fortan steht er da als ein gereifter Mann Gottes, ein Werkzeug seines Wortes und Geistes, stark, unverrückt im Dienste der Wahrheit bis ans Ende. Sogleich nachdem Calvin sein Jawort gegeben, rüstete man sich in Genf zu seinem Empfang. Straßburg wollte ihn zwar nur beurlaubt haben, so großes Gewicht legte sowohl der Senat der Hochschule als auch die Stadtbehörde auf den Besitz des großen Mannes. Aber am 19. August 1541 beschloß man in Genf, ihn holen zu lassen. Der Rat befiehlt, daß drei Pferde gekauft werden samt einem Wagen, um Calvins Frau und ihre Wirtschaft zu holen, wobei der Begleiter mit Geld und allem, was in solchem Falle nötig ist, versehen werden soll. Im weiteren werden „36 Taler bewilligt an Eustach Vincent, unsern berittenen Herold, um Meister Calvin in Straßburg abzuholen.“ Der Rat von Neuchâtel wird gebeten, „daß er den Prediger Farel bevollmächtigte, seinem Freunde Calvin bis Genf Gesellschaft zu leisten“. Die Kanzel im St. Peter wird bequemer eingerichtet. Mehrfach wird verhandelt über eine passende Wohnung und schließlich eine solche nächst dem St. Peter in der Rue des Chanoines aufs beste zubereitet. „Acht Sonnentaler werden ausgesetzt, um Herrn Calvin einen Rock machen zu lassen.“ Zwei Ratsherren bekommen den Auftrag, Herrn Calvin, wann er angekommen ist, in seine Wohnung zu begleiten „in Erwartung, daß er am Abend hier sein soll“.
Das war der 13. September 1541. Man sah Calvins Ankunft als eine besondere Gnade Gottes an. Unter dem Jubel der Bevölkerung traf er ein. Wie im Triumphe wurde er vom Magistrat und der Bürgerschaft empfangen und von zwei Mitgliedern des Rats in seine Wohnung begleitet. Auch der Magistrat von Straßburg hatte dem Scheidenden noch ein ehrendes Andenken mitgegeben, nämlich einen Brief an die Behörden von Genf, darin sie das große Opfer betonten, das sie durch die Entlassung eines solchen Mannes bringen. Ein gleich ehrendes Zeugnis gab ihm die Geistlichkeit jener Stadt mit den Worten: „Nun kommt er endlich zu euch, Calvin, ein auserwähltes und unvergleichliches Rüstzeug Gottes, ein Mann, dem unsere Zeit kaum einen Zweiten an die Seite zu stellen hat.“ Ausdrücklich aber wird in dem ersten Schreiben der Vorbehalt einer späteren Rückkehr beigefügt. Wohl deswegen heißt es in einem Ratsprotokoll aus jenen Tagen. „Man bittet Calvin inständig, auf immer hier zu bleiben.“ Wirklich wurde in diesem Sinn noch einmal den Straßburgern geschrieben, worauf sie zwar nachgaben, jedoch ihre Hoffnung noch immer nicht ganz fahren ließen; denn nicht nur bestätigten sie ihm auf alle Zeit sein dortiges Bürgerrecht, sondern ließen ihm sogar seine Ämter und seinen Gehalt. Dies lehnte aber Calvin entschieden ab, gehörte er ja hinfort Genf an.
Mit Recht schreibt Henry: „Da Calvin mit solchem Widerstreben sein großes Amt übernahm, sich Gewalt antuend und im eigentlichen Sinn sich opfernd, so kann dies einiges Licht auf die etwas rauhe Kraft werden, die sich in ihm entwickelte. Er scheint den Entschluß gefaßt zu haben, nun mit eiserner Festigkeit gegen alle Schwierigkeiten die Gotteskirche zu bauen. Es bildete sich jetzt neben seiner sittlichen Strenge, seinem Eifer für die Wahrheit, ein ordentlicher Haß gegen die Lüge, gegen Unglauben, Hinterlist, Lauheit und das leichtfertige Leben aus, welches er in Genf fand. Er verlangte von andern auch Opfer, da er selbst ein so großes gebracht hatte.“ Das Erste, was er jetzt verlangte, war kirchliche und sittliche Ordnung. Schon in Worms, als Abgeordnete von Genf bei ihm waren, stellte er die Forderung einer kirchlichen Aufsichtsbehörde als Bedingung für den Fall, wo er sich zur Rückkehr entschließen sollte. „Gern gaben die Genfer Behörden, denen damals kein Preis zu hoch schien, die verlangte Zusage, und noch ehe Calvin zurückgekehrt war, wurde vom Rat die Gründung eines Sittengerichtes (Consistorium) beschlossen“, laut Ratsprotokoll vom 23. April 1541, wo es heißt: „Befohlen, daß ein Consistorium errichtet werden soll, sei es, um über kirchliche Angelegenheit zu richten, sei es, um Mehreren, die schlecht leben, Vorstellungen zu machen.“ Die genauere Ausführung wurde verschoben, bis Calvin da sei. Schon in den ersten Tagen nach seiner Ankunft bittet er daher den Rat, Ordnung in die Kirche zu bringen und diese Ordnung in Schrift niederzulegen: „Wir müssen den Feinden zeigen, daß wir das Joch des Antichrists nur abgeschüttelt haben, um das Joch Christi auf uns zu nehmen. Die Disziplin ist der Nerv der Kirche. Schon dies Eine, daß wir den Namen der reformierten Kirche tragen, verpflichtet uns dazu.“
Als das dringendste in dieser neuen Ordnung, die Ordonanzen genannt, erschien die Aufstellung einer kirchlichen Aufsichtsbehörde. Sie wurde zusammengesetzt eines Teils aus Geistlichen, zum andern Teil aus einer doppelt so großen Anzahl von Weltlichen, Älteste genannt, also ein demokratisches Kollegium. Es hatte neben der Aufsicht über die Sitten zugleich die Kompetenz eines Sittengerichtes, indem es Fehlbare zur Rechenschaft zog und Strafen verhängte, mitunter sehr empfindliche Strafen, wenn schon bloß moralische und kirchliche. Diese neue Ordnung wurde nach zweimonatlichen Verhandlungen schon am 2. Januar 1542 von allem Volke angenommen, ohne daß eine einzige Stimme sich dagegen erhoben hätte. Und doch enthielt sie strenge Bestimmungen und regelten die kleinsten Verhältnisse der Bürger. Zum Beispiel das Spielen und Tanzen im Ring ward gänzlich verboten. Dabei ist aber zu bedenken, daß diese Vergnügungen nicht selten in Ärgernisse ausarteten, wie keine rechtschaffene Polizei sie jemals gestatten würde. Alle Unordnungen jener Zeit trugen den Stempel der vorigen Jahrhunderte, die Leidenschaften arteten leicht in einen rohen, wilden Zynismus aus, zumal bei diesem südländischen, aus Savoyarden, Italienern und Schweizern gemischten Grenzvolke. Hazardspiele, Tänze, Trunkenheit, Gotteslästerungen waren schon in der alten Kirche der Gegenstand strenger, freilich lax beobachteter Verordnungen gewesen. Daher sagte Calvin: „Was unter der verderbten Kirche verboten war, sollte es unter dem Evangelium erlaubt sein?“ Auch gegen Luxus in Schmuck, Kleidern, Gastmählern usw. findet man in den Ordonanzen einläßliche Vorschriften. Der Zweck war, daß jedermann sich anständig und einfach nach seinem Stand zu halten habe, und daß die Begüterten den andern ein gutes Beispiel christlicher Bescheidenheit geben sollten, so auch Väter und Mütter ihren Kindern. Wenn wir da lesen, daß bei Hochzeiten und andern Anlässen sogar die Art der Gerichte bei Busse vorgeschrieben wird, ebenso die Zahl der Gäste, das Maß der Geschenke, der Schnitt der Kleider, so ist anzunehmen, daß beim Entwerfen der neuen Ordnung nicht Calvin allein, und wahrscheinlich er am wenigsten mit solchen Kleinigkeiten sich befaßte, sondern eine mehrgliedrige Kommission des Rates, der in seinem Eifer nicht genug tun konnte, um dem Prinzip apostolischer Einfachheit gerecht zu werden, das Calvin ihm zur Überzeugung gebracht hatte. Nicht nur die Aufführung im allgemeinen, sondern sogar das Reden und die Grundsätze der Bürger hatte das Consistorium zu überwachen. Seinen Mitgliedern war die Pflicht überbunden, jedes Haus, das des vornehmsten wie des Geringsten, wenigstens ein Mal im Jahr zu betreten, um die Gesinnung und das Verhalten seiner Bewohner zu prüfen. Was sie dabei im Stillen an Übelständen entdeckten, sollten sie auch im Stillen zu ordnen suchen. Wo hingegen öffentliches Ärgernis vorhanden war, da hatte der Schuldige vor dem versammelten Consistorium zu erscheinen, um zurechtgewiesen zu werden. Im äussersten Fall wurde die Excommunikation ausgesprochen, das heißt die Ausschließung von der heiligsten Handlung der Christen, dem heiligen Abendmahl. Diese Ausschließung galt jedoch nur so lange, bis der Schuldige Reue zeigte und Besserung gelobte. Wie mild Calvin selbst in diesem Punkt urteilte, geht aus folgender Äußerung hervor: „Die, welche nicht im Glauben mit uns übereinstimmen, oder ihn durch Wandel verleugnen, sind für jetzt keine Glieder der Kirche, also von der Gemeinschaft auszuschließen; doch sollen wir nicht so an ihnen verzweifeln, als wären sie ganz von Gott verworfen. Auch von den Lasterhaften steht zu hoffen, daß sie sich unter Gottes Leitung immer mehr vollenden werden, bis sie alle Unvollkommenheiten ausgezogen haben und eingehen werden zu der ewigen Seligkeit der Erwählten. Obgleich es nicht erlaubt ist, mit Excommunizierten Umgang zu pflegen, sollen wir doch durch Ermahnung, Lehre, Sanftmut, Freundlichkeit und unser Gebet zu Gott trachten, sie in die Gemeinschaft zurückzuführen.“ Eine weitere Strafbefugnis als solche kirchliche und moralische besaß das Consistorium nicht. Über alle Vergehen, die strafwürdiger waren, richtete der weltliche Arm. Die weltliche Behörde war es, die Gefangenschaft verhängte, Todesurteile aussprach. Solcher wurden freilich zu jenen Zeiten viele gefällt, aber nicht etwa allein in Genf, sondern ebenso in andern Ländern ringsumher, und die in Genf vollzogenen nicht etwa am meisten zu Lebzeiten Calvins, sondern in größerer Zahl vor- und nachher. Weit entfernt, daß die kirchliche Strenge, mit der unter Calvin über die Sitten gewacht und das Laster bestraft wurde, gutdenkende Bürger erschreckt hätte, übte vielmehr eine so große Anziehungskraft aus, daß man von allen Seiten dieser Stadt zuströmte, um ihr junge Leute zur Bewahrung und Bildung zu übergeben.
Eine zweite Ordnung, die Calvin in der Kirche einführte, bezog sich auf die Prediger, ihre Aufgabe, Pflichten, die Lehre und den Gottesdienst. Calvin nennt dieses Amt nach dem Vorbild der Urkirche „das apostolische Hirtenamt, das wichtigste, erhabenste, notwendiger als Sonnenlicht und Wärme, Speise und Trank“. Er führt weiter aus: die Prediger sollen bedenken, daß der Herr sie zu Aufsehern und Wächtern über sein Volk bestimmt hat, und daß er sie nennt ein Salz der Erde, ein Licht der Welt, Abgesandte Gottes, seine Mitarbeiter. Sie sollen die Säulen der Kirche sein. Niemand darf ohne Befugnis in dieses Amt sich eindrängen. Wer zum Dienste des Wortes sich meldet, wird geprüft, ob er gute und gesunde Kenntnis in der heiligen Schrift hat, und ob er fähig ist, sie zur Erbauung der Gemeinde vorzutragen, und ob sein Leben sittlich ist, so daß er sich immer tadellos aufgeführt hat; denn wo die Reinheit des Charakters fehlt, da sind Gelehrsamkeit und Beredtsamkeit eitel Rauch. Geprüft und ordiniert werden die Prediger durch „die ehrwürdige Genossenschaft“ (la vénérable compagnie). So hieß das Kollegium der Stadtpfarrer und der umliegenden Gemeinden. Später, als die Akademie gestiftet war, gehörten zu diesem Kollegium auch die Lehrer der Theologie. Die Wahl der Prediger ist ein Vorrecht der Gemeinde. Als der Stellvertreter Gottes soll der Geistliche das sittlich-religiöse Leben der Gemeinde dem göttlichen Willen gemäß leiten und gestalten. Für jede einzelne Seele muß er Rechenschaft ablegen. Seine erste Pflicht ist, daß er sich stets mit der heiligen Schrift in Übereinstimmung befinde, denn nur als treuer, gewissenhafter Verkündiger des göttlichen Wortes hat er Anspruch auf das Vertrauen der Gemeinde. Sowie er nicht mehr das reine Evangelium verkündet, erlischt sein Rechtstitel. Eifrig in den Arbeiten seines Berufes, in Predigt und Unterricht, in Krankenbesuch und Zurechtweisung wie nicht minder im Studium, namentlich der heiligen Schriften, sei er auch in seinem Privatleben ohne Tadel. Er soll stets bedenken, daß die ganze Gemeinde auf sein Beispiel blickt und daß er deshalb höheren Anforderungen zu genügen hat, als der einfache Gläubige. Er sei bescheiden und verträglich, nicht herrschsüchtig und anmaßend, aber ebensowenig ein Schmeichler des Volkes und der Behörden. Er hüte sich vor Geiz und Habsucht, vor Zorn und Streitsucht. Er teile den Armen und Kranken von dem Seinigen mit. Er sei behutsam in Worten wie in Handlungen. Er wird auch den Schein des Bösen meiden, wird stets auf einen guten Ruf halten, denn niemandem ist der gute Ruf nötiger als ihm, damit das Wort Gottes nicht durch den üblen Ruf seiner Diener in Unehre gerate. In dieser Weise wollte Calvin das apostolische Hirtenamt bestellt sehen. Einstweilen aber stand er, da auch Viret nach Lausanne berufen war, noch ziemlich allein da, ohne allseits treue Kollegen. An denen, die da waren um die Stadt her, und die durchweg vorher dem Papsttum gedient hatte, erlebte er die bittersten Enttäuschungen: den einen mußte er zurechtweisen wegen Nachlässigkeit in der Seelsorge, im Krankenbesuch, im Predigen, andere wegen anstößigen Sitten wegen argem Fluchen, wegen Wirtshausleben. Bei seinen Vorstellungen kam es zuweilen zu stürmischen Auftritten, er wurde mit Hohn abgewiesen. Ob diesen Sorgen äußert er zu einem Freunde: „Jetzt erfahre ich zum zweiten Mal, was es heißt, in Genf zu leben.“ So nahm er denn auf die eigenen Schultern, was die Anderen nicht taten, begab sich öfter selber hinaus in die übel bedienten Landgemeinden und predigte ihnen. Nebst dem hatte er in der eigenen Kirche jede andere Woche Tag für Tag zu predigen. Der sonntägliche Gottesdienst wurde in jeder Kirche zwei mal gehalten, mit Predigt, Gebet und Psalmengesang. Auch war eine Erbauungsstunde für die Jugend eingerichtet, und dazu ein kleiner Katechismus von ihm ausgearbeitet worden. Überhaupt von der Wichtigkeit eines guten Jugendunterrichtes für die Sache der Reformation lebhaft überzeugt, bemühte sich Calvin gleich von Anfang an um eine ersprießliche Schulbildung. Einen treuen Lehrer, der seiner Zeit mit ihm und Farel vertrieben worden war, suchte er dadurch zu schleuniger Rückkehr zu bewegen, daß er sich anerbot, ihn im eigenen Hause zu beherbergen, bis er fest angestellt sein würde. Um auch den Gesang in der Kirche zu fördern, bewirkte er die Anstellung eines Musiklehrers, der mit den Kindern die Gesänge einübte, wonach sie von diesen im Gottesdienst vorgetragen und dadurch auch den Erwachsenen durch Anhören geläufig wurden. Damit aber jedermann der Text selber in die Hand gegeben werden könne, ließ er auf eigene Kosten eine Anzahl Psalmen drucken und mit musikalischen Zeichen versehen. Da er bei Feststellung der kirchlichen Ordnung vom Beispiel der Urkirche sich leiten ließ, so führte er keine besonderen Festtage ein. Als er jedoch nach seiner Rückkehr vier Feste vorfand, ließ er sich's aus Friedensliebe gefallen. Er sagt: „Ich wollte die bestehende Ordnung nicht stören.“ Die Teilnahme am Sonntagsgottesdienst war unter Androhung von Busse geboten. Calvin sagte sich: Da der Prediger für die religiöse Belehrung der Leute verantwortlich ist, warum sollte er sie denn nicht nötigen können, das anzunehmen, was ihnen noch mangelt, das lautere Wort Gottes? Oder wie viel hatten sie von diesem schon gehört? Galt doch sogar von den Priestern in Genf genau dasselbe, was Luther von den Sachsen sagte: „Sie wissen ebensoviel in der Schrift, als die Gans im Psalter“. Als in Genf eines Tages ein französischer Flüchtling in seiner Freude über den einfachen, von jeder Zeremonie freien Gottesdienst ausrief: „O wie glücklich ist man, eine so schöne Freiheit in dieser Stadt zu sehen!“, entgegnete eine Frau aus dem Volke: „Schöne Freiheit, ehemals wurde man gezwungen, zur Messe zu gehen, und jetzt wird man gezwungen, zur Predigt zu gehen.“ Ein solcher Unwille gegen den Kirchengang gab sich öfters kund. Ungern ertrug man die Beschränkung der Freiheit. Dennoch fühlten sich Tausende von Flüchtlingen gleich jenem Franzosen glücklich, daß sie frei waren von dem römischen Joch und dankten Gott für das sanftere Joch Christi. Übrigens wurde nur selten ein wirklicher Zwang angewandt und nur als Kirchenstrafe gegen sonstwie fehlbare Leute. Desto größeren Wert legte Calvin auf die Feier des heiligen Abendmahls. Er hätte gewünscht, es jede Woche zu begehen. Schwer erschien ihm die Verantwortung, wenn man es leichthin, ohne auf die würdige Verfassung zu achten, austeile. Diese Gewissenhaftigkeit hat er an jenem Osterfeste bewiesen, wo er dasselbe dem durch Parteiungen entzweite Volke verweigerte und deshalb mit Farel vertrieben wurde. In den Institutionen schreibt er: „Der zur Austeilung des heiligen Abendmahls verordnete Diener des Evangeliums würde, wenn er dasselbe einem Unwürdigen (der ein lasterhaftes Leben führt) mit Wissen und Willen spendete, hierdurch einer Schändung des Heiligen sich ebenso schuldig machen, als wenn er den Leib des Herrn den Hunden vorwürfe.“ Darin stimmt er vollkommen mit Luther überein, der sagt: „So jemand ein offenbarer Sünder ist, den niemand straft, dem soll das Sakrament nicht gereicht werden ohne Busse; denn wenn du ein solcher Mensch bist und ich dich wissentlich lasse zum Sakrament gehen, so nehme ich deine Sünden auf mich. Wie stimme ich aber dazu, daß ich um deinetwillen sollte verdammt werden? Es wäre viel besser, ich wäre ein Säuhirte, denn wie kann ich mein Seelchen um deinetwillen verdammen lassen.“
Eine dritte Klasse von kirchlichen Personen waren die Doktoren der Kirche, das heißt die theologischen Lehrer, die das Neue und das Alte Testament erklären, daher in den Grundsprachen der Bibel bewandert sein mußten. Diese Ordnung konnte aber erst dann eingeführt werden, als Calvin die Akademie und ein Gymnasium gegründet hatte, wovon weiter unten die Rede sein wird.
Die vierte Ordnung bildeten nach dem Vorbild der Urkirche die Diakonen. Sie sollten die Almosengelder verwalten und für Arme und Kranke sorgen. So in gewöhnlichen Zeiten. In außerordentlichen Fällen, wie zu Zeiten der Pest, hatten die Diakonen gleich den Geistlichen einen schweren Stand. Dieser Fall trat schon im folgenden Jahr 1542 ein. Die Pest war bei der damaligen Unreinlichkeit in den Städten kein seltener Gast, auch in der Schweiz. So hatte sie im vorhergehenden Jahr in Zürich den Sohn Bullingers weggerafft, später ergriff sie ihn selbst und es erlag ihr seine Gattin und eine Tochter. Jetzt kehrte die Seuche mit großer Heftigkeit auch in Genf ein. In solchen Tagen hatten die Diakonen besonders darum eine schwere Aufgabe, weil sie, um den Kranken beizustehen, sich ins Pestspital mußten einschließen lassen, damit sie nicht mit Gesunden in Berührung kommen. Die gleiche Verordnung galt auch für den Geistlichen, dem jeweils durch das Los die Aufgabe der Seelsorge bei den Kranken zugeteilt wurde. Calvin hatte schon in Basel im August 1538 seine Treue und Unerschrockenheit am Sterbebett eines Pestkranken bewiesen und bewährte sich jetzt wieder in gleicher Gefahr. Wir lesen in den Ratsprotokollen vor der Reformation, daß man bei der häufigen Wiederkehr der Seuche große Mühe hatte, Priester für die Pestkranken zu bekommen, obgleich es damals etwa 300 Ordensleute und andere Geistliche in Genf gab. Jetzt betrug ihre Zahl nur sechs oder sieben und unter ihnen ist es Calvin, der sich zum voraus bereit erklärt, ins Pestspital zu gehen; allein der Rat erlaubt es ihm nicht, „weil die Kirche seiner bedürfe“. So heißt es ausdrücklich im Ratsprotokoll. Auf seine Kollegen aber, Leute, die noch vor kurzem der Papstkirche angehört hatten, war so wenig Verlaß, daß Calvin vor dem Rate klagen mußte, sie weigern sich alle, ihre Pflicht zu tun, bis auf einen einzigen, namens Blanchet und als dieser schon nach wenigen Tagen der Seuche erlegen war, befiehlt der Rat, einen andern durchs Los zu bezeichnen, verbietet aber wieder, Calvin zu wählen, „weil er nötig ist, um der Kirche zu dienen und allen Passanten zu antworten und auch, um bei ihm Rat zu holen“. So liest man noch einmal im Ratsprotokoll vom 1. Juni 1543. Vier Geistliche erklären, daß sie nicht den Mut haben, sich in das Pestspital einzuschließen, nur einer, namens de Geneston, antwortet, er sei dazu bereit und geht hin samt seiner wackern Gattin, die sich nicht von ihm trennen will, bald aber erliegen auch diese beiden ihrem treuen Dienste an den Kranken und Sterbenden. Obschon sonst Städte, die von der Pest öfter heimgesucht wurden, gefürchtet waren, heißt es doch in jener Zeit: „Es strömten Scharen von Flüchtlingen aus Frankreich und Italien nach der berühmten Stadt, wo sie bei Calvin geistlichen Trost und Forderung fanden“; denn seitdem der Reformator das kirchliche und sittliche Leben geordnet hatte, war eine neue Epoche für Genf angebrochen.
Es konnte nicht anders sein als daß die große, überlegene Kraft Calvins sich auf beinahe alle Verhältnisse erstreckte. Dieser Einfluß war um so wohltätiger, da Calvin Jurist und Theologe und in beiden mit ganzer Seele ein Christ war. Die Herrschaft Gottes in der Welt war das Ideal aller Reformatoren, auch das Calvins. Sein höchstes Ziel in Genf war, den Staat zu einem christlichen Staat zu gestalten. Nicht daß die Kirche im Staate aufgehen sollte, aber seine Verfassung, seine Gesetze, sein Rechtsprechen sollte mit dem Worte Gottes im Einklang sein. Staat und Kirche sollen sich nach seiner Auffassung zu einander verhalten wie Gesetz und Evangelium. Keines soll das andere beherrschen, wie unter den Papisten geschehen war, wo die Kirche sich über den Staat erhob. Ebensowenig darf der Staat in kirchlichen Dingen die oberste Gewalt haben, das letzte Wort sprechen. Jede der beiden Ordnungen soll sich in ihrem Gebiete unabhängig von der andern bewegen können. Sie sollen aber einander unterstützen, beide vom Geiste Gottes beseelt und vom Worte Gottes regiert. Ihr gemeinsames Ziel ist die Verherrlichung Gottes. Also soll der Staat die Kirche beschützen; denn „er ist nicht bloß dazu da, um jedem Menschen seinen freien Atem zu verbürgen, seine Speise, seinen Besitz zu wahren, sondern auch über die höchsten Güter soll er seine schützende Hand halten“. Die Kirche muß sich darauf beschränken, das Wort Gottes zu lehren, zu bitten, zu ermahnen und darf als die Hüterin des Geistes nur kirchliche Strafen anwenden; die höchste ist die Exkommunikation. Weiter geht ihre Strafkompetenz nicht. Erscheint ihr der Fehlbare noch mehr strafwürdig, so soll der weltliche Richter eintreten. Aus allen Aktenstücken, die über die damalige Gesetzgebung in Genf vorliegen, geht klar hervor, daß Calvin auf dieselbe einen großen Einfluß ausgeübt hat. Daher wurde gerade er der großen Strenge beschuldigt, die in den Gesetzen und Urteilen jener Zeit zu Tage tritt. In der Tat wurde kein Gesetz erlassen, ohne ihn zur Beratung herbeizuziehen. Die öffentlichen Archive enthalten eine Menge von Anmerkungen von seiner Hand. Er war die Seele von vielen Verhandlungen und blieb fast zwei Jahre lang in der für die neue Verfassung niedergesetzten Behörde mit der Aufgabe betraut, Gesetze und Verordnungen dem Sittengericht entsprechend zu gestalten. Man bewunderte die Klarheit seiner Auseinandersetzungen, seinen Scharfsinn, seine Freimütigkeit, seine Geradheit. Da war nichts von einer doppelten Moral zu erkennen, einer für den Privatmann und einer für den Regenten.
In Straffällen verlangte er allerdings „große Strenge, aber nur gegen die, die das Gute üben konnten und freiwillig das Böse wollten.“ Es solle der menschliche Richter vom höchsten lernen, viel von dem fordern, dem viel gegeben ist. Calvin war zwar für eine aufrichtige und gerechte Demokratie eingenommen, wie man schon daraus ersieht, daß er das Consistorium zu zwei Dritteln aus Laien zusammensetzte, das erste Beispiel dieser Art unter den Protestanten; jedoch hatte er kein Vertrauen zur Herrschaft der Massen. Deswegen überband er die meiste Gewalt auch in Strafsachen dem kleinen Rat von 24 Mitgliedern, der in seiner Mehrheit nicht direkt vom Volk, sondern von dem Rat der Zweihundert gewählt wurde. Daher sahen manche Genfer darin eine Schmälerung ihrer alten Freiheit, andere dagegen urteilten im Sinne Montesquieus, dieses großen Kenners staatsmännischer Kunst und Wissenschaft, der den Genfern zurief, sie sollen schon um dieser Staatseinrichtungen willen den Tag der Geburt Calvins und den Tag seiner Ankunft in Genf als die größten Segenstage der Republik in unvergänglichem Andenken behalten. Unleugbar ist freilich die große Strenge vieler unter Calvin aufgestellten Strafgesetze, allein sein Standpunkt war in seiner Religiosität begründet; ihn leitete der Grundsatz: Alles war vor Gott strafbar erscheine, müsse in einem christlichen Staate auch vor dem Gesetze als strafbar gelten. Auf nichts habe man ernstlicher sein Augenmerk zu richten, als daß die Ehre Gottes durch die bürgerlichen Gesetze beschützt werde so gut als die Sicherheit der Menschen, und die religiöse Erneuerung des sittlichen Verhaltens haben. Man sieht: Es entwickelte sich in Calvin zugleich mit dem Abscheu gegen die falsche Lehre, welche die Ehre Gottes antastet, eine tief innerliche Abscheu gegen das falsche, lasterhafte Gesinnt-sein und Handeln, das die Seele zu Grunde richtet. Deshalb fand die Strenge der Gesetze bei den Guten Anerkennung; denn der sittlich gesunde Mensch liebt Gerechtigkeit und strenge Ahndung von gottlosem Wesen. Obgleich es vorkam, daß Calvin sogar Söhne der Beamten mußte mit Geld oder Gefängnis bestrafen lassen, blieben diese Väter doch redliche Freunde des Reformators. Weil sie die Wohltat der Reform dankbar anerkannten, billigten sie es, daß ohne Ansehen der Person gegen die dem leichtlebigen Volke anhaftenden schlechten Sitten mit großem Ernst vorgegangen werde. Im allgemeinen fügte man sich der neuen Ordnung der Dinge, die Einen zwar nicht ohne Murren, die Meisten aber vollkommen damit einverstanden. Man konnte mit Befriedigung zurücksehen auf die feste Begründung der Reformation in diesen ersten sechs Jahren und auch nach außen leuchtete Genf bereits als eine Mustergemeinde in der protestantischen Welt.
Zwingli war im Jahr 1531 in der Schlacht bei Kappel gefallen, Luther soeben, im Jahr 1546, zu Eisleben gestorben. Jetzt stand Calvin allein da auf dem Kampfplatz, um an der Spitze seiner Freunde das Werk der Reformation zu behaupten gegen innere und äußere Feinde. Vornehmlich innere Feinde waren es, die während der folgenden neun Jahre unserem Reformator einen Kampf bereiteten, der einem eigentlichen Martyrium gleich kam. Diese inneren Feinde der Reformation in Genf waren die sogenannten Libertiner, eine kampflustige Partei, durchweg Genfer, die sich als Apostel der Freiheit und echte Patrioten aufspielten, in Wirklichkeit aber das Gegenteil von dem waren; denn sie huldigten dem gröbsten Materialismus. Ihre Grundsätze waren: „Zwischen gut und böse ist kein Unterschied vorhanden. Die Sünde ist ein eitler Wahn.“ Welch' sittengefährdende Folgen daraus abgeleitet wurden, kann man sich leicht denken. Natürlich, daß solchen Leuten nichts heilig war. Kein Gesetz, weder ein religiöses noch eine bürgerliches, wenn es ihren Ausschweifungen im Wege stand, wurde mehr anerkannt. Dieser Partei der Libertiner gegenüber stand eine Mehrheit von guten Bürgern, die treu zu Calvin hielten. Ihnen schlossen sich die Flüchtlinge aus Frankreich und Italien an, die um ihres Glaubens willen in jenen Zeiten der Verfolgung in Genf Schutz suchten. Daß auch unter dieser Majorität verderbte Menschen waren, das erfährt man durch das unparteiische Verfahren Calvins gegenüber seiner eigenen Partei. Hätte er diese geschont und nicht die gleiche Strenge gegen sie geübt wie gegen die lasterhaften Libertiner, so hätten die äußeren Feinde, die scharf auflauernden Papisten, gesagt: Da sieht man, wie die Reformation die Laster gewähren läßt, und hätten dadurch wieder die Oberhand gewonnen. Sowohl diesen äußeren wie den Inneren Feinden gegenüber war es gerade die Strenge Calvins, welche Genf und die Reformation rettete. Nun gab es aber auch Libertiner, die moralisch nicht so tief standen, sondern die wirklich mehr politische Ziele verfolgten, denen besonders die Aufnahme der Flüchtlinge zu Stadtbürgern ein Dorn im Auge war. Daher ihre Feindschaft gegen Calvin. Weshalb aber begünstigte Calvin diese Einbürgerung? Teils weil treue Bekenner des Evangeliums, die um ihres Glaubens willen aus ihrem Vaterland hatten fliehen müssen, ein sicheres Asyl verdienten, teils weil ein solcher Zuwachs von evangelischen Bürgern das neue reformierte Genf verstärkte. Zu den politischen Libertinern gehörte nun ein angesehenes Mitglied des Rates der Zweihundert namens Pierre Ameaux, ein Buchdrucker und Fabrikant von Spielkarten, dessen Frau wegen libertinischen Grundsätzen und anstößigem Lebenswandel bestraft worden war. Da ihm besonders das Spielverbot Calvins verhaßt war, erging er sich in Schmähreden über den Reformator so weit, daß er ihn einen verfluchten Menschen schalt, der schon seit sieben Jahre eine falsche Lehre predige, wie auch seine Kollegen. Als diese und andere Schmähungen dem Consistorium zu Ohren kamen, ließ es ihn ins Gefängnis setzen und der Rat verurteilte ihn zu der entehrenden Strafe, im Hemd, mit bloßen Füßen, eine angezündete Fackel in der Hand, von den Gerichtsdienern geführt, durch die ganze Stadt zu gehen, zuletzt auf dem großen Platze niederzuknien und mit lauter Stimme Reue zu bezeugen. Diese harte Strafe wurde damit begründet, daß es im Strafurteil heißt: „Aus dem eigenen Geständnis des Angeklagten geht hervor, daß er von Gott, von der Obrigkeit und von Herrn Calvin schlecht geredet hat“. Calvin selbst hatte vor einer gelinderen Bestrafung gewarnt, weil er genau wußte, daß die Partei der Libertiner das Christentum in ihm haßte und daß der Angriff ihres Wortführers Ameaux gegen das Evangelium gerichtet war. Dieser Auftritt rief nun eine große Bewegung in der Stadt hervor und entzündete die Wut der Libertiner dermaßen, daß sie mit lautem Getümmel in die Kirchen drangen und des nachts mit herausfordernden Rufen durch die Straßen zogen, so daß endlich bewaffnete Macht einschritt und um von weiteren Exzessen abzuschrecken, auf dem Platze St-Gervais ein Schafott aufrichtete. Diese Drohung wirkte. Es war wieder ein Toben des Volkes gewesen ähnlich demjenigen, das zur Vertreibung der Prediger geführt hatte. Die Reibereien der in Parteien geteilten Menge dauerten fort; mit Mühe waren tätliche Feindseligkeiten zurückzuhalten. Indessen wurden mit aller Konsequenz die Ordonanzen gegen jeden, der straffällig war, gehandhabt. Im April 1546 wurden etwa 30 Personen aus den angesehensten Familien wegen Tanzen und allerlei Unfug an einer Hochzeit vor das Sittengericht geladen. Auch in diesem Fall bestand Calvin darauf, daß der Vornehme wie der Geringe ohne Ansehen der Person den ganzen Ernst der Verordnung empfinde, wenn er gegen sie gefehlt habe; denn, sagte er, „doppeltes Maß und Gewicht dürfen wir nicht anwenden, am wenigsten in der Kirche Gottes. Nichts soll uns in der Erfüllung unserer Pflicht irre machen.“ Das Urteil lautete gegen Einen auf drei Tage Gefängnis, bei Andern auf mündliche Zurechtweisung vor dem Consistorium, wobei Mehrere ihre Reue über das Geschehene kund gaben. Solche Unparteilichkeit hörte man öffentlich anerkennen: „Auch die Ersten der Stadt werden nicht verschont und Calvins Freunde werden nicht milder behandelt als seine Gegner“. Daß Calvin gegen niemanden wegen persönlichen Beleidigungen zürnte, sondern nur gegen diejenigen, in deren Tun er eine Verletzung der Majestät Gottes und seiner heiligen Gebote erkannte, das hat er gerade in jenen Tagen bewiesen. Einer seiner erbittertsten Feinde war Perrin, ein Hauptführer der Libertiner. Als nun dieser, wegen Aufruhr gegen die Stadt seiner Ratsstelle entsetzt, sich nach Lyon geflüchtet hatte, da benützte Calvin sein ganzes Ansehen beim Rate, um das gegen diesen seinen persönlichen Feind gefällte Urteil rückgängig zu machen, und es gelang ihm, so daß derselbe wirklich in seine vorige Würde wieder eingesetzt wurde. Gleich nach der Verurteilung und Flucht des Perrin hatten die Libertiner einen Racheakt ausgesonnen, durch den sie ihren Haß gegen die Disziplinarordnung ausließen. Einer von ihnen, der einer alten, guten Familie angehörte, namens Jacques Gruet, heftete nämlich heimlich an die Kanzel der Hauptkirche St. Peter ein empörerisches Plakat, in welchem den Geistlichen der Untergang angekündigt wurde, denn Genf sei der Herrschaft der Pfaffen, die der Teufel hergeführt habe, um alles zu verwirren, endlich müde. Nachdem lange genug Geduld geübt worden sei, nahe der Tag der Rache. Alles geriet ob dieser kühnen Drohung in große Aufregung, der Rat forschte nach, fand Anhaltspunkte zum Verdacht gegen Gruet und setzte ihn in Gewahrsam. Nachdem dieser anfänglich geleugnet, gestand er, der Urheber zu sein. Da überdies die in seiner Wohnung aufgefundenen Papiere nebst frivolen, ganz entsetzlichen Verspottungen der christlichen Religion auch eine Aufreizung der Bürgerschaft gegen die Obrigkeit enthielten, wurde er als Hochverräter der Folter unterworfen, um das Geständnis von Mitschuldigen herauszubringen, jedoch umsonst. Am 26. Juli 1547 wurde er, weil schuldig befunden „nicht nur der Religionsverachtung durch Anheftung eines gottlosen Plakates und der Verbreitung der Unsittlichkeit und abscheulicher Reden, sondern auch des Versuchs, das Volk aufzuwiegeln, um die eingeführte Ordnung zu stürzen und der Behörde mit Hülfe von auswärts Verlegenheit zu bereiten, mit dem Schwerte hingerichtet.“ Die Folter ward angewandt, weil „dieser mißratene Sohn der Stadt Calvins“, wie ihn ein neuerer Schriftsteller nennt, die bürgerliche Ordnung umzustürzen gesucht hatte, in welchem Falle das peinliche Verhör durch die Verfassung vorgeschrieben war, nie aber war es zulässig gegen Irrlehrer oder Lästerer. Daher richtet sich die Verleumdung der Schmäher Calvins von selbst, als ob er das Foltern Gruets empfohlen hätte. Er beteuert auch in einem Briefe an Bullinger, nie in seinem Leben zur Folter geraten haben. Noch ein anderer Kampf, der dem Consistorium galt, brachte in jenen Tagen dem Reformator eine schwere Kränkung. Berthelier, der Sohn eines um die Freiheit Genfs hochverdienten Mannes, war wegen seines unordentlichen Lebenswandels in Gefangenschaft gesetzt und durch das Consistorium vom Abendmahl ausgeschlossen worden. Darüber tobten die Libertiner und da dies Mal auch Freunde Bertheliers im Rat saßen, brachten sie es dazu, daß dieser den Spruch des Consistoriums aufhob. Nun erschien aber Calvin vor dem Rate und forderte ihn auf, von seinem Entscheid abzustehen, indem er erklärte, er sei entschlossen, eher zu sterben, als das Mahl des Herrn zu schänden, „denn“, sagte er, „nichts ist unwürdiger, als was ihr verlangt, daß dieser Mensch mit der Kirche Gottes sein Spiel treibe, und daß er sie also verhöhnend, auch alle die, welche ihm gleichen, dazu aufstachle“. Doch der Rat beharrte auf seinem Entschluß, gab bloß dem Berthelier den Rat, sich nicht in der Kirche zu zeigen.
Jetzt kam der Tag der Kommunion, der 3. September. Calvin bestieg wie gewöhnlich die Kanzel, bemerkte zwar die Gruppe der Libertiner, achtete aber nicht weiter auf sie, predigte über das heilige Sakrament und die Stimmung, die zu würdigem Genuß erforderlich sei und sagte zum Schluß: „Was mich betrifft, so werde ich mich nach der Regel meines Herrn richten, die mir klar vorgezeichnet ist.“ Dann erhob er die rechte Hand und rief aus: „Ich werde mein Leben verlieren, ehe diese Hand heilige Dinge gebe denen, welche als Verächter Gottes erklärt worden sind.“ Nach Beendigung der Liturgie stieg er von der Kanzel herab, trat herzu, segnete Brot und Wein. Die Libertiner schienen sich zu nähern. Da bedeckte er mit seinen Händen die heiligen Zeichen und erklärte: „Ihr könnet diese Hände abhauen, diese Glieder zerbrechen, mein Blut gehört euch, ihr möget es vergießen, aber ihr werdet nie über mich vermögen, daß ich die heiligen Dinge den Profanen reiche.“ Ein Murmeln der Entrüstung durchlief die Menge, daraus sich gleich erkennen ließ: die allgemeine Stimme ist für Calvin. Einen Augenblick zögern die Libertiner, dann ziehen sie sich zurück, man macht ihnen Platz, sie gehen hinaus. In lautloser Stille und mit inniger Andacht wird jetzt das heilige Mahl begangen. „So feierlich ging es zu“, sagt Beza, „als ob die Majestät des Herrn selbst sichtbar zugegen gewesen wäre in der Mitte seiner Gläubigen.“
Die Verehrung für Calvin, der seinen Glauben mit solchem Heldenmut verteidigt hatte, war bei den Gutgesinnten noch gestiegen. Dennoch gab die böse Rotte der Libertiner den Plan nicht auf, die neue Ordnung samt ihrem Urheber zu stürzen. Sie suchten nun auf andere Weise ihm Hindernisse zu bereiten, sie sannen darauf, mit den kleinlichsten Mitteln ihm das Leben sauer zu machen. Folgende Einzelheiten sind einige Proben davon. Schon lange her gewohnt, keinen Geistlichen mehr auf der Straße zu grüßen, sondern statt dessen im Vorbeigehen laute, spottende Bemerkungen zu machen, hatte es diese Bande besonders auf Person Calvins abgesehen. Um ihn zu necken und zu ärgern, suchen sie das eine Mal ihn in seinen Vorlesungen zu stören, indem sie vor dem Gebäude in der Nähe des Hörsaals pfeifen und lärmen, bis er heraustritt und sie zurechtweist, was sie aber mit Hohngelächter beantworten. Ein ander Mal begegnen ihm auf der Rhonebrücke drei dieser Taugenichtse und drängen ihn, als ob sie ihn nicht sähen, hart ans Geländer, worauf er mit Ruhe bemerkt, die Brücke sei doch breit genug für alle. Wieder hetzt man einen Hund auf ihn und wenn dieser ihn am Rock gepackt hat, ruft man das Tier zurück mit dem Namen Calvin, den es richtig versteht und folgt, weil das sein Name ist. Geht man abends bei Calvins Wohnung vorbei, so kann sichs leicht treffen, daß betrunkene Libertiner da vorübergehen, die zu seiner Wohnung hinauf johlen und rufen: „Kain! Kain!“, oder ein verabscheuungswürdiges Lied singen, oder gegen seine Fenster hinauf blinde Schüsse abfeuern, wie er noch in seiner Abschiedsrede an die Geistlichkeit sagt: „Zuweilen wurden nachts, um mich zu erschrecken, fünfzig bis sechzig Büchsenschüsse vor meiner Türe abgefeuert“. Noch mehr aber als diese persönlichen Beleidigungen mußte ihn die Verhöhnung des Kultus kränken, wenn zum Beispiel zu den Psalmmelodien unzüchtige Lieder auf den Straßen gesungen wurden. Unter solchem Gesang und mit brennenden Kerzen in der Hand machten diese Leute eines Tages eine Art Prozession durch die Stadt, um Calvin und seine Kollegen zu ärgern. Voraussehend, daß dies beim Sittengericht zur Sprache kommen werden, sagten sie witzelnd, „qu'il fallait donner un peu d'occupation auch Consistoire“. Zur Bestrafung derartigen Unfugs fand aber das Consistorium zur Zeit wenig Gehör bei einem Rate, der zum Teil aus Freunden der Libertiner zusammengesetzt war. Man nehme zu so zahlreichen Kränkungen noch hinzu seine unermüdliche Tätigkeit im geistlichen Amt und in den Geschäften des Staates, in inneren und äußeren Angelegenheiten der Kirche, die ungeheure Korrespondenz und die gelehrten Arbeiten, so erscheint es fast unbegreiflich, wie Calvin bei seiner oft gestörten Gesundheit unter einer solchen Geschäftslast und den unaufhörlichen Reibereien nicht erliegen mußte. Noch auf dem Sterbebett gedachte er dieser Jahre als der schwersten seines Lebens. Auch in einem Briefe an Viret schreibt er in jener schweren Zeit, er bringe sein geopfertes Herz dem Herrn dar, setzt aber hinzu, seine Leiden seien doch weit geringer, als die anderer Diener Gottes, und sein Kampf sei ein Spiel dagegen, und zu Farel:
„Laß uns also Christo leben, daß wir alle Tage bereit seien, ihm zu sterben.“ Mit Recht konnte er sagen, während die Kirche allenthalben bewegt sei, werde sie in Genf wie die Arche bei der Sündflut von den Wellen hin und her geworfen. Außer den erwähnten Angriffen kamen noch andere an den Reformator heran, und zwar direkte Angriffe auf seine Glaubenslehre. Ein gelehrter, sittlich rechtschaffener, aber streitsüchtiger Mann, Sebastian Castellio („une mauvaise tête“), focht einzelne Bestandteile der heiligen Schrift und des apostolischen Bekenntnisses heftig an und verband damit die leidenschaftlichsten Schmähungen, so daß er sich genötigt sah, Genf zu verlassen. Doch nahm sich Calvin seiner herzlich an, obgleich von ihm ein Tyrann gescholten, unter dem die Stadt seufze. Er bat seinen Freund Viret in Lausanne, dem mittellosen Mann alle mögliche Unterstützung zu gewähren, denn sein Geist und seine Gelehrsamkeit seien hoch zu schätzen, „wäre nur nicht“, setzte er hinzu, „das übermäßige Selbstvertrauen vorhanden, das von seinem Geiste Besitz genommen hat“. Später lebte Castellio als ein beliebter Lehrer des Griechischen in Basel, befand sich aber mit seiner zahlreichen Familie in so großer Dürftigkeit, daß er an Calvin schrieb, er heize sein Zimmer mit Holzstücken, die der Rhein angeschwemmt und die er an dessen Ufer geholt habe. Wieder die Lehre betraf eine neue Störung in der Peterskirche. Ein ehemaliger Karmelitermönch, Hieronymus Bolsec, war nach Genf gekommen und als Bestreiter der Calvinischen Lehre aufgetreten, behauptend, sie sei noch irriger als die der Papisten. Gütliche Ermahnungen und Belehrungen halfen nichts. Als die Stadtgeistlichen ihren gewöhnlichen Wochengottesdienst hielten, in welchem es Jedem gestattet war, das Wort zu nehmen, trat Bolsec unter den Zuhörern hervor und griff, da er Calvins Platz leer sah, mit größter Kühnheit dessen Prädestinationslehre an: Etwas Falscheres und Gottloseres lasse sich nicht denken. Dagegen sollen sich alle auflehnen, denn so werde sich doch das Volk nicht wollen verführen lassen. Plötzlich bekam er eine Antwort, die er nicht erwartet hatte. Von ihm unbemerkt stand nämlich Calvin unter den Zuhörern, hatte alles angehört und widerlegte ihn nun in einer so zündenden Rede, daß verschiedene Berichterstatter ihre einstimmige Bewunderung darüber ausdrücken; es seien die Zitate aus der heiligen Schrift und aus Augustin in so ununterbrochener Reihenfolge über seine Lippen geflossen, daß man über die Kraft seines Gedächtnisses, seinen Scharfsinn und seine Schlagfertigkeit erstaunte, alles sei von der Gewalt dieser Rede fortgerissen worden und dem Karmelitermönch sei das Wort in seinem Munde erstorben. Verstummt, zermalmt habe er gesucht, die Kirche zu verlassen. Allein unter den Anwesenden befand sich gerade der Polizeipräfekt, und so wurde Bolsec auf der Stelle verhaftet als ein Ruhestörer, der das Volk aufwiegle. Doch sein Hauptangriff betraf ja die Lehre und zwar eine solche, über die man geteilter Ansicht sein konnte, die Prädestination. Deshalb wurden die anderen Schweizerkirchen um ihre Meinung angefragt, wie mit Bolsec zu verfahren sei und als die Antworten ungleich lauteten, die einen milder, die andern schärfer, wurde erkannt: Bolsec habe Genf zu verlassen und dürfe nie wieder dahin zurückkehren. Gewiß kein hartes Urteil, wenn man den bösen, schon von früher her bekannten Charakter eines Mannes in Anschlag bringt, der erstens in Paris von den evangelischen Predigern seines schlechten Lebenswandels überführt wird, dann für kurze Zeit in die katholische Kirche zurückkehrt, und wieder in den früheren Sündenwandel zurückfällt und noch einmal Katholik wird; der zweitens 26 Jahre nach diesem Streite und 13 Jahre nach Calvins Tod sich an ihm zu rächen sucht, indem er eine arge Schmähschrift gegen ihn verfaßt, eine Schrift, von der Herzogs Realenzyklopädie sagt, sie habe keinerlei geschichtlichen Wert, weil sie lediglich den leidenschaftlichen Haß des Verfassers zum Ausdruck bringe. Nachdem sich Bolsec ins Berngebiet zurückgezogen und dort wieder dogmatische Händel angefangen hatte, wurde er auch von den Bernern „als unleidlicher Zänker“ verbannt.
Endlich ist unter denen, welche die Glaubenslehre der Reformation und insbesondere gegen die Calvins aufgetreten sind, noch der zu nennen, dessen trauriges Ende schon viel zu reden gegeben und ungerechte Klagen über Calvin veranlaßt hat: Michael Servet, ein spanischer Arzt. Ausgerüstet mit guten geistigen Anlagen und schon früh bewandert auf mehreren Gebieten des Wissens, neigte er sich mit Vorliebe zu Spekulationen über die Religion hin und fing früh an, christliche Lehren leidenschaftlich anzugreifen und in gedruckten Schriften zu verhöhnen. Daneben suchte er seinen schwärmerischen, pantheistischen Ideen Geltung zu verschaffen. Weil er aber, sehr von sich eingenommen und streitsüchtig, sowohl die katholische, wie die protestantische Kirche anfeindete und ihre Hauptlehre mit entsetzlichen Lästerworten belegte, sah er sich, wohin er auch kommen mochte, gemieden und mit Strafe bedroht. Daher mußte er überall nach kurzem Aufenthalt sich flüchten. So kam er nach Deutschland und von da nach Frankreich. Auch in Paris, mit den Medizinern und andern Gelehrten zerfallen, indem er sie die unwissendsten Leute des Erdbodens nannte, war seines Bleibens nicht lange. Von Paris begab er sich nach Vienne und ließ hier ganz im Geheimen ein neues Buch, voll von Lästerungen, betitelt „die Wiederherstellung des Christentums“ drucken und in die Welt ausgehen, wurde aber bald als Verfasser erkannt und verhaftet. In drei Verhören leugnete er hartnäckig und schwur auf das Evangelium, daß er nicht dieser gesuchte Servet und Verfasser jenes Buches sei, sondern ein guter katholischer Christ und daß er in diesem Glauben leben und sterben wolle. Er wurde aber unwidersprechlich überwiesen, und weil er überdies vor den Augen und Ohren der Richter des Betruges, der Lüge und drei Mal des Meineids sich schuldig gemacht hatte, zur Ketzerstrafe verurteilt, das heißt zum Tode durch Verbrennen (vor allem die Gerichtsregister von Vienne in Mosheims letzten Nachrichten über den berühmten Arzt Michael Servet). Als aber der Gefangenenwärter arglos ihm erlaubt hatte, im Schlafrock in den Garten zu gehen, erklomm er die Mauer desselben und entfloh nach den Grenzen hin, in der Absicht, über Genf und Zürich nach Italien zu reisen; allein schon in Genf wurde er entdeckt, und nun ereilte ihn hier dasselbe Schicksal wie in Vienne. Keine gelindere Strafe wurde über ihn verhängt, denn nach dem einstimmigen Urteil der Reformatoren (mit Ausnahme Luthers, der längst gestorben war) verwirkte ein Irrlehrer, wenn er die evangelische Kirche so weit anfeindete, daß er ihre Grundlehren verlästerte, sein Leben. Calvin hatte die Lästerungen dieses Mannes schon längst gekannt und mit vielen Briefen sich bemüht, ihn zu besserer Einsicht zu bringen, aber vergeblich. Mit Hohn wies ihn Servet immer zurück. Schon Zwingli hatte von dessen Gotteslästerung gehört und sie eine Gefahr für die evangelische Kirche genannt, mit den Worten: „des bösen, fräflen Hispaniers falsche, böse Leer würde abthun unser ganze christliche Religion“. Noch in Genf hätte ein Widerruf den Gefangenen retten können. Um ihm eine bessere Einsicht beizubringen, gab ihm Calvin aus der eigenen Bibliothek jedes Buch, das er wünschte, ins Gefängnis, ja er kam selbst zu ihm, redete ihm zu und hoffte noch immer, ihn zum Widerruf bringen zu können; allein Servet wies ihn mit der Schmähung ab: „Denkst du durch dein Hundegebell die Ohren der Richter zu betäuben?“ Calvin schrieb darüber an Viret: „Ich schwieg und stand da, als ob ich der Angeklagte gewesen wäre. Ach wenn wir doch nur einen Widerruf, wie Gentilis ihn getan, von Servet hätten erlangen können. Er war nicht in Gefahr, der strengen Strafe zu verfallen, wenn er sich einigermaßen beugsam gezeigt und Hoffnung gegeben hätte, zum Guten zurückzukehren.“ In Übereinstimmung mit den übrigen Schweizerkirchen, deren Gutachten eingeholt worden war, sprach der Genfer Rat das Todesurteil aus und zwar sei es, wie im alten kanonischen Recht für Ketzerstrafen vorgeschrieben, durch Feuer zu vollziehen. Umsonst bat Calvin um eine mildere Todesstrafe. Man blieb beim gefällten Urteil. Es liegt nahe, dem Genfer Rate, dem Reformator Calvin und den zustimmenden Schweizerkirchen einen Vorwurf zu machen, denn nach heutigen Begriffen von Gewissensfreiheit wird ja kein Protestant solche Strafen billigen. Gleichwohl wäre es ungerecht, wenn wir diesen Maßstab anlegten in Beurteilung der Verhältnisse jener ersten Zeit der protestantischen Kirche. Es ist vielmehr zu bedenken, daß ihre Strenge ein Erbteil der päpstlichen Kirche war, daß aber diese der letzteren anhaftende Unduldsamkeit auf protestantischer Seite später überwunden wurde, während sie hingegen in der römisch-katholischen Kirche noch heute besteht. Daher es dieser am allerwenigsten zukommt, uns jenen Akt der Unduldsamkeit vorzuwerfen; genau sechs Wochen vor Servets Hinrichtung hatten die Papisten in Lyon drei Protestanten verbrannt und über Servet selber war ja von den päpstlichen Richtern in Vienne das gleiche Urteil wie in Genf ausgesprochen worden. Daß sie es aber auch vollzogen hätten, geht daraus hervor, daß sie denselben vorläufig in Effigie verbrannten und dann einen Beamten der Justiz nach Genf schickten, der die Herausgabe des entlaufenen Ketzers forderte. Auch kann man nicht vergessen, daß die katholische Kirche viele Tausend von Protestanten hinrichtete und verbrannte in Spanien, den Niederlanden, in Österreich, England, Italien und Frankreich, nur wegen des einfachen Bekenntnisses der evangelischen Wahrheit, während bei den Protestanten nicht ein einziges Beispiel dafür zu finden ist, daß jemand wegen des Bekenntnisses des römischen Glaubens hätte sterben müssen. Auch Calvin verlangte mit keinem Wort, daß Irrlehrer als solche bestraft werden, wohl aber das Unruhe stiften in der christlichen Gesellschaft, die Erschütterung der Grundlagen des Staates, das Verbreiten von Lehren, die den Umsturz des Christentums bedeuteten.
Wie tolerant der sittenstrenge Calvin war gegen den Irrtum an sich, das bewies er in jener Zeit gerade am Beispiel des Lälius Socinus (geb. in Siena, gest. in Zürich 1562), dem Begründer der nach ihm genannten Richtung der Socinianer, welche die Vernunft als alleinige Richterin über religiöse Wahrheit anerkannten und in ihren Ansichten über die Glaubenslehren stark von denen Calvins abwichen. Da Socin offen als sein Gegner aufgetreten war, suchte ihn Calvin zwar zu seinem Standpunkt zu bekehren, aber weit entfernt von Gereiztheit, tat er es mit aller Sanftmut, weil dieser Italiener aufrichtig die Wahrheit suchte und nicht, wie Servet, die Lehren der evangelischen Kirche verlästerte. Aus der heiligen Schrift seine Waffen holend, redete ihm Calvin brüderlich zu, zeigte ihm den festen, unerschütterlichen Grund, auf dem der Glaube ruhen müsse. Er konnte ihm aus eigener Erfahrung bezeugen: „Die Ansichten, die ich dir geschrieben habe, stehen so fest bei mir und sind so sehr durch Gottes Wort bestätigt, daß mich kein Zweifel berührt.“ In dem gleichen freundschaftlichen Ton schreibt Socin an Calvin: „Wenn sich irgend eine Gelegenheit bietet, herrlichster Mann, so wirst du erfahren, daß dein Lälio kein Undankbarer ist, weder gegen Gott noch gegen die Menschen, und ihn wieder in herzlicher Liebe in dein Herz schließen, wie ich dich schon jetzt darum bitte“. Selbst in Beurteilung der päpstlichen Kirche erscheint Calvin nicht schroff, ja noch milder als Socin, indem er diesem schreibt: „Wenn ich gesagt habe, daß ein Überrest von Kirche noch im Papsttum geblieben sei, so meine ich nicht allein die Auserwählten, die unter ihnen zerstreut sind, sondern ich halte dafür, daß auch noch die Ruinen der zerstörten Kirche bei ihnen sind.“ Dann schließt er: „So lebe denn wohl, vortrefflicher Mann und in dem Herrn Christo sehr geliebter Bruder. Grüße in meinem Namen deinen Wirt Pellicanus und die andern. Der Herr Jesus sei stets mit dir und regiere dich durch seinen Geist.“ Während Calvin die Glaubenslehre verteidigte und die Kirche schützte gegen Irrlehren, ruhten noch immer nicht die alten Feinde der Ordnung, die Libertiner. Doch nahte bald ihre völlige Niederlage und der endlich vollkommene Sieg der Reform in Genf. Noch einmal nahmen sie den Kampf auf, als der große Rat ihren Versuch, dem Consistorium seine disziplinarischen Rechte zu entreißen, abgeschlagen hatte. Sie tobten jetzt neuerdings gegen die Geistlichen: „Diese maßen sich das Recht an, uns von der Kanzel herab Sünden vorzuhalten.“ Man müsse die Predigt abschaffen, sagten sie, und an zwei Geistlichen in der Stadt sei es genug. Diese mögen in der Kirche die heilige Schrift vorlesen, die Auslegung dagegen sei überflüssig und wenn das Volk das Credo, das Vater Unser und die Zehn Gebote lerne, so sei es an dem genug; auch sei es ganz unnütz, so viele Bücher und Kommentare zu drucken. Noch an etwas anderem nahmen sie Anstoß, daß nämlich der Rat auf einmal wieder fünfzig französische Flüchtlinge, Anhänger Calvins, zu Bürgern aufnahm, dies empörte sie vollends, so daß der Tumult drohender wurde und von einem Tag zum andern zunahm. Man erhitzte sich in den Trinkhäusern und schrie: „Canailles, qui veulent gouverner les enfants de la ville!“ Nette Kinder der Stadt, diese zügellose Rotte! Schließlich kam es zu einer eigentlichen Verschwörung, angezettelt von Perrin, jenem früheren Führer der Libertiner, jetzt mit der Absicht, Calvin samt den ihm ergebenen französischen Flüchtlingen zu ermorden. Allein der Plan scheiterte, die Verschworenen wurden verraten. Der Rat schritt ein und das Ende der Prozedur war, daß vier Teilnehmer hingerichtet wurden, indes die übrigen durch rechtzeitige Flucht nach dem Kanton Bern der Strafe sich zu entziehen wußten. Auch jetzt noch gaben diese die Hoffnung, endlich doch zu siegen, nicht ganz auf, weil die Berner, schon lange her gegen die Genfer Regierung unfreundlich und schroff gesinnt, sich der Verurteilten annahmen. Allein es half nichts. Der Genfer Rat wies nun sogar die zurückgebliebenen Frauen der Entflohenen aus seinem Gebiet, zog ihre Güter ein und bedrohte selbst den bloßen Antrag auf ihre Rückberufung mit Todesstrafe. Dies war der Ausgang eines 15jährigen Kampfes mit den immerwährenden Ruhestörern und Feinden der sittlichen Erneuerung Genfs. Sieg oder Niederwerfung derselben war für die Reform eine Lebensfrage gewesen; denn das den Libertinern überlieferte Genf würde entweder bald wieder von den ehemaligen katholischen Herren erobert worden sein, oder es wäre von selbst durch seine Verderbtheit zum Katholizismus zurückgegangen. Nun aber Calvin strenge Maßregeln gegen diese Unordnungen ergriffen und sich mutig den Widerstrebenden entgegengestellt hatte, ist Genf und die Reform dadurch gerettet worden.
Die neun Jahre, die ihm noch zu leben blieben, nützte Calvin treulich aus zum inneren Ausbau des Reformationswerkes in Genf und zum Mitwirken für dieses teure Gut auch nach außen. Überzeugt von der Wichtigkeit des Jugendunterrichtes für die Sache der Reformation, ließ sich Calvin von Anfang an die Hebung der Schule angelegen sein. Gerade das machte man ja dem Papsttum zum Vorwurf, daß es den Unterricht der Jugend vernachlässige und das Volk in Unwissenheit erhalten. Auf Calvins Antrag beschloß der Rat, die Armen sollen unterrichtet werden, ohne von ihnen Bezahlung zu fordern, damit jedermann gezwungen werden könne, seine Kinder in die Schule zu schicken. Als die Krone des Unterrichtswesens und der Reformation in Genf betrachtete Calvin eine höhere Lehranstalt, eine Akademie, in welcher christliche Jünglinge sollten zu Predigern herangebildet werden durch die Doktoren, die in den Ordonnanzen vorgesehen waren. Wohl hatte er von Anfang an wöchentlich drei Vorlesungen gehalten für diejenigen, welche, mit einigen wissenschaftlichen Vorkenntnissen versehen, wünschten, tiefer in die evangelische Lehre eingeführt zu werden. Es waren exegetische Vorträge, die von Einheimischen und Fremden stark besucht, von eifrigen Zuhörern nachgeschrieben und durch den Druck weiter verbreitet wurden. Allein Calvin fand diese auf ihn allein beschränkte Tätigkeit mehrfach für ungenügend. Daher ging sein Plan dahin, ein Gymnasium und an dieses anschließend eine Akademie zu gründen, nämlich zunächst für Theologen, damit tüchtige Streiter für das Evangelium ausgerüstet und in alle Welt ausgesendet werden können, später aber auch für andere Wissenschaften. Allein woher die Mittel dazu nehmen? Den unermüdlichen Anstrengungen Calvins war es zu verdanken, daß auch diese aufgebracht wurden. Zunächst gewann er den Rat für seinen Plan, so daß dieser eine Baustelle anerbot und die Notare aufforderte, bei Abfassung von Testamenten den Bürgern die neue Schöpfung zu empfehlen. Der Erste, der dieser Einladung folgte, war Bonivard, der frühere Gefangene von Chillon. Er setzte die neue Anstalt zur Erbin seines ganzen Vermögens ein. Calvin selbst ging von Haus zu Haus und brachte in kurzem die für jene Zeit sehr beträchtliche Summe von 10'024 Goldgulden zusammen. Hierauf wurde unverzüglich Hand ans Werk gelegt, der Rat wies den dazu passenden Bauplatz an „mit schöner Aussicht und luftig genug, um den Studierenden einen gesunden und angenehmen Aufenthalt zu bieten und alles sei so bald wie möglich einzurichten, auch ein Platz frei zu lassen, wo man sich an der frischen Luft ergehen könne“. Calvin, obwohl im Jahr 1558 sehr leidend, beaufsichtigte selber den Bau, prüfte täglich die Arbeiten, ließ sich sogar auf den Bauplatz tragen, um sich vom genauen Einhalten des Planes zu überzeugen und persönlich die Bauleute aufzumuntern. Nun blieb erst die schwierige Aufgabe zu lösen, wo man wohl die passendsten, vortrefflichsten Lehrer finden werde. Auch diese Aufgabe ward durch eine unerwartete Fügung Gottes gelöst, nämlich: Infolge eines Streites über das Recht der Exkommunikation hatte Bern viele Geistliche des Waadtlandes ausgewiesen. Da flüchteten sich diese standhaften Zeugen der Calvinischen Lehre nach Genf, wo sie mit offenen Armen aufgenommen wurden. Unter den Ausgewiesenen befanden sich bedeutende Gelehrte und ausgezeichnete Schulmänner von der Akademie in Lausanne. Daher waren nun diese vorzüglich geeignet, um die Lehrstellen am neuen Gymnasium und der Akademie einzunehmen. So voraus Theodor Beza, der jüngere, im Kampf vielfach bewährte Freund des Reformators, ein mit reichem Wissen ausgestatteter, zeitlebens für ihn begeisterter Mann. Diesen erhob jetzt Calvin zum Rektor, während er selbst nur einfacher Lehrer der Akademie bleiben wollte. Für das Gymnasium waren sieben Lehrer bestimmt, um in sieben Klassen vorzugsweise die alten Sprachen zu lehren. Der von Calvin entworfene, über alles Einzelne sich verbreitende, wohl überlegte Studienplan beweist, daß seine Schule nicht bloß Unterrichts-, sondern zugleich Erziehungsanstalt sein, nicht bloß den Verstand, sondern auch den Charakter, den Willen bilden wollte. Die Schule sollte dem Zögling für sein ganzes Leben einen festen, sittlich-religiösen Halt geben. Je nach der Lage der Stadtquartiere, in denen die Schüler wohnten, war jede Abteilung einem Lehrer zugewiesen, der sie nach Beendigung des Unterrichts heim zu begleiten hatte, damit alles in Ordnung vor sich gehe. Um dem Lesen von schlechten Büchern vorzubeugen, mußte alles neu Erschienene, ob theologischen oder weltlichen Inhalts, der Zensur unterworfen werden usw. An der Akademie sollten durch fünf Professoren, Calvin inbegriffen, die heiligen Schriften ausgelegt, philosophische Systeme erklärt und einige Klassiker gelesen werden. Auch der Physik und Mathematik wurden etliche Stunden gewidmet. Für Medizin und Rechtswissenschaft wurde je ein Lehrstuhl in Aussicht genommen. Gleich in den nächsten Jahren hielten Gelehrte auch über diese Wissenschaften einzelne Vorträge. So war zum voraus das Lehramt bestellt worden, als mit Mai 1539 das Gebäude vollendet dastand und am 5. Juni feierlich eröffnet werden konnte. Noch heute steht dasselbe Gebäude da in wenig veränderter Gestalt, unter dem alten Porticus die alte Inschrift in hebräischer Sprache: „Die Gottesfurcht ist der Weisheit Anfang.“ Bis auf heute sind die Kinder der Stadt Calvins auf einander gefolgt. Noch werden die Säle der Bibliothek gezeigt mit den Büchern und Handschriften Calvins, den stummen Zeugen seiner Nachtwachen, seiner Krankheiten und täglichen Sorgen. Mit Eröffnung der Anstalt zählte das Gymnasium 280 Schüler. Welch' große Anziehungskraft die Akademie ausübte, ersieht man aus dem Folgenden: Im Jahr 1563 finden sich 259 Immatrikulierte, bestehend aus Genfern, Franzosen, Italienern, Deutschen, Engländern, Spaniern und Russen. „Noch weit zahlreicher war die Zahl der Hospitanten, die von allen Seiten zusammenströmten, zum Teil Männer von angesehenen Lebensstellungen und in vorgerücktem Alter, Geistliche, Juristen, die sich um Calvins Lehrstuhl sammelten, um sich durch ihn tiefer in den Geist der neuen Lehre einführen zu lassen, um dann als gestählte Streiter unter seiner Fahne in der Heimat an dem Kampfe für die Ausbreitung des Gotteswortes teilzunehmen.“ Unter diesen befand sich der nachmalige Reformator von Schottland, Johannes Knox, der noch in seinem fünfzigsten Lebensjahr es nicht verschmähte, sich unter jene Schar von Jünglingen zu den Füßen des großen Meisters zu setzen. Ein Zeitgenosse Calvins gibt die Zahl seiner täglichen Zuhörer auf tausend an.
Von seinen Vorträgen wird gemeldet, er habe sie immer ganz frei gehalten und nie etwas anderes mitgebracht als den Text. Stets habe er nach den Eingebungen und Bedürfnissen des Augenblicks gesprochen, dennoch sei sein Vortrag immer klar und wohl geordnet gewesen. - Seine Vorlesungen waren für ihn Erbauungsmittel, nie bloß gelehrte Erläuterungen, und einen jeden Vortrag habe er angefangen mit den Worten: „Der Herr verleihe uns, daß wir von den himmlischen Geheimnissen seiner Weisheit handeln mögen mit wahrem Wachstum in der Frömmigkeit, zu seiner Ehre und zu unserer Erbauung.“ Er lag seinen Vorlesungen mit solchem Eifer ob, daß er in den letzten Lebensjahren bei seinem kränklichen Zustande sich lieber in das Auditorium führen oder tragen ließen, als daß er sie aussetzte. Seine Akademie wurde demnach in der Tat dazu, was er gewollt, eine Pflanzschule von Predigern nicht bloß für die Stadt Genf, sondern für alle umliegenden Länder und Völker in Westeuropa. Diese Akademie blieb die Mutter aller neugegründeten evangelischen Hochschulen in den Nachbarlanden. Ein Schreiben der holländischen Universität vom Jahr 1594 rühmt ihr nach, sie habe „die Welt erleuchtet, sie sei die feste Stütze des Glaubens, die Säule der Kirche, die Zuflucht und Pflegestätte der Wissenschaften und Künste.“ In der Tat war Calvins Einfluß so nachhaltig, daß seine Akademie bis in das 18. Jahrhundert hinein die größte Hochschule der theologischen Bildung für das ganze reformierte Europa geblieben ist. Noch bis nahe an unsere Zeit heran wurde zum Beispiel in Frankreich der Besuch der Genfer Akademie den Studierenden angerechnet, wie der einer Hochschule im eigenen Land, denn „über alle Städte rage Genf empor an Ruhm der Wissenschaft und der Treue im Glauben.“ So hat der große Geist Calvins die Wissenschaft und den lebendigen Glauben gepflegt, hat beide eng mit einander verbunden und dadurch Genf erhoben zu einer Leuchte in der protestantischen Welt.
Vor andern Rücksichten war es Genf selber, dessen Wohl Calvin aus allen seinen Kräften zu fördern suchte. In jeder Richtung hat er dieser Stadt einen heilsamen Impuls gegeben, wie im kirchlichen, so auch im bürgerlichen Leben. Kein Gesetz wurde erlassen, beinahe keine Verordnung aufgestellt, ohne daß man ihn darüber zu Rate zog. Von seiner Hand geschrieben, ist der Entwurf einer städtischen Gesetzgebung vorhanden betreffend den Kornmarkt, die Metzgerei, den Holzhandel, den Fischhandel, den Rindermarkt, die Gemüsehalle, die Zölle, die Behandlung der Dienstboten und Tagelöhner. In diesem allen sollte eine christliche Ordnung walten. In der Fürsorge für die städtischen Armen machte er gemäß der Anweisung des Apostels Paulus den Grundsatz geltend: Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. Demnach wurde das Betteln streng untersagt, dagegen den Arbeitsunfähigen brüderlich die Hand gereicht. Zu diesem Zwecke erließ man jedes Jahr einen Aufruf an die Bürger, um freiwillige Gaben zu sammeln, aus denen an Alte und Kranke Wochengelder verabfolgt und arme Durchreisende unterstützt wurden. Auch hierin ging Calvin mit seinem eigenen Beispiel voran. Die Ratsprotokolle erwähnen, daß „dem Herrn Calvin die fremden Brüder gar viele Unkosten verursachen, da er oft so viele bei sich beherbergt, als sein Haus zu fassen imstande ist.“ Um der Arbeitslosigkeit zu steuern und den Bedürftigen möglich zu machen, daß sie ihr eigen Brot essen können, sann er auf Mittel, ihnen eine industrielle Tätigkeit zu verschaffen. Zu diesem Ende beliebte er dem Rat, die Tuch- und Sammetweberei in der Stadt einzuführen. Dazu gewann er einen unternehmenden Mann, der mit materieller Hilfe von Seiten der Behörde die nötigen Werkstätten einrichtete.“ Darin alle Müßigen samt den bisher Unterstützten Arbeit finden konnten.“ Dieser Jahrzehnte hindurch blühende Industriezweig war es, der den Grund legte zu dem soliden Wohlstand der Stadt und der später die Veranlassung gab, zur Seidenfabrikation und zur Uhrenmacherei überzugehen. Selbst im Sanitätswesen erwarb sich Calvin Verdienste um sein liebes Genf. Die öfter wiederkehrende Pest fand damals, wie schon erwähnt, in der herkömmlichen Unreinlichkeit der Städte einen günstigen Boden. Dazu kam eine entsetzliche Tat, die in Genf in den Vierzigerjahren verübt wurde. Eine ruchlose Bande hatte eine Verschwörung angezettelt, zu dem Zwecke, die Pest in der Stadt geflissentlich zu verbreiten, indem diese Mordbuben die Klinken an den Haustüren und die Geländer auf der Brücke der Rhone mit dem Pestgift bestrichen. Der Beweggrund dazu war eine teuflische Habsucht, durch die sie angetrieben wurden, auf diese Weise den Reichtum der Stadt sich in die Hände zu spielen und die Hinterlassenschaft der Verstorbenen unter sich zu verteilen. Etwa vierzig der Verschworenen wurden entdeckt, eingekerkert, überwiesen und die meisten zum Tode verurteilt. Die Seuche selbst veranlaßte Calvin, beim Magistrat darauf zu dringen, daß in der Stadt mit ihren gewundenen Gassen künftig eine viel größere Reinlichkeit gehandhabt, auch daß gleichzeitig der Verkauf von Lebensmitteln streng überwacht und Unreines und Verdorbenes in den Fluß geworfen werde. Desgleichen soll das Aufseheramt kein Jahr vorübergehen lassen, ohne die sämtlichen städtischen Brunnen zu untersuchen. Alle diese Verbesserungen im bürgerlichen wie im sittlichen und kirchlichen Leben trugen dazu bei, daß das Ansehen der Calvinstadt gewaltig stieg und ihr guter Ruf sich immer mehr ausbreitete. Aber nicht nur dem allgemeinen Wohl der Stadt Genf galt seine Sorge. Noch weit über Genf hinaus richtete er seine Blicke.
Was der Apostel Paulus von sich bezeugt, das kann man auch vom Reformator Calvin sagen, daß „außer dem täglichen Zulauf die Sorge für alle Gemeinden“ ihn in Anspruch genommen habe. In der ganzen protestantischen Welt, wo immer es galt, eine Gemeinde zu bauen, zu stärken, zu schützen, da wurde sie ihm zu seiner Gemeinde. Mit ganz Europa unterhielt er einen ausführlichen Briefwechsel, er korrespondierte mit den Fürsten in Frankreich, in Deutschland, in England, in Schottland, in Italien, mit den Gemeinden und den einzelnen Gliedern der neuen Kirche in diesen Reichen. Vor allem aus folgte er mit innigster Teilnahme dem Schicksal seiner schwer leidenden Brüder in Frankreich, seiner früheren Heimat. Es ist schon erzählt worden, wie König Franz I. vom Jahre 1539 an mit entsetzlicher Mordlust alle Evangelischen verfolgte, und daß Calvin eben dadurch gezwungen worden war, sein Vaterland zu verlassen. Jenes ist aber nur der Leiden Anfang gewesen. Im Stillen ging freilich die Reformation ihren Gang fort und verbreitete sich um so mehr, je größer die Glaubenskraft der Märtyrer sich zeigte. Im Jahre 1545 ließ dieser König Franz eine Verfolgung veranstalten, die an Umfang alles Bisherige übertraf. Zuerst mußte das harmlose Christenvölklein der Waldenser herhalten. Diese waren nämlich von katholischer Seite verleumdet worden, sie hätten ein Stück Frankreich verräterischer Weise zu einem Schweizer Kanton machen wollen. Deshalb wurden sie auf Befehl des Königs meuchlings überfallen und ihre vielen kleinen Dörfer - es sollen 22 Ortschaften gewesen sein - den Flammen preisgegeben. Die Chronisten melden, man habe damals mehr denn 2000 dieser armen Leute hingemordet. Nur ein Teil konnte sich flüchten und, weil als Gebirgsbewohner der einsamsten Pfade kundig, über Felsen und Klüfte hinweg entkommen. So gelangten nach und nach 3000 bis 4000 derselben nach Genf, wo Calvin aufs beste für sie sorgte, indem er eine Sammlung von Haus zu Haus anordnete und Kleider und Speisen verteilen ließ unter diese von allem entblößten Armen, diese durch Strapazen erschöpfte Schar von Frauen, Kindern und Greisen. Den Männern verschaffte der Rat Arbeit, wie sie selber es wünschten. „Diese braven Leute“, heißt es im Ratsprotokoll, „wollen ihren Wirten nicht zur Last fallen, sie kennen die Bedrängnis, in der die Stadt sich befindet, die eben durch die Post verheert worden ist und bitten inständig um Arbeit.“ Die Einen reisten übrigens bald weiter nach dem Piemont. Andere blieben zurück und erhielten kleine Stücke Land zum Bebauen. Sehr viele dieser verleumdeten Waldenser hatte der König Franz im Gefängnis behalten. Daher suchte Calvin auch diesen beizustehen, indem er die evangelischen Stände der Schweiz anrief, sie möchten beim König sich um die Freilassung derselben verwenden: „Die Zeit drängt. Über 400 liegen in Ketten, täglich finden Hinrichtungen statt. Sollen wir ruhig mit ansehen, wie dieses unschuldige Blut vergossen wird? Soll die Wut der Gottlosen fort und fort unsere Brüder in den Staub treten? Machen wir damit nicht Christum und die Seinigen zu einem leeren Schall und Spott vor uns selber und der Welt?“ Die Stände folgten dieser Ermahnung Calvins, aber vergebens. Ihre Vorstellungen sollen am königlichen Hof nicht den geringsten Eindruck gemacht haben. Schon im nächsten Jahr hören wir von einer neuen fürchterlichen Verfolgung. In der französischen Stadt Meaux hatte sich eine evangelische Gemeinde gebildet, genau dem Vorbilde der von Calvin eingerichteten Kirche zu Straßburg. Als diese Gemeinde am 3. September 1546 nach ihrer Gewohnheit das Abendmahl feierte, wurde sie von den Päpstlichen überfallen, 60 Personen wurden auf Wagen gebunden und nach Paris geschleppt, 14 von ihnen zum Feuertode verurteilt. Auch hier sehen wir Calvin mit einer Fürsprache eintreten. Er bittet fremde Mächte um ihre Dazwischenkunft, wendet sich an deutsche Fürsten, ruft den Kurfürsten der Pfalz, den Landgraf von Hessen und den Herzog von Württemberg auf, indem er ihnen vorstellt: „300'000 Seelen schweben in Frankreich in Gefahr, schon sind wieder Mehrere verbrannt worden, Viele in Klöster gesperrt. Etlichen ist die Zunge abgeschnitten worden, damit sie sich nicht gegenseitig zum Glauben ermuntern können. Oh werfet alles Zaudern weg und errettet die Elenden. Höret ihr nicht ihr Seufzen und Stöhnen, das das Herz tiefer als Eisen verwundet und treibt es euch nicht zum Beistande an?“ Auch in die Gefängnisse jener Märtyrer hinein sendet Calvin seine Boten mit Tröstungen und Ermahnungen von seiner Hand, damit ihr Glaube fest bleibe in der Stunde der Prüfung. Selbst der katholische Schriftsteller Pasquier kann nicht umhin zu bekennen: „Es ist doch wunderbar, wie Calvins Boten aller Wachsamkeit zum Trotz in die Gefängnisse dringen, die mit armen Verführten angefüllt sind und wie es ihm gelingt, unaufhörlich durch seine Briefe zu ermahnen, zu trösten, zu befestigen, auch die zaghaften Gemüter dahin zu bringen, daß sie dem schmerzlichsten Tode mit Freuden entgegengehn.“ So bewundern selbst die Feinde die große Standhaftigkeit der unschuldig Sterbenden, bewundern den Zeugenmut dieser starken Seelen, die in der Tat wie helle Sterne leuchten in schwarzer Nacht. Im Jahr 1547 starb der blutdürstige König Franz, wie es heißt, unter schweren Gewissensbissen. Allein sein Sohn Heinrich II. übertraf den Vater noch an blinder Wut und Unterwürfigkeit unter den Papst. Es ist haarsträubend, zu hören, wie seine Regierung trieft von Christenblut. Man würde die Berichte darüber unglaublich finden, wären sie nicht von den glaubwürdigsten Chronisten bezeugt. An 50'000 Hugenotten, wie man in Frankreich die Evangelischen nannte, seien unter den beiden genannten Königen umgekommen. Sehr viele Einzelheiten darüber, sowie über die Anstrengungen, die Calvin bald zur Rettung, bald zur Befestigung der Gefangenen gemacht, finden sich aufgezeichnet. Davon nur ein paar Beispiele. Fünf junge Franzosen, die in Lausanne studiert und die reine Lehre nach Calvin sich angeeignet hatten, kehrten mit Empfehlungsschreiben von ihm und von Viret nach ihrer Heimat zurück, um daselbst das Evangelium zu verkünden. Als sie aber durch Lyon kamen und da unter Gesprächen beim Mittagessen saßen, wurden sie unversehens verhaftet, gebunden und in den Kerker gebracht. Schon auf die erste Nachricht hin bot Calvin alles auf, um diese teuren, jungen Leben zu retten. Er gelangte sofort an die Regierungen, damit sie beim König sich für dieselben verwenden, schickte mit deren Schreiben expresse Boten an den Hof nach Paris und ließ auch den Gefangenen beruhigende Briefe zukommen. Neun Monate lang zogen sich die Verhandlungen hin und schwebte man immer zwischen Furcht und Hoffnung, bis endlich in Lyon das Urteil gefällt und in Paris bestätigt ward, lautend auf Todesstrafe durch Feuer. Noch jetzt wurden mehrere Briefe zwischen Calvin und den Gefangenen gewechselt, wahrhaft apostolische Schreiben, die von inniger Liebe des Seelsorgers und von rührender Hingabe der Verurteilten zeugen. Einer von diesen schreibt: „Wir treten auf den Kampfplatz, indem wir unserem Feldherrn Jesu Christo folgen, der das Kreuz erduldete und die Schmach der Welt verachtete, um den Willen seines himmlischen Vaters zu erfüllen und auf diesem Wege die Auserwählten, die vorher bestimmt sind, daß sie sollen dem Bilde seines Sohnes ähnlich werden, zum ewigen Leben zu führen.“ Wie ein Feldherr die Soldaten, die im Begriffe sind, auf dem Felde der Ehren zu sterben, noch einmal ermunternd grüßt, so der Reformator die, die sein geistliches Heer sind, die Märtyrer. Sie sind seine Soldaten, die ihre Pflicht tun, indem sie sterben für die Ehre Gottes. Calvin antwortet den fünf Jünglingen: „Der Geist des Herrn wird euch zur Zeit der Not so kräftigen, daß ihr der Hitze der Anfechtung nicht erliegen könnt, er wird euch die Hand zum Streite stärken und nicht dulden, daß ein Tropfen eures Blutes vergebens vergossen werde. Ihr wißt, wenn wir diese Welt verlassen, so gehen wir nicht aufs Ungewisse, ihr seid versichert, daß ihr durch Gottes freie Gnade angenommen in euer Erbteil eingeht und da euch Gott zu Märtyrern seines Sohnes berufen hat, so habet ihr daran noch eine überschwengliche Bürgschaft mehr. Nur einen Augenblick noch ist eure Herrlichkeit und euer Leben in Gott verborgen; die Zeit ist nahe, wo das Hinfällige abgelegt und das Verwesliche verklärt wird. Jetzt besitzet ihr noch in Hoffnung, bald werden wir Alle mit einander im Reiche Gottes in Wirklichkeit besitzen und genießen, was kein Ende mehr nimmt.“ Der Tod dieser heldenmütigen Jünglinge wird uns von dem Chronisten Crespin also beschrieben: „Als sie das Urteil gehört hatten, warfen sie sich nieder und beteten mit einer Inbrunst und Freudigkeit, die Alle in Erstaunen setzte. Psalmen singend und Gott lobpreisend, wurden sie ins Gefängnis zurückgeführt. Als sie daraus abgeholt und auf den Wagen gesetzt wurden, sangen sie den 9. Psalm: 'Ich danke dem Herrn von ganzem Herzen'. An der Richtstätte angekommen, stiegen sie mit frohem Mute auf den Scheiterhaufen, die zwei Jüngsten voran und ließen sich geduldig von dem Henker an den Pfahl binden. Der Letzte, der den Holzstoß betrat, war Martial Alba, der, um fünf Jahre älter als die Andern, auf den Knien gelegen hatte, während man jene gebunden. Er bat den Henker, ihm eine Bitte zu gewähren: 'Erlaubt mir', sagte er, 'daß ich meine Brüder küssen darf, bevor ich sterbe.' Es wurde ihm erlaubt. Darauf küßte er die vier anderen, indem er zu jedem von ihnen sagte: 'Lebe wohl, mein Bruder.' Desgleichen neigten sie sich zu ihm hin und grüßten ihm mit denselben Worten. Als das Feuer angezündet war, hörte man die Stimmen der fünf Bekenner des Glaubens, wie Einer den Andern ermahnte: 'Mut, Bruder, Mut.' Dies waren die letzten Worte, welche von den tapferen Kämpfern und Märtyrern des Herrn vernommen wurden.“ Ein zweites Beispiel aus jener Wolke von Zeugen ist folgendes: Drei Geistliche brachen von Genf auf, froh wie die fünf Studenten von Lausanne, Psalmen singend auf dem Wege, in der Richtung gen Frankreich, mit dem Plan, dort das Evangelium zu verbreiten, obgleich man sich bei diesem Bekenntnis von allen Seiten bedroht sah. Bald wurden denn auch diese unerschrockenen Männer, ins Gefängnis geworfen und kurzer Hand als Ketzer zum Tode verurteilt. Calvin schrieb ihnen: „Obgleich euch die Tür geschlossen ist, durch die Lehre diejenigen zu erbauen, denen ihr euere Arbeit zudachtet, so wird doch das Zeugnis, welches ihr ablegen werdet, sie auch aus der Ferne festmachen; denn Gott wird diesem Zeugnis eine Kraft geben, viel weiter zu erschallen, als die menschliche Stimme reichen kann.“ Wie hoch Calvin an Achtung und Vertrauen bei diesen Männern stand, das gibt sich noch aus dem folgenden letzten Brief zu erkennen, mit dem Einer von seiner Frau Abschied nimmt und ihr empfiehlt, sich in Allem an den Rat Calvins zu halten: „Tue nichts ohne ihn. Verheirate dich mit einem gottesfürchtigen Manne oder verheirate dich nicht. Du weißt, wie wir uns geliebt haben die ganze Zeit hindurch, die es Gott gefallen hat, uns zusammen leben zu lassen. Sein Friede war immer mit uns. Ich bete, daß du ebenso und noch trefflicher erfunden werdest mit dem Gatten, welchen Gott dir geben wird. Du schreibst mir, daß meine Verurteilung zum Tod dir zuerst ein bitterer Kelch gewesen sei. Das glaube ich wohl, weil ich deine Schwachheit kenne. Ich bitte dich aber, ihr zu widerstehen, da du schon längst geübt sein mußt durch meine Einkerkerung, deren Ausgang nur der Tod sein kann. Denke also nicht mehr an mich als an deinen Mann, oder sieh mich vor dir ganz verbrannt und zu Asche geworden und auf diese Weise nicht anders mit dir verbunden als durch das Band der geschwisterlichen Liebe.“ Auf der Richtstätte angelangt, zeigten diese Jünger Christi auch die Beharrlichkeit und Kraft von solchen, der Eine, indem er mit lauter Stimme in Psalmsprüchen Gott lobte, der Andere, indem er für seine Feinde betete. Als der Henker die beiden so schön sterben gesehen und die Reihe an den Dritten kam, bat er diesen um Verzeihung, denn er sei es ja nicht, der ihn sterben ließe, sondern die Richter, worauf die Märtyrer ihm antwortete: „Mein Freund, du beleidigst mich nicht, denn durch dein Tun wird meine Seele aus einem Gefängnisse befreit“. Nachdem er dieses gesagt, küßte er ihn und als der Holzstoß angezündet war, sprach er das Gebet zu Ende, das der Vorhergehende noch begonnen hatte, ehe er ausgelitten. Mehrere unter dem umstehenden Volke waren so von Mitleid bewegt, daß sie weinten. Solche Bekenner hatte die Calvinstadt erweckt.
Unter denen, die zur Zeit Heinrichs II. Verfolgung erdulden mußten, ist auch die Kirche von Paris zu nennen, deren Anfänge dem ersten Wirken von Calvin im Jahr 1529 zu verdanken waren, und die er immer in teurem Andenken behielt. Als im Jahr 1557 der König, einer päpstlichen Bulle gehorchend, ein eigentliches Ketzergericht aufgestellt hatte, sehen wir die Verfolgung aufs Neue losbrechen, und lesen wir, daß Calvin um diese Zeit der Gemeinde in Paris zwei Prediger von Genf sandte mit ermunternden Begleitschreiben. Kaum sechs Monate nachher folgte eine schwere Prüfung. Am Abend des 4. September feierte die Gemeinde in ihrem Lokal an der Rue St. Jacques das heilige Abendmahl. Die meisten in der Versammlung gehörten den höheren Ständen an. Damen aus den ersten Familien befanden sich unter ihnen, im Ganzen mehr als 200 Teilnehmende. Nun rottete sich vor der Türe ein von den Priestern aufgestachelter Pöbel zusammen, fiel dann über die Herausgehenden her und schleppte so viele erfaßt werden konnten, in die unterirdischen Kerker des Châtelet. Sobald die erste Kunde von diesem Überfall nach Genf kam, strengte sich Calvin an, die Gefangenen zu retten, rief die evangelischen Kantone und die protestantischen Fürsten Deutschlands auf, daß sie mit Vorstellungen an den französischen König gelangen möchten. Es war zu spät. Schon am vierten Tage nach der Gefangennahme brannten Scheiterhaufen, welche zwei Diakone und eine adelige Dame besteigen mußten. Diese hatte durch ihre Sanftmut und Geduld schon im Kerker auf ihre Mitgefangenen einen tiefen Eindruck gemacht und, jetzt zum Tode geführt, erschien sie lächelnd, glücklich, weiß gekleidet wie zu einem Feste. Es war die Witwe des Herrn von Graveron, erst 24 Jahre alt. Noch vier neue Opfer sollten fallen, bevor die Bemühungen Calvins und die von Deutschland her am Hofe von Paris wenigstens das erzielten, daß man beschloß, bei den vollzogenen Hinrichtungen für dies Mahl stehen zu bleiben. Indessen mußten die zur Zeit Inhaftierten noch lange im Kerker schmachten, und manche wurden allmählich aufgerieben durch die in jenen unterirdischen Räumen verpestete Luft und die schlechte Behandlung. Doch erreichte die wiederholte Fürsprache Calvins und eine von ihm erbetene Gesandtschaft der Kantone, sowie das vereinte Einschreiten der Kurfürsten von der Pfalz und des Herzogs von Württemberg so viel beim König, daß mehrere der Gefangenen freigelassen wurden. Andere blieben eingekerkert, bis sie starben. Mächtigen Trost brachten den Gefangenen die Briefe, die Calvin bald an einzelne, bald an Mehrere zusammen richtete, und durch die er sie befestigte in dem Glauben, der Alles überwindet. Viele dieser Briefe sind noch vorhanden. Ihr Ton ist, wie schon bemerkt, der des Feldherrn zu seinen Soldaten. Selten begegnet man darin einer Äußerung des bloßen Mitleidens oder der Teilnahme an zeitlicher Trübsal. Immer sind die Ermahnungen ernst, männlich, nüchtern, rücksichtslos gegen Fleisch und Blut. Einige der leitenden Gedanken in diesen Briefen sind folgende:
Unverrückt sollen die Gläubigen eingedenk bleiben ihrer ewigen Erwählung in Jesu Christo. Die Bitterkeiten menschlicher Anfechtung ist dadurch zu überwinden, daß wir uns ganz und gar unserem Erlöser zu eigen übergeben; die Leiden dieser Welt ertragen wir um so leichter, je mehr wir hintansetzen, was der schnell vorübergehenden Zeitlichkeit angehört und fest im Auge behalten, was droben ist und wandeln in der Gemeinschaft unseres erhöhten Herrn. Wir sollen uns recht vertiefen in die Verheißungen Gottes, die gleich Stufen uns zum Himmel erheben, damit wir dieses hinfällige Leben und den Tod verachten lernen. Es ist nicht für etwas Besonderes zu halten, wenn wir um seines Namens willen vertrieben werden von Ort zu Ort, wenn wir Heimat und Vaterhaus verlassen müssen und uns in die Fremde flüchten, denn wie bald kommt die Stunde, wo wir doch von dem allem auszugehen haben und dem Rufe des Herrn uns nicht mehr entziehen können. Befinden wir uns in einer Knechtschaft, in der wir nicht imstande sind, Gott in reiner Weise zu dienen, so gehen wir von da fort. Wir dürfen nicht müde werden, selbst wenn wir Land und Meer durchwandern müßten, eine Lebenslage aufzusuchen, wo wir uns richten können nach dem Willen unseres Vaters im Himmel. Kein Band irdischen Wohlseins ist so fest, daß wir es nicht mit Freuden zerreißen werden, um ganz und allein ihm dienen zu können nach seinem Wort. Durch keine Menschenfurcht noch Menschengefälligkeit dürfen wir uns etwas abdingen lassen von der ganzen Entschiedenheit unseres Bekenntnisses. In solcher Lage gebietet uns Gott, fest zu bleiben und das Bekenntnis unseres Glaubens nötigenfalls mit unserem Blute zu besiegeln. Mutet man uns irgend eine Verleugnung zu, so ist die einzige Antwort, die sich geziemt: Lieber sterben! Und damit es uns an der Kraft hiezu nicht fehle, richten wir unsere Blicke beständig auf den Sohn Gottes, der sein Blut auch nicht zu kostbar geachtet hat, als es unsere Erlösung galt, und sehen wir auf die unvergängliche Krone im Himmel, die denen bereit liegt, die recht gekämpft haben. Nicht ohne Grund ist gesagt, daß Gott unsern Glauben prüfen will, wie das Gold im Schmelztiegel. Unsere Losung sei: Immer vorwärts, immer näher heran zu dem Kleinod unserer himmlischen Berufung. - Denjenigen Verfolgten, die noch in Freiheit sind, gibt Calvin den Rat, zu ihm ihre Zuflucht zu nehmen, indem sie nach Genf auswandern. Es sei wohl hart, seine Heimat zu verlassen, aber höhere Betrachtungen werden über alle Schwierigkeiten hinweghelfen, und was noch etwa davon zurückbleibe, dürfen wir getrost der Vorsehung Gottes anbefehlen. Damit aber die Flüchtlinge nicht etwa meinen, in Genf in einen sichern Hafen der Ruhe für ihre Seelen einzulaufen, sollen sie sich darauf gefaßt machen, daß das Kreuz Christi ihnen überallhin folgen werde, „denn überall prüft der Herr unsern Glauben und will uns zur Selbstverleugnung erziehen. Auch hier in Genf ist keine sichere Ruhe zu finden. Solange wir auf dieser Welt leben, sind wir nicht anders, als wie die Vögel auf den Zweigen. So ist es Gottes Wille und gut für uns.“
Auf diesem Glaubensgrunde, den Calvin gelegt, erbauten sich, litten und starben die Bekenner der französischen Kirchen. Nicht alle aber waren so treu und standhaft in ihrem Bekenntnis, wie es gefordert wird in jenem Wort: „Wer mich vor den Menschen bekennen wird, den will ich auch bekennen vor meinem Vater im Himmel“. Manche meinten, wenn sie nur in ihrem Herzen dem Evangelium sich aufrichtig ergeben haben, so brauchen sie es nicht nach außen zu verraten und sich Verfolgung zuzuziehen, also dürfen sie wohl zur Messe gehen, damit man sie für gute Katholiken halte und in Ruhe lasse. Um diese falschen Begriffe aufzuklären, gab Calvin zwei Schriften heraus, betitelt: „Gegen die Nikodemiten“, das heißt gegen diejenigen, die den guten Schein vor den Menschen haben wollten, wie Nikodemus, der des nachts zu Jesu gekommen war, um ihm seine Verehrung zu bezeugen, am Tag aber sich zu den Pharisäern hielt. In diesen Schriften heißt es: „Der Verstellung macht man sich schuldig, wenn man verbirgt, was im Herzen ist. Heuchelei aber ist noch schlimmer. Sie besteht darin, uns den Schein dessen zu geben, was wir gar nicht haben. Wenn die Gläubigen der Urkirche es ebenso gemacht hätten, was wäre aus der Kirche geworden? Was ist das für ein Glaube, welcher im Innern der Seele begraben liegt und sich nicht durch ein offenes Bekenntnis hervorwagt! Was für eine Überzeugung, die sich hinter heuchlerischer Teilnahme am Götzendienst verbirgt!“ Nun ja, sagten einige, Calvin habe gut reden, da er aber andern so große Tapferkeit zumute, so möchte er doch selber herkommen, damit man sehen könne, wie er es mache. Gesetzt, Calvin würde eine solche Herausforderung angenommen haben, wie hätten die Papisten gejubelt: „Seht doch, dieser Erzketzer liefert sich selber aus dem Gericht.“ Mehr als ein Mal trat die Versuchung wirklich an Calvin heran, allein der Rat wehrte ihm entschieden. So als man ihn zum Religionsgespräch in Poissy haben wollte, da notiert der Sekretär des Rates ausdrücklich: „Es wird dem Herrn Calvin verweigert.“ Der gleiche Beschluß steht im Ratsprotokoll, als die Herzogin von Ferrara ihn zum Prediger wünschte in dem Lande, das ihn schon einmal verfolgt hatte. Ebenso als er nach Paris und später nach Nismes eingeladen wurde. Es galt übrigens nicht nur, vor der Welt Zeugnis abzulegen und ohne Heuchelei seinen Glauben zu bekennen, unzählig sind auch die privaten Briefe Calvins, mit denen er jenen stillen, der Welt verborgenen Märtyrern seinen Beistand leistete, die von ihren römischen Verwandten, von den eigenen Hausgenossen täglich gequält und gescholten wurden als die Abtrünnigen, als die von der Mutterkirche Abgefallenen. Diese von ihren katholischen Angehörigen Verachteten und Gemarterten waren der Mehrzahl nach Frauen. Bei wem konnten sie besser beraten sein und größeren Trost finden, als bei ihm, der sich wie ein Vater aller Gemeinden annahm, bei dem Reformator, der so hoch an Ansehen und Vertrauen bei ihnen stand, daß seine Briefe wie päpstliche Bullen geachtet wurden?
Neue Prüfungen brachte das Jahr 1559. Von den katholischen Mächten war beschlossen worden, nun einmal mit aller Kraft der Ketzerei auf den Leib zu rücken. Zu diesem Ende empfahl Papst Paul IV. die Inquisition als das beste Mittel, sich gegen die immer stärker überhand nehmenden Hugenotten zu schützen. Nun saß im Parlament des Königs Heinrich ein durch seine Redlichkeit wie durch seine Kenntnisse ausgezeichneter Jurist, namens Du Bourg, ein Anhänger der Protestanten; dieser hielt vor den Abgeordneten in Anwesenheit des Königs eine Rede, darin er mit aller Freimütigkeit sagte: „Es ist kein leichtes Ding, die zu verdammen, welche mitten in den Flammen den Namen Jesu Christi bekennen.“ Hierüber erbost, ging der König sofort hinaus und gab dem Offizier der Wache Befehl, den Du Bourg festzunehmen und in die Bastille zu werfen. Er ging in seinem Zorn, so weit, daß er laut beteuerte, er wolle mit seinen eigenen Augen die Verbrennung dieses Ketzers sehen. Allein in einem höheren Rate war es anders beschlossen. Noch bevor der Befehl ausgeführt werden konnte, war großes Fest am Hofe, wobei ein Turnier stattfand zwischen dem König und einem der anwesenden Grafen. Bei diesem Kriegsspiel brach eine Lanze, und die abgebrochene Spitze traf den König durchs Visier hindurch in ein Auge so tief, daß das Gehirn verletzt wurde und er nach ein paar Tagen sterben mußte, den 10. Juli 1539. Dieses merkwürdige Verhängnis hat auch Bullinger in seinem Diarium notiert: „Als Heinricus II. im turnier rit, war er ab dem ross gerännt, zum visier in mit einem gebrochnen glännen verwundt am 30. Junii, das er den 10. Julii sinen geist ufgab. Und hort hiemit uff verfolgen.“
Nach seinem Tode blieb zwar die staatliche Gewalt wie bis dahin beherrscht von der päpstlichen Kirche, und sogar „Verbrennungskommissionen“ (chambres ardentes) wurden unter Franz II. aufgestellt, allein es waren doch allmählich protestantische Gemeinden in so großer Zahl entstanden, und es hatte sich überdies ein so zahlreicher protestantischer Adel gebildet mit einer Ritterschaft an der Spitze, daß dieser Lust zeigte, gegen die Verfolger gewaltsam vorzugehen. In der Tat fing man jetzt an, militärisch sich zu rüsten. Calvin jedoch hat in allen seinen Briefen und Gutachten vor jeder Gewaltmaßregel gewarnt und einen passiven Gehorsam geboten. Beständig betont er: „Die einzigen Kämpfe und die einzigen Triumphe, würdig der Reformation, das sind die Leiden der Märtyrer, welche schon durch so viele Eroberungen bezahlt wurden. Die Blutgerüste und die Scheiterhaufen sind fruchttragend; die Kriege, selbst die glücklichen, sind unfruchtbar.“ Als dennoch die Protestanten zu der Verschwörung von Amboise sich hatten verleiten lassen, die bekanntlich einen unglücklichen Ausgang nahm und vielen hundert Evangelischen das Leben kostete, beklagte sich Calvin bitterlich: „Ich glaubte nicht so lange zu leben, um den Tag zu sehen, an welchem wir allen Einfluß bei denen verloren hätten, welche sich Gläubige nennen. Muß denn die Kirche Gottes von ihren Kindern so verachtet werden?“
Um dieselbe Zeit trat der Admiral Coligy auf den Plan. Schon als er kriegsgefangen im Kerker saß, damals noch der römischen Kirche angehörend, hat Calvin dem berühmten Manne einen Brief geschrieben, durch den er ihn für die reine Lehre zu gewinnen suchte. Im Gefängnis krank liegend, las nun Coligy das Wort Gottes und die Schriften von Calvin, und bald nachdem er genesen war und die Freiheit erlangt hatte, sehen wir ihn mit Begeisterung für die Reformation auftreten. Im Jahr 1560 war wieder in jedem Teile Frankreichs ein Ketzergericht eingesetzt worden mit dem Auftrag, daß alles was verdächtig sei, der Reformation anzugehören, zum Feuertod verurteilt werden. Während nun in jenen Tagen die Notabeln des Reichs in Fontainebleau versammelt waren, setzte Coligny sein Leben aufs Spiel, indem er entgegen den dringenden Warnungen seiner Freunde, in diese päpstlich gesinnte Versammlung sich wagte und im Namen seiner Glaubensgenossen dem Könige an den Stufen seines Thrones eine Bittschrift übergab mit dem Titel: „Die demütige Bitte derer, welche in verschiedenen Provinzen den Namen Gottes nach den Regeln der Frömmigkeit anrufen.“ Mit hoher Freude über dieses mutige Vorgehen des Admirals, schrieb Calvin an ihn: „Wie loben wir Gott, daß er Ihnen so starken Mut gegeben hat, solches zu wagen für seine Ehre und das Reich seines Sohnes. Gott und seine Engel sehen auf Sie herab und freuen sich Ihrer.“ Coligny selber hatte sich die Gefahr nicht verhehlt, als er jenen Gang zum König wagte, denn beim Abschied von seiner Frau ermahnte er sie schonend, unter allen Umständen dem Bekenntnis des Evangeliums treu zu bleiben und es für Gnade zu halten, wenn der Herr uns zum Leiden beruft um seines Namens willen. Zwölf Jahre nach diesem hat Coligny sein Bekenntnis mit Blut besiegelt, als der erste unter den Märtyrern der Bartholomäusnacht. Aus der noch vorhandenen Korrespondenz zwischen den beiden Heldengestalten ersieht man, daß Calvins Einfluß einen großen Anteil hatte an der Glaubenskraft und Standhaftigkeit, die Coligy in seinem Wirken für die Reformation bewies. Wo immer der Admiral in den Stürmen jener Zeit die Sache die Sache der Evangelischen führte und die Wut der Feinde erfahren mußte, da steht ihm Calvin zur Seite mit Rat und Trost aus Gottes. Wort. „Eine edlere Frucht hat der Baum der französischen Reformation nicht getragen, einen größeren und patriotischeren Bürger als Coligny hat Frankreich nie besessen, so weit seine Geschichte reicht“, sagt Stähelin.
„Hätte Calvin auch nur diesen einen Schüler gewonnen, so wäre er ein mächtiges Werkzeug geworden zur Verbreitung der Wahrheit“, schreibt Henry. Indessen nahm der Prozeß gegen jenen Du Bourg, den der verstorbene König auf dem Scheiterhaufen hatte sehen wollen, seinen Fortgang. Der Gefangene wurde in der Bastille streng gehalten bei Wasser und Brot. Dringende Fürsprachen von Calvin und der Gemeinde zu Paris fruchteten nichts. Der Tod war eine beschlossene Sache. Frei und stark im Geiste wartete Du Bourg das Urteil ab, in seiner Zelle Psalmen singend und mit einer Laute sich begleitend. Endlich wurde ihm der Spruch der Richter überbracht: er solle zu Asche verbrannt werden. Da kniete er nieder, dankte Gott, daß er ihn würdige, für die Verteidigung der ewigen Wahrheit zu sterben. Ruhig und mit freudigem Antlitz schritt er, als Parlamentarier von 400 Soldaten umgeben, zur Richtstätte. Ein Geschichtsschreiber sagt, der Tod dieses Parlamentsmitgliedes habe mehr Eindruck auf die Gemüter gemacht, als hundert Prediger mit ihren Predigten.
In jenem Jahr 1560 und den nächstfolgenden siegte die Reformation in Frankreich mehr und mehr. Von Tag zu Tag wuchs die Zahl derjenigen, welche die Messe aufgaben und sich zu evangelischen Gemeinden verbanden. Der Admiral Coligny gibt im Jahr 1561 die Zahl der organisierten Kirchen auf 2100 an. „Ein eigentümliches Schauspiel war es, das Frankreich bot“, sagt Bungerer: „Auf der einen Seite ist das Königtum, Heinrich II., Franz II., der Vater und der Sohn, die wie von einer Wut der Hinrichtung ergriffen waren. Auf der andern Seite sind es Städte und ganze Provinzen, es ist ein guter Teil des Adels und bald darauf die Mehrzahl derselben, es ist die Herzogin von Ferrara, es ist ihr Gemahl, das Haupt des Hauses der Bourbonen, es ist der Prinz von Condé, es ist Coligny, einer der schönsten Charaktere dieses Jahrhunderts und aller Jahrhunderte, dies war das Heer, welches der Mann von Genf (wie man am Hof ihn nannte) sich vergrößern sah und dessen Führer er war.“ Aus diesem mächtigen Umsichgreifen der neuen Lehre schloß der römische Klerus, daß man bisher zu milde verfahren sei und drang auf Verschärfung der Maßregeln: man müsse auf alle Ketzer losgehen wie auf Tollgewordene, auf Feinde Gottes und der Menschen zugleich. Gleichwohl standen die Sachen so, daß die Papstkirche verloren schien und verloren gewesen wäre, wenn man nicht zu fleischlichen Waffen gegriffen, nicht selber den unglücklichen Religionskriegen gerufen hätte, vor denen doch Calvin so laut gewarnt: „Besser, wir gingen Alle unter, als daß die Kirche solcher Schmach ausgesetzt werde.“ Mit Recht urteilte Bungener: „Wenn die Reform sich noch zehn Jahre lang hätte vergrößern können, wie sie sich bisher vergrößert hatte, arm, streng, durchaus auf das religiöse Gebiet beschränkt, mit Blut benetzt, aber mit ihrem eigenen Blut, dann würde sie Herrin von Frankreich geworden sein.“ Das Vorstehende mag genügen, um den großen Einfluß zu erkennen, den der Reformator, von Genf auf die Gründung und das Gedeihen der Kirchen in Frankreich ausgeübt hat.
Nächst der Sorge für sein früheres Vaterland geht sein Hauptbestreben dahin, Einheit unter den evangelischen Kirchen herzustellen, Übereinstimmung in allem Wesentlichen betreffend die Lehre, den Kultus und die Sitten, jenes Einssein, das der Herr über alle seine Gläubigen erfleht hatte und das daher gegründet sein sollte auf das reine Gotteswort. Mit diesem Streben richtet Calvin seine Augen von einem Lande aufs andere, soweit er es zu erreichen vermag, so nächst Frankreich auf England, wo nach der blutigen Regierung Heinrichs VIII. wieder eine der Reform günstigere Zeit angebrochen war. Da nämlich der Thronfolger, Eduard VI., noch minderjährig war, wurde an seiner Statt die königliche Gewalt dem Herzog von Sommerset übergeben, einem Manne, der den Reformierten von ganzem Herzen zugetan war. Calvin, über das Schicksal der englischen Glaubensgenossen gut unterrichtet, ergriff den günstigen Anlaß dieses Regierungswechsels, um dem Herzog von Sommerset, als dieser ihn um seinen Rat gebeten, zu empfehlen, daß er jeden Rest von Zeremonien, der noch geblieben war, abschaffe, damit keinerlei Aberglauben genährt werde. Daneben wolle er für Prediger sorgen, die nicht wie die bisherigen die Predigten ablesen, sondern die „gute Posaunen seien, deren Schall bis in die innersten Tiefen der Herzen dringe“. Vor allem bittet er ihn, dem klaren Worte Gottes gemäß, streng auf gute Sitten zu halten und jedem Ärgernis zu steuern: „Ich bitte Sie, gnädiger Herr, ziehen Sie die Zügel strenge an und sorgen Sie dafür, daß die Hörer des Evangeliums ihr Christentum durch ein heiliges Leben bewähren; denn wie die Lehre die Seele der Kirche ist, so sind Zucht und Unterdrückung der Laster ihre Nerven, von denen die Gesundheit und Kraft des Leibes abhängt. Auf Ihnen selber aber ruht die größte Verantwortlichkeit dafür, daß in diesem Sinne gehandelt werde. Ihrer eigenen Weisheit und Frömmigkeit stelle ich das Weitere anheim.“ Diese Zuschrift an Sommerset wurde beherzigt. Ebenso später eine ähnliche, die Calvin an den jungen König richtete, als er mit 14 Jahren den Thron bestieg. Die Reform wurde genau nach den Grundsätzen fortgesetzt; wie der Genfer Reformator sie gelehrt hatte. Dem jungen Regenten widmete er den Kommentar über Jesajas und über die sieben kleinen Briefe des Neuen Testamentes. Diese Widmung, begleitet von einem väterlichen Briefe von Calvins Hand, machten dem jungen König Eduard, der mit ausgezeichneten Fähigkeiten eine innige Frömmigkeit verbunden haben soll, eine große Freude und er befolgte treulich, was ihm Calvin in jenem Briefe geschrieben hatte, nämlich: „Es ist etwas Großes, König zu sein, namentlich über ein solches Reich, aber noch unvergleichlich größer ist es, ein Christ zu sein.“ So kurz Eduards christliche Regierung währte, hat doch die Reformation in dieser Zeit wesentliche Fortschritte gemacht; jedoch zu einem vollkommenen Siege derselben kam es erst später. Vorher war der englischen Kirche noch eine schwere Heimsuchung beschieden. Schon im Alter von 16 Jahren starb König Eduard VI. „Wir trauern über ihn“, schreibt Calvin an Bullinger, „wir trauern über die Kirche und stehen über ihr Geschick in Sorge und Angst.“ Wir begründete diese Sorge war, das zeigte sich sofort; denn jetzt bestieg den Thron Eduards Schwester, die unter dem Namen der blutigen Maria bekannt ist. Diese war mit einer solchen Leidenschaft dem Papsttum ergeben, daß die Hinrichtungen der Ketzer bald einen Grad erreichten, wie nie zuvor. Überall stellte die Königin die Messe wieder her. Innerhalb drei Jahren mußten 270 Menschen wegen angeblichen Ketzereien das Leben verlieren; unter ihnen 26 Geistliche, 35 Frauen und vier Kinder. „Dennoch“, sagt der Kirchenhistoriker Schröck, „verfehlten alle diese Gewalttätigkeiten ihre Hauptabsicht. Weder die Protestanten selbst, noch weniger ihre Lehrsätze wurden dadurch ausgerottet. Beim Anblick der außerordentlichen Standhaftigkeit und Freudigkeit, mit welcher so viele ihren Glauben mitten unter einem martervollen Tod bekannten, befestigten sich ihre gleich gesinnten Brüder in demselben desto mehr.“ Mit welcher Blindheit diese Maria durch die Römischen geschlagen war, ersieht man daraus, daß sie dem Papste schrieb: „Ich ziehe doch meine Seligkeit zehn Königzeichen vor.“ In diesem Wahn, durch die Ausrottung der Ketzer ihre Seele zu retten, verschonte sie keinen Stand und keinen Rang, sobald sie Abweichung von der päpstlichen Lehre witterte. Sogar der edle Herzog von Sommerset mußte im Jahre 1552 das Schafott besteigen. Mit christlichem Heldenmut und laut beweint von dem umstehenden Volk erlitt er den Tod. Noch andere ausgezeichnete Männer mußten das gleiche Schicksal teilen, so Ridley, der frühere Bischof von London, gemeinsam mit dem 80jährigen Latimer, dem vormaligen Bischof von Worcester. Auf den Scheiterhaufen gebracht, rief Latimer seinem Freund zu: „Sei guten Mutes, Bruder wir werden heute eine solche Fackel in England anzünden, daß sie, wie ich zu Gott hoffe, niemals auslöschen soll.“ Auch Cranmer, der Primas von England, mußte dem Fanatismus der Königin erliegen, er, der Übersetzer der Bibel ins Englische. Als großer Verehrer Calvins, hatte er diesem, um Einheit in der Lehre zu erzielen, eine Zusammenkunft aller Führer der protestantischen Kirchen vorgeschlagen, worauf Calvin geantwortet: „Was mich betrifft, wenn man mich brauchen kann, will ich gern zehn Meere durchschiffen, um die Sache fördern zu helfen.“ Dieser Cranmer, ein Hauptbeförderer der Reformation in England, wurde bald nach Marias Thronbesteigung eingekerkert und in dreijähriger Gefangenschaft durch Zureden der römischen Theologen zu einem teilweisen Widerruf gebracht, nichtsdestoweniger aber als einer, der mit seiner ketzerischen Lehre ganz England vergiftet habe, zum Feuertod verurteilt. Zur Richtstätte geführt, bezeugte er vor allem Volk eine lebhafte Reue über jenen Widerruf und, auf den Holzstoß gesetzt, streckte er die rechte Hand zuerst in die Flamme mit dem Ausruf: „Diese unwürdige Hand hat gesündigt.“ Groß war die Trauer um den Mann, den man allgemein sehr geliebt hatte, dem man besonders seine Milde, seine Mäßigung, seine Geradheit und eine große Mildtätigkeit gegen die Armen nachrühmte. So teuer ist die reine Lehre unserer protestantischen Kirche erkauft worden. So viel Blut hat ihre Lösung vom Joch menschlicher Satzungen, ihre Befreiung aus der Knechtung der Gewissen gekostet. Auf diese Weise hat also auch England diejenigen belohnt, die sich um seine Reformation am meisten verdient gemacht haben. Von außen gesehen, schien nun wohl die englische Reformation wieder vernichtet, doch lebte das Werk in der Stille fort. Im Geheimen hielten die evangelisch Gesinnten ihre Gottesdienste und in den Häusern lasen sie eifrig die reformatorischen Schriften, welche englische Flüchtlinge aus Deutschland und aus Genf ihnen zusandten. Mehr als tausend Engländer hatten sich nämlich dem Schreckensregiment der blutigen Maria dadurch entzogen, daß sie von ihrem Vaterland Abschied nahmen und sich nach Gegenden flüchteten, wo sie unangefeindet ihres Glaubens leben konnten. Ein großer Teil derselben ließ sich in Genf nieder und schloß sich an die Kirchenordnung Calvins an. Aufs Bereitwilligste kam er ihnen entgegen, indem er eilends beim Rat die Erlaubnis auswirkte, daß ihnen der Tempel des Auditoriums zum Gebrauch überlassen wurde. Erst als seit der Thronbesteigung der Elisabeth in England die reformatorischen Bestrebungen wieder frei hervortreten durften und endlich zum unbestrittenen Sieg der Reformation führten, kehrten diese englischen Exilanten in ihre Heimat zurück, nicht ohne tiefe Eindrücke von Calvins Lehre und Ordnung mitzunehmen, Eindrücke, die noch heute dort erkennbar sind. Noch weit größer als in England war der Einfluß, den Calvin auf die Kirche von Schottland durch dessen Reformator Johannes Knox ausgeübt hat. Dieser Mann, ein Schotte, wissenschaftlich gebildet, nur vier Jahre älter als Calvin, war im Jahr 1542 zur protestantischen Kirche übergetreten und wurde später deren Hauptführer in Schottland. Vorher aber mußte er noch durch die Leidensschule hindurch gehen. Als nämlich die Franzosen dort intervenierten, nahmen sie ihn gefangen und brachten ihn auf die französische Galeere. Fast zwei Jahre lang hatte er da die aufreibende Schiffsarbeit zu verrichten; doch ertrug er sie mit christlichem Mut. Nach erlangter Freiheit begab er sich nach England und war dort unter König Eduard für die Sache der Protestanten tätig. Später finden wir ihn bei den englischen Flüchtlingen in Genf, angezogen durch den Ruf des berühmten Lehrers in dieser Stadt, dessen Schriften er schon lange kannte. Hier setzte sich der 50jährige Mann unter die Schar von Jünglingen zu den Füßen des gefeierten Calvin. Ihn verehrte er wie seinen Vater und blieb zwei Jahre in persönlichem Umgang mit ihm und der Genfer Kirche. Wie begeistert er davon war, entnimmt man einem Brief an seine Freunde in Schottland, denen er von Genf aus schrieb: „Seit der Apostel Zeiten hat es keine Stätte auf Erden gegeben, wo das Evangelium in solcher Kraft und Reinheit gelehrt wird wie hier. Man verkündigt es wohl auch an andern Orten, aber nirgends erneuert und durchdringt er das Leben wie hier. Ich habe mich lange gesehnt, daß es Gott gefallen möge, mich in diese Stadt zu bringen. Jetzt da es geschehen ist, soll sie mir zur Schule werden, in der ich das rechte Christentum lerne.“ Im Jahr 1559 gelangen die Lords von Schottland an Calvin, um mit seiner Hilfe Knox zur Rückkehr zu bewegen. Er folgte dem Ruf und kehrte zurück. Von da an sehen wir ihn als Prediger in Edinburgh und als Führer der Evangelischen unermüdlich arbeiten, um die Reformation in Schottland durchzuführen. In jenem Jahr notiert Bullinger in seinem Diarium: „Die Schotten werffen sich ab vom pabstumb, namend an das evangelium, und furend in der religion für.“ Als Knox in diesem Fürfahren so viel erreicht hatte, daß die Reform durch einen gesetzlichen Akt bestätigt und ein Glaubensbekenntnis, „die Schottische Konfession“ genannt, angenommen war, da galt es nun, das große Werk ausbauen und sowohl die kirchlichen Einrichtungen als das Leben gemäß dem Worte Gottes neu zu gestalten. Auch in dieser Beziehung hielt sich der schottische Reformator genau an das Vorbild der Genferkirche. Die Feier des heiligen Abendmahls sowie die Lehre darüber ist die Calvins: „Dieses Sakrament besiegelt die Verbindung der Erwählten mit ihrem Haupte Christo, indem sich die Seele durch den gläubigen Genuß über alles Irdische und Fleischliche erhebt, mit dem Herrn in Gemeinschaft tritt und in ihm ihre Nahrung findet.“ Auch die Lehre von der Gnadenwahl findet sich in allgemeinen Umrissen ausgesprochen. Ebenso unterscheidet die Kirchenverfassung gleich der von Genf: Pfarrer, Presbyter (Älteste), Diakonen und Doktoren (Lehrer der Wissenschaft). Ganz besonders wird die Notwendigkeit der Kirchenzucht betont, indem es, genau entsprechend den Calvinischen Bestimmungen, heißt: „Wer sich Verstöße gegen die Religion und ihre Gebote, gegen die Sittlichkeit oder den Anstand zu Schuld kommen läßt, wer einen Lebenswandel führt, der dem Nächsten Anstoß gibt oder wer irgend ein Vergehen verübt, durch welches er nicht dem Arm des weltlichen Richters anheimfällt, den erwartet die züchtigende Rechtsübung der Kirche in ihren verschiedenen Abstufungen als Privatrüge, öffentliche Rüge, Kirchenbusse, Exkommunikation.“ Selbst der Gottesdienst folgt der Ordnung der Genfer Kirche. Die Feiertage, die nicht unmittelbar der Erbauung dienen, sind abgeschafft, „denn was hat ein Jünger Christi mit der Empfängnis oder der Himmelfahrt der Maria zu tun?“ sagt Calvin. Das Abendmahl wird jährlich vier Mal gefeiert, jeden Tag wird eine Andacht in der Kirche gehalten, um das Volk in das ihm noch unbekannte Wort Gottes einzuführen. Keine Zeremonien werden mehr geduldet, weder das Zeichen des Kreuzes noch das Niederknien oder sonst etwas bloß Äußerliches. So genau in allen Stücken hat keine reformierte Kirche die Grundsätze Calvins durchgeführt wie die Schottische. Auch die darin enthaltene Sittenstrenge war entschieden eine Wohltat bei einem Volk, das, wie bekannt, die häufigen Raubzüge nach Nordengland in einem solchen Grad verwildert hatten, daß seine Sitten nicht besser waren als die der kaukasischen Bergvölker. Daher ist die Heftigkeit und der Eifer zu erklären, worin Knox manchmal über Calvin hinausging, weshalb ihn dieser in seinen Briefen etwa zur Mäßigung, zur Milde, zum Frieden ermahnt, so wenn er ihm schreibt: „Ich weiß wohl, daß du ein kräftiger Erwecker bist, ich kenne deine Gaben und Fähigkeiten zu diesem Amt, aber du mußt dich wohl in Einiges fügen lernen, nichts mußt du mehr zu vermeiden suchen als inneren Zwiespalt.“ In der Geschichte Schottlands heben die Chronisten übereinstimmend die vorteilhafte Veränderung hervor, die am Volkscharakter der Schotten durch die Reformation bewirkt worden sein. Aus einer der rohesten, unwissendsten, ärmsten, gewalttätigsten Nationen, aus einem Volke, welches das Rauben geradezu als Handwerk trieb, sei binnen drei Jahrhunderten eines der zivilisiertesten, wohlhabendsten, unterrichtetsten und bestgesinnten geworden. Dies habe Schottland der Reformation zu verdanken. Es sei glücklich und stolz gewesen, sich durch Knox mit einem noch Größeren zu verbinden und diese Dankbarkeit gegen Calvin habe es bewahrt bis auf den heutigen Tag. „Man wird nicht anstehen können“, sagt Stähelin, „der schottischen Kirche und Nation einen der ersten, wenn nicht geradezu den ersten Platz unter den Vorkämpfern der Gottesordnung zuzuweisen. Ihre öffentliche Meinung, ihre Lehranstalten, ihre Literatur sind von den christlichen Anschauungen durchdrungen und beherrscht, ihre natürliche Charakterenergie macht sie den religiösen Bestrebungen dienstbar und arbeitet an ihrer Förderung mit einer Kraft und Beharrlichkeit, der man die etwas gesetzliche Art gerne nachsieht; innere und äußere Mission blühen bei ihr in einer Fülle und werden von der Kraft der gesamten Gemeinde getragen wie in keinem andern Lande der Christenheit, die willige Freigebigkeit von Reich und Arm für alle Unternehmungen dieser Art muß den protestantischen Glaubensgenossen diesseits und jenseits des Ozeans zur tiefen Beschämung dienen, kurz, das ganze Volk, wie es in seiner religiösen Haltung dasteht, macht den Eindruck eines unüberwindlichen Bollwerkes des evangelischen Glaubens.“ So viel von Schottland und dem Einfluß Calvins auf dasselbe. Die Sorge für die evangelische Kirche lenkte die Blicke des Reformators auch auf dem Festland nach allen Seiten hin. Unter den näher gelegenen Kirchen war es besonders Deutschland, dessen Ereignisse er mit gespannter Aufmerksamkeit begleitete. Als der Kaiser Karl den Protestanten endlich etwas freundlicher begegnete und der Papst Paul III. ihm deshalb mit den Strafen des Himmels drohte, da erhob sich Calvin zürnend mit einer Schrift gegen dieses durch unsittlichen Lebenswandel berüchtigte Oberhaupt der katholischen Kirche, nennt den Papst offen den Antichrist, der den Tempel Gottes verderbe und sagt ihm: „Du willst der Nachfolger Petri sein, du, der du mit Christum nicht mehr Ähnlichkeit hast als ein Nero? Du, dessen Anschläge alle dahin gehen, daß Christus vernichtet werde und der leere Name bleibe, du willst ein Stellvertreter Christi heißen? Sein Bild sollen wir in dir sehen? Nein, einen Wolf, der die Schafe Christi zerreißt, einen Dieb, der die Herde zerstreut, einen Mörder, der sie schlachtet.“ Gleichzeitig richtet Calvin eine Schrift an Karl V., darin er sich Mühe gibt, den Kaiser vollends auszusöhnen mit der Reformation. Mit besonderem Nachdruck betont er die wünschbare Einigkeit innerhalb der christlichen Kirche, hebt aber mit Entschiedenheit hervor: „Der Glaube kommt aus dem Wort Gottes und nur wer in der Lehre des Wortes Gottes zusammenstimmt, bildet eine Einheit im Sinne des Evangeliums.“ Im Hinblick auf die Zeichen der Zeit, die ernste Tage ankündigten, schließt er die Zuschrift wie ein gewappneter Held mit den Worten: „Was uns (die Protestanten) betrifft, so mag kommen was da will, unser gutes Gewissen vor Gott wird uns aufrecht erhalten und die Kraft geben, durch alles hindurch sein Werk fortzutreiben. Und selbst wenn über uns der Untergang käme, wird es uns doch nicht gereuen, das begonnen und fortgeführt zu haben, was wir unternahmen; denn wir wissen, daß wir die Wahrheit Gottes verkündigen, wir wissen, daß der heilige Geist der Zeuge unserer Lehre ist und daß unser Dienst der Welt zum Heil gereicht. Weisen nun die, denen wir helfen möchten, unsren Dienst zurück, schmähen sie uns, vergelten sie uns mit Undank, und bricht so am Ende alles über uns zusammen, wohlan, so sind wir auch zum Tode bereit. Wir werden sterben, aber auch im Sterben Sieger sein, nicht nur, weil es uns den Eingang in ein besseres Leben auftut, sondern auch weil unser Blut wie ein Same sein wird, der diese jetzt zurückgestoßene Wahrheit Gottes durch die ganze Welt hin verbreitet.“ So kann der sprechen, dessen Gottvertrauen nie wankt, durch nichts erschüttert wird. So steht einer da, der sich erwählt weiß. Zum letzten Wort, das Calvin in die deutschen Verhältnisse hineinsprach, wurde er veranlaßt durch das sogenannte „Interim“, dessen Lauheiten ihn nicht befriedigen konnten. Allem Halben, allem Übertünchen, allem Verschleiern, allem Zweideutigen abhold, verfaßte er eine Gegenschrift, mit der er nachwies, daß mit der Papstkirche absolut keine Verständigung möglich sei, so lange sie nicht zur reinen Lehre des Evangeliums zurückkehre. Strenger als in Deutschland ging Kaiser Karl in seinem Vaterland, den Niederlanden, gegen die Protestanten vor. Bei Todesstrafe verbot er dort alle Schrift der Reformatoren und ausdrücklich diejenigen von Calvin, Luther und Zwingli, und führte sogar die Inquisition ein. Auf diese grausame Weise kam der Übersetzer des Neuen Testamentes, W. Tindal, ums Leben, nachdem er in England mit so großem Erfolg die Grundsätze der Reformation verbreitet hatte, daß man ihn den Apostel der Engländer nannte, weshalb die Papisten ihn verfolgten, vertrieben und nicht ruhten, bis er in Brabant als Ketzer verbrannt war. Selbst für Polen war Calvin tätig, dort hatten seine Schriften schon früh Eingang gefunden, und von der reformierten Lehre Calvins und Zwinglis fühlte man sich mehr angezogen, als von der Lutherischen Richtung. Auch sagte der polnischen Nation die freie republikanische Form der Schweizerischen Kirchenordnung besser zu als die der Lutheraner. Daran mochte besonders der durch Zwingli bekehrte, von Calvin geförderte Pole Laski einen wesentlichen Anteil haben. Der König, dem Calvins Institutionen erklärt wurden, blieb gegen die Protestanten freundlich gesinnt. Als das beste Vorbild für die neue Ordnung sah man die Genferkirche an und ließ Calvin bitten, daß er möchte Hand bieten zu einer ähnlichen Gestaltung. So wurde denn durch seine Vermittlung eine Anzahl von polnischen Gemeinden nach diesem Vorbild gestaltet. Als ihr Wortführer richtete Calvin an den König Sigmund ein Schreiben, darin er ihm das zweckmäßigste Verfahren empfiehlt, das zu gänzlicher Durchführung der Reformation in seinem Land befolgt werden sollte. Da in Polen der Opposition die Macht fehlte, um wie anderswo mittels Feuer und Schwert Widerstand zu leisten, so würden sich diese schönen Anfänge der Reformation siegreich behauptet haben, wenn nicht die Schwäche des Königs und Servetische Irrlehren dem Wankelmut und Zweifel Nahrung geboten und Zwietracht gesät hätten. Ohnehin waren die Polen ein mehr zu Neuerungen als zu wirklicher Bekehrung des Herzens geneigtes Volk. Es waren keine unter dem Kreuz erzogene, unter den Leiden der Märtyrer stark gewordene Gemeinde da, die ein teuer erworbenes Glaubensgut um so standhafter behauptet hätten. Als daher später die Streitschar Loyolas den Feldzug gegen die polnische Reformation eröffnete, gewannen diese Streiter einen Posten nach dem andern, es ließ sich Hoch und Niedrig das Joch der Papstkirche wieder gefallen. So kam es, daß nur wenige Reste jener Reformation bis auf die neuere Zeit sich fortgepflanzt haben. Diese trüben Ausgang hatte Calvin geahnt. Noch kurz vor seinem Tod schrieb er an Bullinger: „Offen gestanden würde ich mich lieber von dieser Sache zurückziehen; denn das ganze polnische Volk ist mir verdächtig geworden, es kommt mir vor, als ob nur Wenige es aufrichtig meinen.“ Zu diesen Wenigen gehörte ein Häuflein Waldenser. Schon im Jahr 1560 hatten sie aus Polen eine Abordnung nach Genf geschickt, um sich über einige Punkte der Lehre, welche die Eintracht unter ihnen selber und die Einheit mit anderen Kirchen störten, Rats zu erholen, und um „das Band der christlichen Freundschaft zu erneuern, welches alle Frommen verbinden soll, damit wir alle Eins seien in dem Herrn.“ Calvin kam ihnen mit freundlicher Belehrung entgegen. Gerade das lag ihm ja am meisten am Herzen, daß Einheit unter allen protestantischen Gemeinden sein möchte, Übereinstimmung in allen wesentlichen Stücken der Lehre und des Glaubens. Ein Mal ums andere läßt er sich in seinen Briefen in dem Sinn vernehmen, wie er an Cranmer sich geäußert und ebenso an Bullinger geschrieben hat: „Das ist ein großes Gut, dem wir mit Leib und Seele und der Hingabe des innersten Herzblutes nachzustreben haben, daß die Kirche zum Frieden und zur Einheit komme. Länder und Meere möchte ich durchschiffen, um sie zu holen, meinen Hals darbieten, um sie zu erkaufen: oh ich wollte, alle Kirchen Christi würden durch so starke Einigkeit verbunden, daß uns die Engel vom Himmel herab ihre Harmonien dazu sängen.“
Wie zwischen Lutheranern und Schweizern die Lehre vom heiligen Abendmahl ein Differenzpunkt war, so unter den evangelischen Kirchen der Schweiz selber. Hier stand lange Zeit die Auffassung von Zwingli der von Calvin entgegen. Darüber unterhielten namentlich Bullinger als Nachfolger Zwinglis und Calvin eine weitläufige Korrespondenz miteinander. Endlich vereinigten sich diese zwei ersten Wortführer, nachdem Calvin persönlich zum zweiten Mal nach Zürich gekommen war, begleitet von seinem Freund Farel. Am 30. August 1549 wurde der denkwürdige Akt in 26 Artikeln abgeschlossen. Dieser Vereinbarung der beiden Mutterkirchen Zürich und Genf, bekannt unter dem Namen „Consensus Tigurinus“, traten die übrigen reformierten Kirchen der Eidgenossenschaft in ihrer Mehrheit bei. Der Grundgedanke des Consensus war: das Wesen Christi, durch die Zeichen dargestellt, ist im Abendmahl gegenwärtig. Es wird auch den Unwürdigen dargereicht, allein nur die Gläubigen empfangen dasselbe. Die Kraft des Herrn strömt vom Himmel, wo er wohnt, auf sie herab. Den Unwürdigen fehlt das Organ, ihn zu empfangen. Auch die Prädestinationslehre wurde in allgemeinen Bestimmungen aufgenommen. Calvin pries sich glücklich, diese Einheit erreicht zu haben. Nach Genf zurückgekehrt, schreibt er an Farel, er und die seinigen haben Freudengebete über das gelungene Werk zu Gott gesendet, mit gleichem Jubel Viret und seine Freunde in Lausanne. Auch in den benachbarten Ländern freuten sich die Protestanten über diese einmütige Bekenntnisschrift der Schweizer und beglückwünschten sie. Je mehr die Unionsgedanken unseres Reformators auch unter den deutschen Nachbarn zur Geltung kamen, desto höher mußte ihm das Herz schlagen, immer näher rückte ja die Zeit, die er so sehnlich erwartet hatte, die Zeit, wo Eine reformierte Christenheit sein werde, Eine Kirche, in welcher die Augsburgische Konfession neben dem Schweizerischen Bekenntnis, die Glaubenslehre von Melanchthon neben dem christlichen Unterricht von Calvin Geltung haben sollten, wo weder Lutheraner noch Zwinglianer noch Calvinisten mehr sein, sondern wo alle über solche Unterscheidungen hinweg einander brüderlich die Hand reichen werden. Diese Einheit war von jeher das Ideal des friedliebenden Calvin gewesen.
Reichlich fließen die Mitteilungen der Chronisten über das reformatorische Wirken Calvins in der Nähe und in der Ferne. Nicht zahlreich hingegen sind die Züge, die uns über seine häuslichen Verhältnisse überliefert wurden. Seine Gattin, Idelette van Bure, wurd uns als eine fein gebildete und fromme Frau geschildert, welche ihrem Gatten in seinem Beruf treu zur Seite stand. Ein genauer Kenner von Calvins Leben sagt von ihr: „Die Armen und Kranken besuchen, die Betrübten trösten, die zahlreichen Fremdlinge empfangen, die an seine gastliche Tür klopfen, in den Tagen der Krankheit an seinem Lager wachen, in Nächten, wo wilde Rotten durch die Straßen toben und von allen Seiten sich Todesgeschrei gegen die Prediger erhebt, im Hintergrund ihrer Wohnung knien und beten, das sind die Sorgen, welche das Leben Idelettens erfüllten.“ Ihr Leben war kurz. Drei Kinder, die sie ihm geschenkt hat, waren bald nach der Geburt wieder gestorben, weshalb die Päpstlichen ihm seine Kinderlosigkeit als ein Gericht Gottes vorhielten. Er aber antwortete: „Habe ich nicht Zehntausende von Kindern in der christlichen Welt?“ Nur neun Jahre hat seine Ehe gedauert. Schon im August 1548 schreibt Calvin in einem Brief: „Meine Frau empfiehlt sich euren Gebeten. Sie nährt ein langwieriges Leiden, dessen Ausgang ich sehr fürchte. Ist es nicht genug an so vielen Übeln, die uns gegenwärtig bedrohen?“ Im April des folgenden Jahre schied sie aus dieser Welt mit den Worten: „Oh herrliche Auferstehung!“ In schmerzlicher Vereinsamung äußert er zu Farel: „Ich bin von der besten Gefährtin meines Lebens getrennt, die, wenn mir das Härteste widerfahren wäre, nicht nur Verbannung und Mangel, sondern selbst den Tod mit mir gestellt hätte.“ So herb sein Schmerz war, fuhr er doch unentwegt fort, die Pflichten seines Amtes zu erfüllen. Nie aber nannte er den Namen Idelettens, als mit dem Ausdruck großer Achtung und zärtlicher Verehrung. Genauere Angaben aus dem häuslichen Leben mit seinen Freuden und Leiden hat er uns nicht aufbewahrt, „denn Leiden und Freuden sind in seinen Augen vor der Ewigkeit nichts, vor die Ewigkeit aber stellt er sich stets, nicht vor die Nachwelt.“ Einen Gehülfen im Hause hatte Calvin an einem jungen Menschen, dem er gewöhnlich diktierte, was an Briefen und für gelehrte Arbeit zu schreiben war. Für besondere Dienste, die er dem Staate leistete, gab ihm der Rat einen Sekretär. Was im übrigen seine Lebenshaltung betrifft, so ist darüber zu sagen, daß er für seine Person ein sehr einfaches und geradezu armes Leben führte. Schon in Straßburg war er bisweilen knapp dran. Seine Bücher trugen ihm nichts ein, er mußte oft froh sein, nur einen Verleger zu finden; mehr verlangte er nicht. In Straßburg, wie später in Genf, nahmen ihn die Flüchtlinge stark in Anspruch. Als ihm die Hilfsmittel ausgegangen waren, wollten ihm Freunde beistehen; allein er schreibt an Farel: „Ich werde durch solche Beweise der Liebe hocherfreut, aber ich habe beschlossen, ihre und deine Wohltaten nicht anzunehmen, wenn ich nicht eine härtere Notwendigkeit gedrängt werde. Aus meinen Büchern, die noch in Genf sind (und die nach früherem Auftrag zu neun Batzen per Band verkauft wurden), wird mein Wirt hier befriedigt werden bis auf den folgenden Winter. Für die Zukunft wird der Herr sorgen.“ In Genf war zwar sein Gehalt nach damaligen Verhältnissen nicht ganz unbedeutend. Im Staatsregister von 1541 heißt es: „Gehalt für Meister Calvin, welcher der Mann großen Wissens ist und geeignet, zur Wiederherstellung der christlichen Kirche große Lasten zu tragen, darauf beschlossen, daß er zum Gehalt 500 Gulden (nach heutigem Geld etwa 3000 Franken), zwölf Maß Weizen und zwei Eimer Wein haben soll.“ So ansehnlich diese Besoldung war, so schwach reichte sie dennoch hin, um den Scharen von französischen Flüchtlingen beizustehen, die während der grausamen Verfolgungen in Frankreich an seine Tür klopften. Der Rat selber hebt in seinem Protokoll hervor „die große Last der bei Herrn Calvin Durchkommenden“ und beschließt, sich zu erkundigen „nach der Krankheit des Herrn Calvin, der nichts zu leben hat“, worauf ihm zehn Taler gewährt werden. Allein Calvin lehnte dies ab. Nun bestimmte der Rat, für die zehn Taler ein Faß guten Wein zu kaufen, der zu ihm gebracht werden soll und spricht dem immer an andere denkenden und andere spendenden Mann den ausdrücklichen Wunsch aus, „daß er selber davon einen guten Teil nehmen möge“. Calvin nimmt zwar das Geschenk hat, um die Herren nicht zu verletzen, aber verwendet hierauf zehn Taler von seinem Gehalt, „um die armen Geistlichen zu erleichtern“. Ein ander Mal, als der kränkliche Mann leicht fror, schickt ihm der Rat Brennholz. Calvin bestand darauf, es zu bezahlen, was aber der Rat verweigerte. Im Jahr 1560 notiert das Register wieder ein Faß Wein für Herrn Calvin in Erwägung „daß er keinen guten habe“. Diesmal nimmt er das Geschenk an. In seiner letzten Krankheit lehnte er die Vierteljahresbesoldung ab, die man ihm brachte. Er hätte es nicht verdient, sagte er, wie könnte er es also annehmen? Bemerkenswert ist auch ein Ausspruch, den der Papst Pius IV. über Calvin getan hat: „Was die Kraft dieses Ketzers ausmachte, ist das, daß das Geld nie etwas für ihn war.“ Von seiner häuslichen Einrichtung erfahren wir, daß sie sehr bescheiden war und ärmlich zu nennen. Ebenso sei seine Kleidung gewesen, wiewohl immer reinlich; er trug ein Gewand von geringem Stoff, hielt sich auch an eine sehr bescheidene Nahrung, aß einfach und wenig; während der letzten sechs Jahre nahm er regelmäßig im Tag nur eine Mahlzeit. In der Vorrede zu den Psalmen sagt er: „Wenn es solche gibt, die ich bei Lebzeiten nicht überzeugen kann, daß ich nicht reich sei, so wird endlich mein Tod es zeigen.“ In der Tat stellte es sich so heraus. So viele Bücher er geschrieben und den Fürsten gewidmet hatte, zog er doch daraus keinen Gewinn und erhielt auch dafür kein Geschenk, ausgenommen ein Mal einen Becher von Silber. Daher der Spott der Sorbonne, er habe seinen Getreuen nur einen Trinkbecher hinterlassen zum Zeichen, daß die ganze Reformation nur ein Reich des Bacchus und des Fleisches anstrebte. Dagegen protestierte aber sogar ein katholischer Schriftsteller (Florimond): „Urteilt man denn so in der Sorbonne? Denket ihr, daß der Tisch und die Küche Calvins zu vergleichen gewesen sei, ich will nicht sagen mit der des Papstes, der Kardinäle, der Bischöfe und Erzbischöfe, sondern mit der eurigen, ihr Äbte, ihr Mönche, ihr Priester? Ja, Calvin war der Mann, um eine Religion des Bauches, der Küche, des Zechens und der Tafelfreuden zu predigen, er der sein Leben in Fasten, in Wachen und in Arbeiten zubrachte, der nur ein Mal täglich seine Speise zu sich nahm, der oft während zweimal 24 Stunden weder aß noch trank, der wie ein lebendes Skelett aussah!“ Daß Calvins äußere Erscheinung in der letzten Zeit seines Lebens diesen Eindruck machte, ist zu begreifen, wenn man an seine schon von Jugend auf schwache Gesundheit sich erinnert und hinzunimmt, welche Kämpfe, Sorgen und Arbeiten sein starker Geist in dieser zarten Hülle bewältigt hat. Und wie viele Störungen durch Krankheiten hat er erfahren, nicht zu rechnen die öfteren Kopfschmerzen und die häufige Schlaflosigkeit, gegen welche Übel er durch Gewohnheit abgehärtet sei, sagte er, und ließ sich in rastlosem Arbeiten dadurch nicht unterbrechen, wie Beza bemerkt: „Selbst durch die heftigsten Schmerzen der Migräne ließ er sich nie daran hindern, die Kanzel zu besteigen, wenn an ihm die Reihe war.“ Ernsthafter waren ein Magenleiden, Asthma, Blutspeien und eine schmerzhafte Nierenkrankheit, unter der er Jahre lang litt mit großer Geduld. Nicht eine nutzlose Klage läßt er laut werden und bleibt unermüdlich an seinen Arbeiten. „Man begreift es kaum“, schreibt sein Biograph, „wie ein Mann, der fortwährend mit empfindlichen körperlichen Leiden zu kämpfen hatte, eine so vielgestaltige und anstrengende Tätigkeit entfalten könnte.“ Man werfe nur einen flüchtigen Blick auf seine Arbeiten, die im Vorhergehenden zum kleinsten Teil berührt worden sind: Erstens die literarischen: Das Buch vom christlichen Unterricht, lateinisch und französisch in vielen Ausgaben, die Kommentare und Vorlesungen über den größten Teil des Alten Testaments und über das ganze Neue Testament mit Ausnahme der Offenbarung des Johannes, seine Mitarbeit an der französischen Bibelübersetzung, dazu die große Menge kleiner Schriften. Die sämtlichen gedruckten Werke Calvins umfassen 59 Bände. Zweitens seine Tätigkeit für so viele Gemeinden, voraus für die Kirche in Genf und für den Staat Genf, dann für die Kirchen im Ausland, besonders in Frankreich. Drittens seine Inanspruchnahme durch die pastoralen Vorträge, das fast tägliche Predigen, von dem 44 nachgeschrieben Bände noch heute Zeugnis geben, die Vorlesungen auf der Akademie, die Leitung des Konsistoriums und der Kongregation. Viertens der tägliche und stündliche Zulauf von Bittstellern, von Hilfe- und Ratsuchenden. Welch' große und vielseitige Tätigkeit! Kein Wunder, daß er eines Tages einem Freund schreibt: „Mir bleibt nicht soviel Zeit, daß ich des lieben Gottes Sonne außer meiner Wohnung betrachten könne und wenn es so fortgeht, so weiß ich am Ende nicht mehr, wie sie aussieht. Wenn ich mit meinen gewöhnlichen Geschäften zu Ende bin, habe ich so viele Briefe zu schreiben und Antwort auf Anfragen zu geben, daß manche Nacht vergeht, ohne der Natur das Opfer des Schlafes gebracht zu haben.“ Überblickt man die Bewältigung dieser Arbeiten und hält damit die körperlichen Leiden des gewissenhaft allem obliegenden Mannes zusammen, so ist man versucht, auf ihn das Wort anzuwenden, das von Moses geschrieben steht: „Er war geplagt über alle Menschen auf Erden“. Mit Recht sagt ein französischer Geschichtsschreiber von Calvin: „Er hat in dem Zeitraum von 23 Jahren das getan, was die Fleißigsten kaum in einem Jahrhundert zustande brächten.“ In aufreibender Tätigkeit hat er sein Herz und Leben Gott zum Opfer gebracht, wie sein Siegel es ausdrückt: eine Hand, die ein Herz darbringt.
Der Grundzug seines Charakters läßt sich in der einen kurzen Bezeichnung Bungener's ausdrücken: „Calvin ist Christ, nur Christ.“ Dieses Christentum wurzelt in einem kindlich reinen Vertrauen zu Gott und seinem Wort, wurzelt in einem Glauben, den keine Macht der Welt erschüttern vermag, weil gegründet auf die ewige Erwählung und das Heil in Jesu Christo. Während bei Luther Anfechtungen des Glaubens erwähnt werden, findet man bei Calvin keine Spur von einem Wanken im Glauben. Weil ihm die ewige Erwählung im Glauben an Christum feststeht, so verläßt ihn das Gefühl der Nähe Gottes keinen Augenblick: Gott ist in seinem Wort gegenwärtig. Gott und die himmlischen Heerscharen schauen auf uns hernieder. Unter ihren Augen kämpfen wir. „Vor Gott und seinen heiligen Engeln“, mit dem Ausdruck beteuert Calvin oft ein feierliches Bekenntnis. So noch auf dem Sterbebett in seiner Abschiedsrede an die anwesenden Ratsherren. Wie er den wahren Glauben im Buch vom christlichen Unterricht beschrieben hat, so lebte er in ihm selber: „Der Unglaube herrscht nie den Gläubigen, sondern greift sie nur von außen an. Der Glaube besiegt die Welt in allen Kämpfen und sollte er tausend Mal angegriffen werden. Vertrauen, wieder Vertrauen und immer Vertrauen, und wenn die Gefahr sich verdoppelt, Verdoppelung des Vertrauens.“ So sieht es aus in der Seele des Christen; das ist Christenglaube. Diese Kraft Gottes in seinem Herzen, schreibt Calvin an Farel: „Laß uns also Christo leben, daß wir alle Tage bereit seien, ihm zu sterben.“ Von Calvin kann man sagen: „Er hielt sich an den, der er nicht sah, als sähe er ihn.“ Was ist aber der sündige Mensch von Staube vor diesem allgegenwärtigen Gott? Muß nicht aller Glanz vor ihm erbleichen? Sinkt nicht aller Stolz, alle eigene Gerechtigkeit in Nichts zusammen vor dem heiligen Auge des immer und überall Gegenwärtigen? Sündhaft, in Verderbtheit geboren, von Jugend auf zum Bösen geneigt, mit Schuld beladen, bringt der Mensch aus eigener Kraft nichts wahrhaft Gutes zustande, es sei ihm denn von oben gegeben. Alles was er Gutes hat und ist und vermag, ist ein freies Geschenk von Gottes Allmacht nach ewiger Wahl. Diese Lehre im Buch vom christlichen Unterricht hatte Calvin aus der heiligen Schrift geschöpft. Sie wurde seine innerste Überzeugung. Daher die aufrichtige Demut, mit der er sein Tagewerk ausrichtet. Er kann nicht anders als ganz gering von sich und seinen Leistungen denken, denn immer begleitet ihn das Bewußtsein, daß er ein bloßes Werkzeug sei, durch welches die Kraft Gottes wirke. Man findet bei ihm nie das Selbstgefühl, das sonst hervorragende Geister haben, Menschen, die in mancher Hinsicht durch große Kraft sich vor andern auszeichnen, wie gerade Luther, der eben darum gern betonte, daß ein so kleines Mönchlein Papst und Kaiser zittern gemacht und die Welt in Bewegung gesetzt habe, der mit eben diesem Selbstbewußtsein auch sein Testament unterschreibt: „Ich Doctor Martinus Luther, der Sachwalter Gottes und Zeuge seines Evangeliums auf Erden, der keines Notars bedarf, um seinen Willen zu bestätigen; denn ich bin wohl bekannt im Himmel und auf Erden und in der Hölle und bin angesehen genug, daß man mir Glauben schenken kann.“ So harmlos diese Äußerung bei dem originellen Luther war, im Herzen Calvins hätte nicht einmal der Gedanke aufsteigen können, daß seiner menschlichen Person das geringste Verdienst zukomme. Man beobachtete ihn in großen oder kleinen Dingen, überall will er nichts anderes sein als ein bloßer Arbeiter, der nur die Gedanken seines Herrn ausführt, sei es mit dem Stab Sanft, sei es mit dem Stab Weh. Dieser bescheidenen Taxierung seiner Person entsprechend betrachtete er sich auch seinen Kollegen gegenüber nicht als ihnen übergeordnet, sondern als Einen neben ihnen, als ganz ihnen gleich, wie dies sein Amtsbruder Beza bezeugt: „Welchen Unterschied zwischen ihm und uns, seinen Kollegen, haben wir je bemerkt, als nur den, daß er uns alle übertraf an Demut und seinen andern Tugenden und darin, daß er mehr Arbeit auf sich nahm als jeder aus uns und dabei alles treu und mit großem Eifer ausrichtete, ohne Gepränge und äußeren Schein.“ Dagegen läßt sich nicht verkennen, daß vielfach bei Calvin der alttestamentliche Geist des Gesetzes das Zepter führt, wo wir lieber dem sanftmütigen Geist des Neuen Bundes begegneten. Er zürnt, eifert, straft ganz im Geiste der alten Propheten. Gleich David haßt er die Feinde Gottes. Sie verwirken ihr Leben, wenn sie die Ehre Gottes schänden. Daher sagt Calvin: „Tausend Mal lieber will ich, daß die Erde mich verschlinge, als daß ich nicht horchen sollte auf das was mir der Geist Gottes durch den Mund der Propheten sagt und gebeut, damit nicht der Schimpf, womit Gottes heilige Majestät befleckt wird, auf mein Haupt zurückfalle.“ Die strenge Handhabung des Gesetzes rechtfertigt er damit, daß er sagt: „Der heilige Geist hat uns David zum Muster gegeben und ihn seinem Eifer ist er das Vorbild Jesu Christi. Auch Paulus will, daß der Eifer für das Haus Gottes uns verzehre.“
Das bisher betrachtete Lebensbild hat uns aber zur Genüge gezeigt, daß selbst da, wo wir in Calvin vorzugsweise den alttestamentlichen Propheten vor uns sehen, einen zürnenden Moses mit den Gesetzestafeln, einen Elias in seinem Feuereifer, doch immer wieder unter dieser strengen Außenseite der Jünger Jesu Christi zu erkennen ist, ein Herz, das für andere schlägt, andere sucht und retten möchte, ein Herz, in dem die hohe Macht einer Liebe waltet, die sich aufreibt und aufopfert für die Brüder. Nicht immer sind mit sanften Mitteln die Wunden Zions zu heilen. Auch die strengen Forderungen des Gesetzes, mit großem Ernst angewendet, richten Gottes Willen aus und bereiten erst dem Evangelium Bahn. Diese Regel zu befolgen in der Reformation des leichtlebigen, zuchtlosen, libertinischen Genfervolkes, erkannte Calvin als seine Pflicht. Daher seine Strenge in der Gesetzgebung und seine Strenge in sittlichen Grundsätzen. Sein Gewissen drängt ihn dazu, das, was er gemäß dem göttlichen Worte als seine Pflicht erkannt hat, auszuführen. Gewissenhaftigkeit ist überhaupt ein Grundzug im Charakter Calvins. Von seinem Gewissen läßt er sich schon in seiner Jugend in kleinen Dingen bestimmen. Auf sein Gewissen hörend, kann er der heiligen Schrift in keinem Stücke widersprechen, selbst da nicht, wo sie sein scharfes, logisches Denken in schwindelnde Höhen des göttlichen Ratschlusses empor führt. Seinem Gewissen folgend, muß er Strenge üben gegen das Laster wie gegen Irrlehren, weil sie beide von Gottes Wort gerichtet werden. In beiden, den Irrlehrern, die Gottes Wort fälschen oder leugnen, wie in den Lasterhaften, die gute Sitten untergraben, sieht er Mörder der Seelen und Zerstörer der Kirche Gottes; denn das Laster macht dem evangelischen Bekenntnis Schande, die Irrlehre aber greift die Majestät Gottes an. Darum tritt Calvin gegen diese beiden mit der größten Heftigkeit und Strenge auf. „Wenn ich dir zu streng erscheine“, schreibt er einem Freund, „so glaube mir, diese Rolle hat die Notwendigkeit mir aufgedrungen.“ Vollends wo er bewußten bösen Willen, Lüge, falsches Wesen entdeckt, da kann er in hellen Zorn geraten, da strömt sein Feuer über. Doch bekennt er selber, daß ihn seine Reizbarkeit und Ungeduld manchmal zu Ungehörigem hingerissen habe und läßt sich einen Tadel aus Freundesmund gar wohl gefallen, indem er bloß erwidert: „Ich habe es noch nicht dazu gebracht, dieses wilde Tier meines Zornes völlig bezähmen zu können. Daß du mich zur Mäßigung mahnst, nehme ich gerne bin und danke dir dafür.“ Es scheint, er habe allmählich sein von Natur cholerisches Temperament ganz beherrschen gelernt, denn Beza sagt von ihm, Gottes Geist habe ihn also gelehrt, seinen Zorn mäßigen, daß man kein Wort von ihm hörte, welches eines so vortrefflichen Mannes unwürdig gewesen wäre. Er gebraucht zwar im Kampfe mit den Feinden Gottes nicht selten Ausdrücke, die wir heutzutage Schimpfnamen nennen würden, allein bei manchen Gelehrten jener Zeit war diese derbe Art ihre gewöhnliche Schreibweise, wie zum Beispiel bei Luther und nicht ganz ohne Grund konnten sie sich dafür auf das Beispiel der Propheten berufen, ja sogar auf den Herrn selber, de ja seine Feinde Schlangenbrut, Otterngezüchte, reißende Wölfe nennt. Gleich den Propheten hat auch Calvin nur diejenigen so taxiert, die Feinde Gottes waren oder die er wenigstens als solche ansehen mußte, weil sie sich gegen die von ihm erkannte göttliche Wahrheit auflehnten. Persönliche Beleidigungen dagegen hat er mit großer Nachsicht hingenommen und war sofort zum Verzeihen bereit. „Er trug mit bewundernswürdiger Geduld die Fehler der Menschen, die in Schwachheit ihren Ursprung.“ So schreibt sein Kollege Beza, der ihn am besten kannte, weil er Gelegenheit hatte, ihn täglich zu beobachten. Als der oben genannte Perrin wegen Beteiligung an einem Aufruhr von seiner Ratsstelle entsetzt wurde, da benützte Calvin sein ganzes Ansehen, um das über diesen seinen persönlichen Feind gefällte Urteil aufzuheben, und es gelang ihm, denselben wieder in seine Würde einzusetzen. Als der leidenschaftliche Westphal namens der Lutheraner gegen die Reformierten tobte, indem er Calvin und Zwingli Giftmischer schalt, welche die Seelen verderben, da sagte Calvin: „Wie man der Welt Liebe und Haß einerntet, weiß ich wohl, aber nichts liegt mir mehr am Herzen, als die Regel zu befolgen, die mir mein Meister vorgeschrieben hat (segnet die euch fluchen).“ Er, der Mann von strengster Wahrhaftigkeit, dürfte sich wohl zu seinem vertrauten Freunde Zurkinden das Zeugnis geben: „Zu allen Zeiten habe ich auch die schwersten Beleidigungen, welche meine geschworenen Feinde mir zufügten, vergessen und vergeben. Mit Wahrheit darf ich von mir sagen, daß es keinen Menschen auf der weiten Welt gibt, dem ich um einer privaten Beleidigung willen Feind wäre.“ Seine Gegner sahen in seiner vielseitigen Tätigkeit Herrschsucht. Wer auf hoher Warte steht, ist eben allen Blicken und allen Pfeilen ausgesetzt. Calvin stand nicht nur am Steuerruder der Kirche von Genf, sondern er war auch der in allen Dingen gesuchte Ratgeber im Staate. Kein Wunder, daß ihm seine Feinde Herrschsucht vorwarfen und sagten, er wolle alles regieren. Hören wir auch darüber Beza: „Ich appelliere an das Gewissen aller derjenigen, welche diesen großen Mann gesehen, gehört und gekannt haben. Ich beschwöre sie, zu sagen, ob sie je in ihm irgend ein Scheinenwollen oder irgend einen Stolz bemerkt haben. Welchen Vorrang hat er je gesucht? Und mit wem hat er je um die erste oder zweite Stelle gestritten? Wann hat er je sein Amt oder sein Ansehen gegen den Geringsten mißbraucht? Nur in dem Sinn hat er geherrscht, daß er, um für alle zu sorgen, nie sich selber geschont hat weder in gesunden noch in kranken Tagen. Dafür haben wir nicht nur einen Zeugen, sondern unzählige samt all den Denkmälern seines Geistes, die bis in die Ewigkeit dauern werde.“ Zur Zeit seines höchsten Ansehens schreibt Calvin an Bullinger: „Ich enthalte mich des Einflusses auf die Regierung, von der sie behaupten, daß ich sie mit aller Gewalt an mich ziehe, so daß ich wie ein Fremder in dieser Stadt lebe. Der Senat läßt mich nie rufen, als wenn er in großer Not ist und fast keinen Rat mehr weiß.“ Ein ander Mal schreibt er: „Wie grundlos die Verleumdung sei, daß ich tyrannisch regiere, überlasse ich meinen Amtsbrüdern zu beurteilen. Oft klagen sie gegen mich, daß ich zu schüchtern und nicht frei genug handle da, wo es Not täte, von meinem Ansehen Gebrauch zu machen.“ Denen, die seine Macht nach der Menge auf ihm lastenden Arbeiten schätzten, wünschte er zur Strafe, daß sie seine Nachfolger werden möchten. Wie schwer sein Tagewerk war, haben wir früher gesehen. Welch ein starker Körper diese Arbeiten und Kämpfe zu bewältigen vermochte! Gleichwohl redet er im Gefühl seiner Pflicht nur „von seiner geringen Arbeit“ und selten kommt eine Klage über seine Lippen, nur etwa ein schwerer Seufzer da, wo er die Bitterkeit von Anfeindungen so tief empfindet, daß er sagt: „Mehr als hundert mal habe ich mir den Tod gewünscht.“ Bei all dem darf man sich Calvin nicht etwa als einen düsteren, grämlichen Mann vorstellen. Umgekehrt wird gerade sein angenehmes liebliches Wesen gerühmt. Seine Amtsbrüder versichern, er habe freundlich mit jedermann verkehrt, nichts Steifes, Förmliches habe man im Umgang mit ihm bemerkt, der Ton seiner Unterhaltung sei zuweilen recht munter, aber immer fein und züchtig gewesen. Ein erster Herausgeber eines Kommentars von Calvin sagt über ihn: „Wie freundlich und gütig kam er doch jedermann entgegen, der ihn anging! Wenn ich mir die Reinheit und Treue des Mannes in das Gedächtnis zurückrufe, seine Güte gegen mich, seinen trauten, wohltuenden Umgang, den ich sechzehn Jahre lang genießen durfte, empfinde ich es mit tiefer Wehmut, solch einen Freund, oder viel mehr solch einen Vater nicht mehr an der Seite zu haben.“ Einige behaupten, für Kunst und Natur habe Calvin keinen Sinn gehabt. Sollte dies ein Tadel sein? Sind nicht „viele Gaben und Ein Geist?“ Übrigens lese man Calvins Lobrede auf die Kunst des Gesanges bei der Einführung des Psalmengesanges in Genf oder man höre, wie er die Schönheiten der Natur preist, wo er sagt: „Wenn wir das schöne Gebäude dieser großen Welt anschauen, auf der kein Gräslein noch Kräutlein gemein und verächtlich, sondern alles erfreulich, gut und lieblich ist, und dabei bedenken, daß dies alles von Gott kommt, dem unvergleichlichen Werkmeister, so werden wir hingerissen zu anbetender Bewunderung dieser unfaßbaren Güte, Weisheit und Macht.“ Drückt sich darin nicht gerade der rechte, dem Christen geziemende Sinn für die Natur aus? Sich eingehend mit Kunst und Natur zu beschäftigen, dazu blieb dem Reformator keine Zeit übrig. Er war glücklich, wenn ihm einige Muße zum Verkehr mit seinen Freunden vergönnt war, wie er an Viret sich ausdrückt: „Das sind mir Freudentage, das ist meine einzige, aber hinreichende Erquickung, wenn ich Einen von euch einmal sehe, wenn ihr mir einen Tag schenkt.“ Es war seinem Herzen ein starkes Bedürfnis, Freundschaft zu pflegen. Er zählte zu seinen Freunden einen Kreis vortrefflicher Männer, außer den schon öfter genannten Beza, Farel, Viret, Melanchthon und Bullinger auch Peter Martyr, Bucer, Vadian, Haller, Musculus und Zurkinden. Ein Blick in den großen Briefwechsel mit diesen Freunden zeigt, daß Calvin „in seiner eisern aussehenden Brust ein in Liebe dürstendes und in Liebe sich gebendes Gemüt trag“ (Henry). Alle die genannten Männer sind rühmlich bekannt durch gemeinsame edle Eigenschaften: Lauterkeit, Treue, gesunde, lebendige Frömmigkeit. Obgleich Calvin an gelehrtem Wissen sie alle übertraf, verkehrten sie doch miteinander auf dem Fuße vollständiger Gleichheit, wie es unter christlichen Freunden sein soll. Da gab es nichts, das sie einander verhehlten, auch wenn es ein Tadel war, nichts, das sie nicht miteinander teilten, war es Freude oder Schmerz, Niedergeschlagenheit oder Mut, Kummer oder Hoffnung. Deswegen gibt uns die unausgesetzte Korrespondenz Calvins mit seinen Freunden das getreuste Spiegelbild seines Charakters und Herzens. Eine der herbsten Erfahrungen war es für ihn, wenn einer aus diesem Freundeskreise schied. So klagt er nach dem fast gleichzeitigen Tode von Bucer und Vadian: „Wunde auf Wunde wird mir geschlagen, Trauer zu Trauer gefügt. Möge der Herr mir geben, daß ich bald abscheiden darf, damit ich nicht alle überleben und beweinen muß, die ich im Herzen trage.“ Auch fernstehende Gesinnungsgenossen suchten sich an ihn anzuschließen und in persönliche Berührung mit ihm zu kommen. Die, welche sich in Genf niederließen, siedelten sich mit Vorliebe nächst seiner Wohnung an, in der Rue des Chanoines, so daß seine Verehrer wie eine Wache sich um ihn scharten und gleichsam eine Familie bildeten. Für den Gesamteindruck, den Calvins vorzügliche Eigenschaften hervorbrachte, ist es bezeichnend, daß die Genfer Ratsherren in ihrem Protokoll „die Majestät seines Charakters (la majesté de son caractère)“ ihm nachrühmten. Alles was sonst noch über die Eigenschaften des Reformators zu sagen ist, das hat sein würdiger Nachfolger Beza im folgenden zusammengefaßt. Er beginnt mit einigen Angaben über das Äußere, sowie über die einfache Lebensweise Calvins und fährt dann fort: „Sein Gedächtnis war fast unglaublich, so daß er selbst nach vielen Jahren diejenigen sogleich wieder erkannte, die er einmal gesehen, und wenn er an einem Werke arbeitend, mehrere Stunden in der Arbeit unterbrochen worden war, so konnte er doch augenblicklich darin fortfahren, ohne das Geschriebene wieder durchzulesen, und von den Einzelheiten, die er von Amtes wegen wissen mußte, vergaß er nie das Geringste, obgleich er von einer außerordentlichen Menge von Geschäften wie erdrückt war. Sein Urteil war so scharf und richtig in all den verschiedenartigsten Geschäften, über welche man seinen Rat einholte, daß er manchmal die Gabe zu haben schien, in die Zukunft blicken zu können, denn ich erinnere mich, nie gehört zu haben, daß wer seinen Rat befolgte, einen unrichtigen Weg betreten habe. Die Schönrederei verachtete er vortrefflich und kein Theologe hat zu seiner Zeit so klar, nachdrucksvoll und scharfsinnig geschrieben wie er, obwohl er so vieles ausgearbeitet hat als irgend einer Zeitgenossen und Väter. So wie er schrieb, so sprach er auch. Nie fehlte ihm die passende und würdevolle Rede. Im gewöhnlichen Umgang war niemand angenehmer als er. Er verstand es, auf die vorsichtigste Weise die Fehler anderer, die von Schwachheit herrührten, zu ertragen, so daß er nie jemand durch unzeitige Vorwürfe beschämte oder seine schwachen Brüder einschüchterte, sowie er auf der anderen Seite nirgends die Laster schonte oder sie übersah. Feind aller Schmeicheleien, haßte er die Verstellung, namentlich jede unredliche Gesinnung in Bezug auf Religion, und war daher ein ebenso heftiger Feind solcher Leute, als ein inniger Freund der Wahrheit, Einfalt und Lauterkeit. Von Natur war er entschieden zu zorniger Aufregung geneigt, doch wurde er nur dann über die Massen bewegt und aufgeregt, wenn es auf die Sache des Glaubens ankam und er gegen verhärtete Sünder zu kämpfen hatte.“ Soweit der treue Zeuge Beza, der täglich Gefährte Calvins.
Nachdem man die alten Ruhestörer, die Libertiner, vertrieben hatte, war mit dem Jahr 1555 der Friede eingekehrt und das Ansehen und die Verehrung Calvins allgemein geworden. Jedermann hatte ein lebhaftes Gefühl von dem, was er für Staat und Kirche, für ganz Genf war. Schon während der schweren Kränkungen, unter denen er in den vorigen Jahren zu leiden hatte, war sozusagen mit jedem Tag sein Ansehen und die Zahl seiner Anhänger gestiegen. Das Benehmen der gegnerischen Partei hatte bei der Mehrzahl der Einwohner Unwillen und Verachtung hervorgerufen. Nicht nur mehrte sich der Zuwachs aus dem altgenferischen Lager, sondern auch das neue Genf wurde immer stärker. Die Lémanstadt sah jedes Jahr, ja jeden Monat, neue Scharen von Flüchtlingen ankommen, die sich da häuslich niederließen und das Genf Calvins verstärkten. So groß war die Anziehungskraft des Reformators, daß ganze Familien ihre katholischen Verwandten und ihre Güter verließen, um in der Nähe des großen Mannes leben zu können. Alte Freunde der Libertiner sahen grollend „diese Eindringlinge“, wie sie dieselben nannten, sich mehren. Calvin hingegen, der ihre Leiden sich mehr zu Herzen nahm als die eigenen, tat sein Möglichstes, um sie vor Verunglimpfung zu schützen und zur Aufnahme in den bürgerlichen Verband zu empfehlen. Nachdem ihm selber im Jahr 1559 das Ehrenbürgerrecht geschenkt worden war, gibt er jetzt „seinen Mitbürgern“ zu bedenken, welch' Glück es für sie sei, die armen, geflüchteten Glaubensgenossen mit christlicher Lieber aufnehmen zu können. „Euch“, so ruft er den Ratsherren zu, „euch hat der Herr in diesen stürmischen und schweren Zeiten als diejenigen hingestellt, in deren Schutz und Schirm sich alle die Schuldlosen und Frommen begeben sollen, welche die grausame Tyrannei des Antichrists aus ihren heimatlichen Wohnungen vertrieben hat. Bei euch hat der Herr seinem Namen ein Haus geweiht, auf daß er darin rein verehrt werde. Euch werden die Engel im Himmel und alle Frommen dieser Erde segnen und Gottes Hülfe wird mit dieser Stadt sein, wenn sie treu ihre Aufgabe erfüllt.“ Je größer der Zudrang von Fremden war, desto mehr steigerte sich der Verkehr, der Verdienst und der Wohlstand, desto mehr wuchs auch die Anerkennung des Reformators selbst bei dem bisher widerstrebenden Teil der alten Genfer. Sie, die früher mit scheelen Blicken dem Einwandern der vielen Flüchtlinge zugesehen und ihre Einbürgerung nicht hatten hindern können, wurden allmählich günstiger gestimmt, weil sie bemerkten, daß die Mehrzahl der einziehenden Emigranten den wohlhabenden und gebildeten Ständen angehörten. Es war eben den Begüterten leicht möglich, ihre Heimat zu verlassen, um in der Nähe des großen Reformators zu leben. Unter den Eingewanderten befanden sich außer den Franzosen besonders viele Italiener. Diese bildeten dann in Genf eine selbständige Gemeinde mit ihrem eigenen Geistlichen. Beiderseits werden die Namen von hervorragenden Gelehrten genannt. Auch hochgestellte Beamte und Adelige, Männer, die den höchsten Kreisen der Gesellschaft angehörten, ließen sich jetzt in der berühmten Lémanstadt nieder. Der äußere Glanz und Wohlstand dieser reichen und vornehmen Emigranten schmeichelte natürlich dem Patriotismus der früheren Franzosenfeinde. Äußere Vorteile, der Zufluß von Geld, der vermehrte Verdienst, der größere Verkehr, die gesuchteren Wohnungen, die höheren Mietzinse, dies alles war unleugbar. Auch mußte man sich sagen, daß die öffentlichen Kassen die beträchtlichen Summen gar wohl brauchen können, die ihnen durch den jährlichen Einkauf von zwanzig bis dreissig reichen Familien ins städtische Bürgerrecht zuflossen. Mit dem Wohlstand und lebhafteren Verkehr hob sich auch die Industrie. So vermehrte sich zum Beispiel die Zahl der Buchdruckereien auf 23. Außer den theologischen Werken wurden nämlich auch Klassiker und profane Schriften aus vielen Gebieten des Wissens in mehreren Sprachen gedruckt. Hatte die Einwohnerzahl der Stadt im Anfang des Jahrhunderts 12'000 betragen, so stieg diese Zahl im Jahr 1550 auf 20'000 und nahm in diesem Verhältnis weiter zu.
So erstreckte sich der wohltätige Einfluß, den Calvin auf die Stadt Genf ausübte, auf alle Verhältnisse auch des bürgerlichen Lebens und ist heute noch vielfach dort zu erkennen; die leuchtenden Spuren seiner kirchlichen Tätigkeit aber reichen weit über Genf hinaus und sind nicht nur in Frankreich und Schottland deutlich fühlbar, sondern sie werden im protestantischen Europa auf alle Zeiten fortdauern. Was Rom galt für die katholische Welt, den gleichen Ruf erlangte damals Genf in der protestantischen Christenheit. „Denn nie hat es eine besser reformierte Kirche gegeben als die in Genf“, sagt Bonivard. Und Farel, nachmals in Frankreich, schreibt an Haller in Bern: „Neulich war ich wieder einmal in Genf. Noch nie hat es mir dort so gefallen, daß ich mich kaum losreißen konnte. In Genf wollte ich lieber das Letzte sein, als an anderen Orten der Erste. Wenn nicht der Herr und die Liebe zu meiner Gemeinde mich hielten, nichts sollte mich hindern, mich wieder dort niederzulassen.“ Und Beza, 1561 ebenfalls in Frankreich, schreibt an Calvin: „Glaube mir, hier wird mir alles zum Ekel, wenn ich einen Vergleich mit meinem lieben Genf anstelle. Die Erinnerung an dieses ist meine einzige Erquickung.“ Hören wir hundert Jahre später noch ein Zeugnis von dem Theologen Drélincourt aus dem Jahr 1667: „Die Ordnung, die jetzt in Genf herrscht, ist die zu Calvins Zeiten eingesetzte. Man kann keine schönere Übereinstimmung des Staates und der Kirche, der weltlichen und der geistlichen Gewalt sehen. In allen öffentlichen Handlungen treten die Mitglieder des Senats und der Prediger zusammen auf. Die Ersteren nehmen die rechte Seite ein, die ihnen zukommt als den ersten Magistratspersonen, den Verteidigern der ersten und zweiten Gesetzestafel, aber sie haben die Pfarrer zu ihrer linken Seite, weil sie die Gottseligkeit lieben und diese betrachten als unzertrennlich mit ihrem Staate verbunden.“ Welch' einen mächtigen Eindruck eine genaue Kenntnis Calvins und seiner Wirksamkeit sogar auf solche macht, die nicht gerade zu den Gläubigen zählen, das zeigt die Äußerung von Renan: „Calvin hatte darum so großen Erfolg, weil er der christlichste Mensch seines Jahrhunderts war“. Diesem Urteil sei noch das eines weltlichen Geschichtsschreibers, Johannes Müller, beigefügt, der von Calvin sagt: „Er hatte den Geist eines alten Gesetzgebers, ein Genie, Eigenschaften, die ihm unverkennbare Vorzüge gaben, Fehler, die nur das Übermaß seiner Tugenden waren, eine unerschütterliche Festigkeit in Grundsätzen und Pflichten und sterbend den Ernst eines altrömischen Zensors.“ Noch bleibt übrig, dieses Sterben und die ernsten Wochen, die ihm vorangingen, in Kürze zu schildern.
Obgleich von Jugend auf von zarter Körperbeschaffenheit und später unter Störungen der Gesundheit oft leidend, kannte er doch keine Schonung seiner Kräfte, sondern spannte sie für seine geistigen Arbeiten so unablässig an, daß ihn seine Freunde mit einem allezeit gespannten Bogen verglichen. Schon im Jahr 1552 schreibt er an Melanchthon: „Außer den großen Leiden, die mich hart mitnehmen, vergeht fast kein Tag, wo nicht eine neue Sorge hinzukommt. Ich würde in kurzem unter diesem Berge von Übeln. welcher mich niederdrückt, vergehen, wenn nicht der Herr diese Bitterkeit durch seine Wege zu lindern wüßte.“ Später mehrten sich die körperlichen Leiden, unter denen besonders Nierenbeschwerden ihn peinigten (wie Luther) und ihm qualvolle Stunden brachten; doch ertrug er sie mit Geduld und Ergebung. Auch die Gicht trat so heftig bei ihm auf, daß er am 27. Dezember 1563 an Bullinger meldet: „Der Herr hielt mich an beiden Füßen wie gebunden; die argen Schmerzen haben zwar aufgehört, aber nur mit Mühe krieche ich durch das Zimmer von meinem Bette zum Tische. Das es besser geht, habe ich heute wieder gepredigt, doch mußte man mich in die Kirche tragen.“
Schon im Jahr 1559 nannte er sich „Einen, der dem Tode nahe ist. Der Zustand meines Körpers zeigt mir, daß es Zeit ist, heimzugehen.“ Gleichwohl arbeitete er noch vier Jahre unermüdlich fort, am Tage in Amtsgeschäften, bei Nacht an seinen Kommentaren, Drucksachen und dergleichen. Wenn die Freunde in ihn drangen, daß er sich doch mehr Ruhe gönnen möchte, antwortete er: „Wollt ihr, daß der Herr mich müßig finde, wann er kommt?“ Noch in diesen letzten, leidensvollen Jahren brachte er folgende Werke zum Abschluß: 1560 die Erklärung der meisten paulinischen Briefe und die kleinen Propheten samt den Vorlesungen über Jeremia, 1561 die Erklärung der Psalmen und David, 1563 die Erklärung des 2. bis 5. Buch Moses, lateinisch und französisch. Kurz vor seinem Tode hat er noch den Kommentar über Josua vollendet. Fünf Monate vor seinem Sterben spricht er zu einem Freunde sein Bedauern aus, daß er nicht mehr allen Obliegenheiten seines Amtes genügen könne, er sei ja ein Müßiggänger geworden. Doch setzte er noch im Jahr 1564 seine Korrespondenz fort mittels Diktieren, sogar noch ein Mal seine Vorlesungen und noch zwei Mal bestieg er die Kanzel. Endlich zwang ihn der Husten, die Predigt abzubrechen und herabzusteigen. Am 10. März befahl der Rat, „daß jeder Bürger der Stadt soll beten für die Gesundheit des Herrn Calvin, der seit längerer Zeit krank und selbst in Todesgefahr ist“. Am Ostertag 1564 ließ er sich in einem Sessel in die Kirche tragen, um noch einmal zu kommunizieren. Sein Freund Beza meldet uns: „Er empfing das heilige Abendmahl aus meiner Hand und beim Schlußgesang stimmte er noch, obgleich mit zitternder Stimme, in das Lied der Gemeinde ein: Herr, laß deinen Diener in Frieden fahren! Mit tiefer Bewegung sah die Versammlung auf seinem zufriedenen, heiteren Gesichte, mit welcher Ergebung, ja mit welcher Freude ihr sterbender Hirte dem Tod entgegen blicke.“ Damit nach seinem Heimgang alles geordnet sei, setzte er am 25. April sein Testament auf. In diesem dankt er vor allem Gott, daß er ihn aus der Abgötterei in die Klarheit des Evangeliums eingeführt und seiner, des Unwürdigen, sich bedient habe, um die Wahrheit seines seligmachenden Wortes zu verkündigen. Er bezeugt, daß er in diesem Glauben sterben wolle und von ganzem Herzen die Gnade ergreife, die uns in Christo Jesu durch sein für uns vergossenes Blut bereitet worden sei. Im weiteren verordnet er die Verteilung seiner Bücher und Möbeln unter seine Neffen und Nichten, indem er alles zusammen auf 220 Taler taxiert, „das ganze Gut, welches Gott mir verliehen hat, so viel ich es schätzen kann nach dem Werte der Bücher, der Möbeln, des Geschirrs und des Übrigen. Außerdem vermache ich meinem vielgeliebten Bruder Anton den silbernen Becher, den der Herr von Varennes mir geschenkt hat, zehn Taler den Amtsbrüdern und zehn Taler für arme Flüchtlinge.“ Da seine Todesstunde langsam heranrückte und lange von ihm vorausgesehen war, so bereitete er sich nach jeder Richtung hin darauf vor. Von seinen Freunden, einem nach dem andern, nimmt er Abschied. Dem 80jährigen Farel schickt er ein schriftliches Lebewohl, doch kommt dieser noch zu Fuß von Neuenburg her nach Genf und tritt staubbedeckt an das Lager seines Freundes, um ihn noch einmal zu umarmen.
Auch von den Ratsherren will Calvin Abschied nehmen und meldet sich bei ihnen an in der Absicht, sich hintragen zu lassen; allein sie bitten ihn, sich nicht zu ihnen zu bemühen, sie werden sich selbst bei ihm einfinden. Gleich am folgenden Tag versammeln sich die 25 Mitglieder in ihrem Sitzungssaal und begeben sich von da in feierlicher Ordnung in Calvins Wohnung. Nachdem sie sich grüßend um sein Bett herum aufgestellt haben, nimmt er seine Kräfte zusammen zu einer Abschiedsrede. Ein Sekretär hat sie aufgezeichnet. Einige Stellen daraus sind folgende: „Geehrte Herren! Ich kann euch nicht genug danken für alle die Ehren und Freundlichkeiten, die mir von euch erwiesen worden sind, obgleich ich sie gar nicht verdient habe. Ganz besonders danke ich euch für die Geduld, mit der ihr meine Fehler, namentlich meine allzu große Heftigkeit, so sanftmütig ertragen habet. Wo ich nicht alles geleistet, was ich hätte leisten sollen, so bitte ich inständig, dies nicht meinem Willen, sondern meinem Unvermögen zuzuschreiben.“ Dann bezeugt er, daß er das ihm anvertraute Evangelium in Reinheit verkündigt und im übrigen der Republik Bestes gesucht habe aus allen seinen Kräften. Er erinnert sich an die großen Wohltaten, welche Gott Genf erwiesen, an die Gefahren, aus denen er es errettet habe. Sei es, daß es ihnen ferner glücklich gehe, oder sei es, daß ihnen wieder Gefahren drohen werden, so sollen sie in Demut und Vertrauen Gott die Ehre erweisen, die ihm gebührt und am meisten darüber wachen, daß die Kirche nicht durch Sünde und Laster befleckt werde, vielmehr in dem festen, glücklichen Zustande erhalten bleibe, in dem sie sich jetzt befinde. Zum Schluß bittet er noch einmal: „Verzeihet mir meine Schwachheiten, welche Gott und den Engeln bekannt sind, und die ich mich nicht scheue, vor euch, meine Herren, zu bekennen.“ Nach diesem empfiehlt er sie mit einem inbrünstigen Gebet der Obhut und Gnade Gottes. Er wolle sie mit seinen Gaben mehr und mehr ausrüsten und durch seinen Geist leiten zu ihrem eigenen und des Volkes Heil. Dann reichte er ihnen die rechte Hand und entbot einem Jeden seinen letzten Gruß. So schieden sie von ihm, Einer nach dem Andern, ihm noch dankend und viele Tränen vergießend.
Auf seinen Wunsch kamen in der gleichen Woche die sämtlichen Geistlichen der Stadt und ihre Ausgemeinden (die Congregation, la vénérable compagnie) in seinem Zimmer zusammen, um anzuhören, was er ihnen ans Herz legen wollte, nämlich: „Ihr, meine Brüder, wenn ich nun werde gestorben sein, beharret mutig in diesem Werke und euer Geist werde nie schwach, denn der Herr wird diese Kirche und dieser Republik gegen alle Drohungen ihrer Feinde bewahren. Als ich zum ersten Mal in dieser Stadt ankam, predigte man schon das Evangelium, aber die größte Unordnung herrschte auf allen Seiten, als ob das Christentum nur in dem Umwerfen der Bilder bestände. Von einer Reformation war noch keine Rede, alles war voll Zuchtlosigkeit und Verwirrung und in nicht geringer Zahl gab es arge Menschen, von denen ich sehr viel Schändliches erduldet habe. Aus Straßburg kehre ich hieher zurück, diesem Ruf gegen meinen Willen folgend, denn ich wußte noch nicht, was der Herr mit mir vor hatte, und das Unternehmen war mit den vielfältigsten und größten Schwierigkeiten verknüpft. Aber der Herr hat meinem Werk den Segen gegeben. Daher beharret auch ihr in diesem Berufe, haltet fest an der eingesetzten Ordnung, wirket zugleich dahin, daß das Volk in der Liebe zur Lehre erhalten werde; denn es gibt unter uns noch böse und hartnäckige Gemüter. Das Ganze ist jetzt, wie ihr sehet, nicht übel bestellt, darum würdet ihr desto schuldiger vor Gott sein, wenn durch euere Schlaffheit alles wieder erschüttert würde. Ferner bezeuge ich euch, meine Brüder, daß eine wahre, aufrichtige Liebe mich stets mit euch verbunden hat, und daß ich mit denselben Gefühlen von euch scheide.“ Hierauf bittet er auch diese seine Amtsbrüder, ihm zu verzeihen, wenn sie ihn bei seinen vielen Leiden etwa gereizt und weniger freundlich gefunden haben. „Dann reichte er einem Jeden von uns seine rechte Hand“, sagt Beza, „und wir gingen von ihm mit sehr schwerem Herzen und nassem Auge.“
Am 19. Mai hatten die Stadtgeistlichen für sich allein die Gewohnheit, sich zur gegenseitigen Censur zu versammeln und zum Zeichen der Freundschaft ein brüderliches Mahl zu halten. Calvin hatte gewünscht, daß man dies Mal bei ihm zusammenkommen möchte. So geschah es und er ließ sich daher von seinem Bette ins nächste Zimmer zu ihnen an den Tisch setzen. Hier begrüßte er sie mit den Worten: „Ich komme, meine Brüder, nun zum letzten Mal euch zu sehen und werde mich nicht mehr mit euch zu Tische setzen.“ Dann sprach er noch selber das Tischgebet und unterhielt sich wie gewöhnlich mit ihnen. Bald aber nötigte ihn seine Schwachheit, sich in das anstoßende Zimmer zurücktragen zu lassen, indem er sagte: „Diesen Zwischenwand wird nicht verhindern, daß ich, obgleich leiblich abwesend, doch im Geiste bei euch gegenwärtig sein werde.“ Auch der Abschied von diesen Amtsbrüdern war herzbewegend. Es war wirklich das letzte Mal gewesen, daß der Kranke überhaupt zum Tische gekommen war, denn in den acht Tagen, die er noch lebte, erhob er sich nicht mehr vom Lager.
Jetzt, da er Alles geordnet wußte, beschäftigte er sich nur allein mit seinem Gott. Nur Worte der heiligen Schrift hörte man aus seinem Munde: „Ich seufze wie eine Taube. - Ach Herr, wie so lange! - Du zermalmest mich, aber ich leide es gern, denn es ist deine Hand.“ Einzig noch an einen Freund diktiert er ein letztes Wort: „Mein Atem ist schwach, und beständig erwarte mich, daß er mir ausgehe. Doch es ist mir genug, daß ich in Christo lebe und sterbe, in ihm, der den Seinigen Gewinn ist im Leben und Sterben.“ Bis zum letzten Augenblick die Stimme und das Bewußtsein behaltend, entschlief er sanft in den Armen seines Freundes Beza den 27. Mai 1564, abends acht Uhr, als eben die Sonne unterging. „Also ist an diesem Tag mit der untergehenden Sonne das glänzendste Licht der Welt, welches der Kirche leuchtete, in den Himmel zurückgezogen worden.“ Mit diesen Worten schließt jener Freund seinen Bericht. Am folgenden Tag war das Leid und Trauern in der ganzen Stadt unbeschreiblich, „denn die Republik beweinte den weisesten ihrer Bürger, die Kirche ihren treuesten Hirten, die Akademie ihren unvergleichlichen Lehrer, alle ihren gemeinsamen Vater, nächst Gott ihren besten Fürsorger und Tröster.“ Am Sonntag um zwei Uhr trug man ihn ohne irgend ein Gepränge hinaus nach dem gemeinsamen Friedhof auf Plainpalais. Alle Ratsherren, alle Geistlichen, alle Professoren und Lehrer und fast die ganze Stadt begleitete ihn, nicht ohne viel Weinen. Auf sein Grab wurde keine Inschrift gesetzt und kein Leichenstein, weil diese einfache Weise bei Hoch und Niedrig damals und noch lange Zeit nachher in Genf üblich war und weil Calvin selbst ausdrücklich verordnet hatte, daß er auf die gewöhnliche Weise wie alle andern beerdigt werde. Demnach schrieb auch das Consistorium in sein Register nur den Namen und „zu Gott eingegangen am Sonnabend den 27.“ Eine Prachtmünze, am Genfer Reformationsjubiläum geprägt, zeigt Calvins Bilder und die Inschrift: Johannes Calvinus, corpore fractus, animo potens, fide victor, ecclesiae reformator, Genevae pastor et tutamen.
Nur wenige Züge sind es, mit denen im Vorstehenden das Leben und Wirken des großen Mannes gezeichnet wurde, aber auch wer einläßlicher sich beschäftigt mit dem reichen geschichtlichen Material, das vorhanden ist, wird keinen anderen Eindruck bekommen als den, welchen die theologische Fakultät der Universität Zürich bei der Feier des dreihundertjährigen Todestages Calvins am 27. Mai 1864 in folgenden Worten aussprach: „Calvin hat fortgewirkt bis heute und wird ferner fortwirken. Die Kirche wird, so lange sie nicht sich selbst verliert, ihn stets als einen ihrer treusten, glaubensvollsten und gewaltigsten Zeugen, als ihren Vater ehren und in dankbarem Gedächtnisse behalten.“
übernommen mit freundlicher (stillschweigender) Genehmigung
aus den hervorragenden Seiten von Andreas Janssen
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